Olympia: Chinesisches Team:Die Wunderkinder

Trotz aller Beteuerungen erinnert das chinesische Sportsystem verdächtig an das der DDR - im Olympiateam des Gastgebers schlummert so manches Rätsel.

Thomas Kistner und Grit Hartmann

Als China vor zwei Wochen das Olympiateam vorstellte, murrten sogar einheimische Journalisten. Was sich auch nach der feierlichen Botschaft von Sportminister Liu Peng nicht änderte, der die unter der roten Flagge Versammelten auf eine "glorreiche Mission" einstimmte. Und auch nicht nach dem wohlfeilen Schwur der 639 Athleten, dass sie ganz und gar dopingfrei antreten. Denn selbst auf Nachfrage rückte das Nationale Olympische Komitee keine Liste der Starter heraus.

Olympia: Chinesisches Team: Die chinesische Schwimmerin Wang Qun beim Training. Man erkennt noch die Spuren vom Schröpfen.

Die chinesische Schwimmerin Wang Qun beim Training. Man erkennt noch die Spuren vom Schröpfen.

(Foto: Foto: ddp)

Inzwischen sind die Namen nachgeliefert: China kommt zu drei Vierteln mit Olympia-Neulingen, die oft nicht einmal hinter der Großen Mauer bekannt sind. Ihre Biografien, erst recht Näheres zur Sportkarriere, führt die englischsprachige NOK-Website nicht. Das Versteckspiel dürfte Gründe haben, die starke Zweifel am Reinheitsgelöbnis nähren.

So stehen im Leichtathletik-Aufgebot Zhang Yingying und Bai Xue, 18 und 19 Jahre alt. Sie laufen die langen Strecken ab 5000 Meter so schnell wie Mädchen sonst nicht in diesem Alter. Das liegt am Trainer, der eigentlich keiner mehr sein darf. Wang Dexian bescherte China 2004 die Olympiasiegerin über 10.000 Meter. Ein Jahr später fiel eine seiner Weltklasse-Läuferinnen mit Anabolika auf. Öffentlich hieß es, Nationaltrainer Wang sei gesperrt. Lebenslänglich, es war ja der zweite Fall in seiner Doperkarriere, und bei Wiederholungstätern kennt Chinas Antidopinggesetz keine Gnade. Formal.

Kurz darauf flog auf, wozu die Chemie diente: Es galt, ein Laufpensum von täglich 70 Kilometern durchzustehen, wobei der Trainer sein Mädchendutzend bequem vom Auto aus antrieb. Frühere Athletinnen klagten gegen Wang, er hatte Prämien vorenthalten. Noch Unappetitlicheres kam ans Licht: Wang schlug seine Schützlinge mit Gürteln, Ästen oder Elektroschocker, bis zum Knochenbruch. Er schwieg und zahlte. Das Verfahren wurde eingestellt. Es ging ums Geld, nicht ums Prügeln oder darum, dass die einstigen Topläuferinnen inzwischen Krüppel waren, die kaum noch gehen konnten.

Die Funktionäre verloren kein Wort über das Schindertraining. Fragt man beim Leichtathletikverband, behaupten sie, die Läuferinnen Zhang und Bai würden von Wangs Bruder betreut oder von seiner Frau. Solche Auskünfte sind Teil der Inszenierung: Wangs Sperre gilt für ausländische Beobachter - in China gilt sie nichts. Wangs Heimatklub lobt im Internet dessen neue Erfolge. "Mit Besuchern'", heißt es dort, in einem Außenbezirk von Peking, ,"sprechen wir nicht."

Die prächtige China-Morgana

Redseliger ist Wangs Vater in Shanhaiguan, drei Autostunden von Peking entfernt. Der Alte ist stolz auf den erfolgreichen Sohn und zeigt zwei baufällige Ziegelhäuser, das Basislager der Sportler. Dexian sei beim Höhentraining in der Provinz Qinghai. Dort, im Trainingszentrum Duoba, 1500 km von Peking entfernt, gibt eine Trainerin wie selbstverständlich an, Wang Dexian sei Chefcoach der Frauen. Er habe Duoba gerade verlassen, mit unbekanntem Ziel. Im Schlepptau Bruder Deming, der die Jungs betreut und Ren Longyun, 20, ins Olympiateam brachte, und seine Frau. Die werde, ist im Sportlerquartier zu erfahren, "Frau Doktor" gerufen.

Der Fall Wang reduziert den konsequenten Antidopingkampf des Olympiagastgebers auf das, was er vermutlich ist: eine prächtige China-Morgana. Denn er widerlegt die Fabel von den Dopingzirkeln in entlegenen Provinzen, beim besten Willen nicht zu kontrollieren von der Zentrale. Wer in Duoba arbeiten darf, hat den Segen Pekings: Das Höhentrainingslager steht unter Aufsicht des Sportministeriums. Deshalb erinnert der Bluff an eine andere Sportdiktatur - notorisch gedopt und gelogen wurde auch in der DDR. