Olympia:"Da sind fast die Tränen gekommen"

Pyeongchang 2018 - Snowboard

Selina Jörg kennt noch die Zeiten, in denen die Alpinfahrer ihre Snowboards selbst anschaffen mussten.

(Foto: dpa)
  • Beim Sieg der Tschechin Ester Ledecka im Parallel-Riesenslalom gewinnen die deutschen Athletinnen Selina Jörg und Ramona Hofmeister Silber und Bronze.
  • Für Jörg ist es eine späte Genugtuung: Sie debütierte 2005 im Weltcup, nun gewinnt sie ihre erste olympische Medaille.
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Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Auf ihr Make-up hatte Ester Ledecka erneut verzichtet. Die Tschechin mochte sich wieder nur mit ihrer Skibrille zeigen, als sie den Reportern erklärte, wie sie gerade den olympischen Parallel-Riesenslalom der Snowboarder in Pyeongchang gewonnen hatte. Ledecka war vor einer Woche schon mal mit dieser Kostümierung aufgefallen, damals, weil sie nie damit gerechnet hatte, im Super-G der Skirennfahrerinnen den Olympiasieg davonzutragen und ungeschminkt vor die Weltpresse treten zu müssen. Aber jetzt?

Die Tschechin war am Samstag die große Favoritin gewesen. Aber die Qualifikation für die Finalläufe war von Donnerstag auf Samstag verschoben worden, erklärte Ledecka, der Finaltag war noch vollgestopfter als sonst, die Athletinnen mussten früh aufstehen. "Nur fürs Make-up noch früher aufzustehen, ergibt keinen Sinn", sagte Ledecka. Vielleicht war ihr Aussehen ja gar nicht so wichtig bei der Leistung, die sie eben in die Annalen ihres Sports gemeißelt hatte. Vielleicht trug sie die Brille auch nur, weil sie es lustig fand. Als ein Reporter nachhakte, sagte Ledecka jedenfalls: "Ihr werdet euch daran gewöhnen müssen."

Was sie sich in den Kopf pflanzt, das beackert sie so lange, bis es aufblüht

Die 22-Jährige hat halt ihren Kopf, ob es nun um Skibrillen geht oder das Unterfangen, bei Winterspielen in zwei halbwegs wesensfremden Disziplinen zu starten. Und was sie sich in den Kopf pflanzt, das beackert sie so lange, bis es aufblüht. Dass sie nun zwei Goldmedaillen davongetragen hat, "das gab es noch nie und das wird es so schnell erst mal nicht geben", sagte die Deutsche Selina Jörg, die im Finale gegen Ledecka verloren hatte. Ein Reporter fragte die Tschechin sogar, wie sie sich so fühle, als Superstar dieser Spiele. Ledecka kicherte, immer diese Überhöhungen. Sie sei nur eine Fahrerin, die Spaß dabei habe, einen Berg hinunterzufahren, sagte sie. Aber Superstar, befand sie, "klingt natürlich gut".

Die Leistungen der anderen gingen in diesem Rummel beinahe unter. Aber die Deutschen waren glückliche Statisten. Silber für Selina Jörg, Bronze für Ramona Hofmeister, es waren die ersten und einzigen Medaillen für den kleinen Verband Snowboard Germany. Dazu noch zwei Plätze unter den besten Zehn, von Carolin Langenhorst und Stefan Baumeister. Wieder hatten die Raceboarder die Hoffnungen erfüllen müssen, weil sich die zarten Chancen in den anderen Disziplinen nicht verwirklich hatten - wie in Sotschi vor vier Jahren, als Anke Wöhrer und Amelie Kober Silber und Bronze beschafften. Und wieder schafften sie es, diesmal mit Jörg und Hofmeister, jede auf ihre Weise.

