Tokio:Über Olympia 2021 hängt eine dunkle Wolke

A man walks past a large display promoting the Tokyo 2020 Olympics in Tokyo, Japan on March 25, 2020, a day after the T; Tokio Olympia

Olympia ist um ein Jahr veschoben - doch kann es auch stattfinden?

(Foto: imago images/AFLOSPORT)
  • Die verschobenen Tokio-Sommerspiele sollen exakt ein Jahr später stattfinden.
  • So wollen es die Organisatoren, die meisten Verbände und auch der Hauptfinanzier, der US-Sender NBC.
  • Ob auch das Virus mitspielt, ist offen.

Von Thomas Kistner

Plötzlich geht alles ganz flott. Die abgesagten Olympischen Sommerspiele in Tokio sollen nun im Juli und August 2021 stattfinden, also exakt ein Jahr später als geplant. Damit wird das Sportjahr 2021 endgültig zur Blaupause dieses Corona-Unglücksjahres: Auch die Europäische Fußball-Union Uefa hatte schon vor zwei Wochen ihre auf zwölf Länder verteilte EM um genau zwölf Monate verschoben, in den Juni 2021. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wollte die Neuterminierung am Wochenende noch nicht bestätigen und nannte sie "spekulativ", doch Medienberichte in Japan und den USA lieferten klare Signale aus den Reihen der Tokio-Veranstalter. Demnach wäre die Eröffnungsfeier am 23. Juli 2021, die Schlussfeier am 8. August; die Paralympics finden vom 24. August bis 5. September statt.

Dass das als Super-Sportjahr skizzierte 2021 nun dieselbe Taktung erhält wie das von der Pandemie erschütterte laufende, liegt auf der Hand. Zum einen können sich alle Sportarten an gewohnten Abläufen orientieren, von den nationalen Fußball-Ligen bis zu den Qualifikationsturnieren der gut zwei Dutzend olympischen Sommerverbände. Dass die Klub-WM im Juni 2021 entfällt, ist bedeutungslos: Gianni Infantino, der Autokrat an der Spitze des Weltverbandes Fifa, hatte Branchenkennern zufolge eh keinen Milliardeninvestor zur Hand. Die Corona-Krise ersparte ihm jetzt nur die peinliche Beichte, dass er sich einmal mehr verspekuliert habe.

Zudem liegt die Idee, das entfallende Sportjahr einfach nach 2021 hinüberzukopieren, im Interesse der Hauptfinanziers. Dass diese von IOC-Chef Thomas Bach stets beschworenen Stakeholder längst Vorgaben im Ringe-Konzern machen, ließ sich auch aus der bizarren Verzögerungspolitik ablesen, die der deutsche Wirtschaftsanwalt zuletzt gepflegt hatte. Allen voran der US-Fernsehgigant NBC, der zwölf Milliarden Dollar für die Spiele im Zeitraum von 2014 bis 2032 bezahlt, hat seine olympische Werbekundschaft fest auf den traditionellen Sommerspiele-Termin justiert. Das Geschäft im US-Profisport ist sensibel, national hochattraktive Wettbewerbe wie die Basketball-Liga NBA oder die Eishockey-Liga NHL enden erst im Frühjahr, die American-Football-Saison beginnt im frühen September. Käme es zu Überschneidungen mit Olympia, würden sich viele Werbe-Etats kannibalisieren.

Die Proteste der Athleten gegen den Regierungsstil Bachs werden substanziell

Auch für das IOC ist eine Spiele-Kopie im Juli und August 2021 der Königsweg. Nur in dem Zeitraum sind die (neben Leichtathleten und Schwimmern) geldwertesten Teilnehmer verfügbar: Fußballer, Tennisprofis, Basketballer, Golfer. Und um die Attraktivität der nächsten Ringe-Feier wird es nach dem desaströsen Corona-Krisenmanagement unter Thomas Bach nun mehr denn je gehen: Auf dem Spiel steht Olympias größtes Werbepotenzial, das Image als Wertehüter. Es weist ja nun noch tiefere Kratzer auf als je zuvor.