Da war zum einen Hofmeister, 21, Vierte bei der WM vor einem Jahr, Repräsentantin einer neuen, forschen Generation. Sie bestritt ihre K.-o.-Duelle mit großem Vertrauen in ihr Tun, gegen die Schweizerin Ladina Jenny, dann gegen die Österreicherin Ina Meschik. Im Halbfinale traf sie auf Ledecka, Hofmeister fuhr erneut unerschrocken, bei der ersten Zwischenzeit führte sie sogar. "Bei Ester muss man alles riskieren, sonst hast du keine Chance", sagte Hofmeister später. Erst ein Fehler im flacheren Teil raubte ihr Tempo und alle Chancen. Aber eine Gelegenheit hatte sie noch, im Duell im Platz drei.

Dann war da Jörg, 30, die 2005 im Weltcup debütierte und noch die Zeiten kennt, in denen die Alpinfahrer ihre Snowboards selbst anschaffen mussten. Sie kletterte schnell in die Weltspitze, aber mit Großereignissen und ihr war es so eine Sache: 2010 in Vancouver stürzte sie im Duell um Platz drei, bei der WM vor drei Jahren verpasste sie Bronze um drei Hundertstelsekunden. Vor den Spielen in Pyeongchang habe sie sich einen großen Druck aufgeladen, erzählte sie am Samstag, weil sie endlich diese Medaille gewinnen wollte.

"Ich habe mich schon gefreut, als heute der Wecker geklingelt hat"

Und dann? "Ich habe mich schon gefreut, als heute der Wecker geklingelt hat, obwohl es halb sechs war", sagte Jörg, "das war heute ein komischer Mix zwischen übelster Aufregung und totaler Entspannung. Ich hatte immer das Vertrauen, dass das heute klappt." Als sie im Halbfinale als Erste das Ziel passierte - ihre Gegnerin Alena Zavarzina war früh gestürzt - "da sind fast die Tränen gekommen", sagte Jörg, die Medaille war ja sicher.

Hofmeister hatte die letzte Prüfung noch vor sich, im Rennen um Platz drei. Aber das rüttelte offenbar kaum an ihrem Gemüt. "Man muss sich da schon gute Ziele setzen", sagte sie später, "ich stand oben und war mir eigentlich sicher, dass ich die Bronzemedaille hole." So kam es, Zavarzina, ihre Gegnerin, stürzte erneut, und als kurz darauf Selina Jörg im Zielraum eintraf, badeten sie beide in ihrer Freude. Hofmeister hatte ihre Medaille gleich im ersten olympischen Versuch geschafft, Jörg war vor langer Zeit aufgebrochen und angekommen. Sie hatte erlebt, wie ihre langjährigen Kolleginnen ihre Begabung früher oder später mit Medaillen bei Olympia und Weltmeisterschaften veredelt hatten, Amelie Kober, Isabella Laböck, Anke Wöhrer. "Irgendwie musste ich erst so alt werden, dass es gut funktioniert", sagte Jörg. "Das ist so eine Genugtuung." Zumal sie bis zu den Spielen in Peking nicht weitermachen werde, sagte sie am Samstag.

Stete Erfolge wie die der Snowboarder speisen sich aus vielen Feldern, Erfahrung, Wille, die Professionalisierung der vergangenen Jahre. Aber der größte Schlüssel war wohl auch eine neue Form der bilateralen Handelsbeziehungen in den jüngsten Wintern: "Die Jungen haben uns ganz schön Feuer gemacht", sagt Jörg, "aber wir alten Hasen haben schon versucht, dagegenzuhalten." Es gebe keine Betriebsgeheimnisse, wenn die Jungen von den Tipps der Älteren profitieren, so Jörg, würde sie das ja wiederum zu schnelleren Fahrten zwingen. Und auch sonst habe sie sehr von dem Austausch mit den teils zehn Jahre jüngeren Kolleginnen profitiert, sagte Jörg.

Ihr Jubel am Samstag auf dem Podium fiel dann auch recht dynamisch aus, wie bei einer Fahrerin, die ihre erste olympische Medaille gewonnen hatte. Auch, weil sie wusste, dass es ihre letzte war.

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