Zwar wird dem Netzwerker Bach, der schon durch seinen Kuschelkurs mit den Potentaten des russischen Staatsdopings in die internationale Kritik geraten war, innerhalb des Sportestablishments kaum echte Bedrohung erwachsen. Das Spitzenamt bietet beste Möglichkeiten, Schlüsselpositionen an Vertraute und sonst genehme Figuren zu verteilen. Doch die Proteste der Athleten gegen den Regierungsstil Bachs werden nicht nur lauter, sondern substanziell. Schon nach dem für viele Sportler frustrierenden Umgang des IOC mit Russland bildeten sich erste IOC-externe Athletenverbünde in einigen Ländern. Am Wochenende nun griffen Bach nicht nur namhafte Leute wie die deutsche Biathlon-Ikone Magdalena Neuner ("Sein Verhalten fand ich unmöglich!") an. IOC-Athletenver treterin Hayley Wickenheiser fordert ganz neue Verhältnisse im Olymp: "Jetzt ist der Zeitpunkt, um unser Business zu verändern", sagte die angehende Ärztin aus Kanada im "ZDF-Sportstudio". Sie fordert ein echtes Mitspracherecht für die Sportler.

Ein runderneuertes IOC wäre ein Albtraum für Bach

Bisher fallen deren Repräsentanten im Ringe-Zirkel meist als lammfromme Mitläufer auf. Oder, wie die Putin-Vertraute Jelena Issinbajewa aus Russland, als linientreue Hardliner. Wer in Krisenzeiten couragiert gegen den Willen der Führung aufmuckt, wird kaltgestellt - so wie die ehemalige deutsche Fechterin Claudia Bokel. Sie hatte dem Gremium von 2012 bis 2016 als Aktivensprecherin angehört, danach verglühte sie am IOC-Firmament wie eine Sternschnuppe. Im Herbst 2018 schilderte Bokel, heute deutsche Fechter-Präsidentin, auf einer Anti-Doping-Tagung in Oslo, wie sie und Beckie Scott, die Athletensprecherin der Welt-Anti-Doping-Agentur, vom IOC in der Russland-Frage massiv unter Druck gesetzt worden seien. Sie hätten dort die Gegenposition des überragenden Teils der Athleten nicht vertreten können. Die Kanadierin Scott beklagte speziell, von einem IOC-Mitglied bedrängt worden zu sein, das laut Bokel "während der Spiele in Rio verhaftet wurde" - das traf auf den IOC-Vorstand Patrick Hickey zu. Der Ire, enger Bach-Vertrauter und damals Chef der europäischen NOKs, wanderte kurz darauf im Zuge einer Ticketaffäre hinter Gitter.

Ein runderneuertes IOC? Ein Albtraum für die Alteingesessenen um Bach. Aber die müssen sich in nächster Zeit nicht nur gegen aufbegehrende Athleten behaupten, sie dürfen auch die Fehler dieser Krisenwochen nicht wiederholen und die Pandemie als Tabuthema behandeln. Sie hängt als dunkle Wolke auch schon über den nach 2021 hinüberkopierten Spielen. Niemand weiß, ob diese stattfinden können - unabdingbar braucht es einen effektiven Impfstoff, um das Coronavirus zu stoppen. So ein Stoff wird von Experten erst für nächstes Jahr erwartet. Und ist er dann da, dürfte er zunächst nach gesellschaftlichen Notwendigkeiten verteilt werden. Kommerzielle Sportereignisse zählen eher nicht dazu.

Ohne Impfstoff, sagte der deutsche Marathon-Rekordhalter Arne Gabius zuletzt im Gespräch, könne man jedenfalls keine weltumspannende Sportlermesse abhalten. Der Schwabe ist Arzt und verwies gegenüber der Agentur dpa zuletzt auch auf die spezielle Infektionsanfälligkeit von Topathleten nach Höchstleistungen. Auch seien neue Corona-Medikamente möglicherweise mit Nebenwirkungen behaftet.

Das Virus als Marathonläufer: Das wird, neben enormen Finanz-, Rechts- und Organisationsfragen, das Kernproblem auch für die kopierten Spiele bleiben.

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28 10 2018 xkaix Leichtathletik Marathon Mainova Frankfurt Marathon 2018 emspor v l Arne Gabius; Arne Gabius

Arne Gabius
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Arne Gabius hält den deutschen Marathonrekord und ist approbierter Arzt. Er hat eine klare Haltung, wie Hochleistungssport und Pandemien zusammenpassen - vor allem im Bezug auf Olympia.

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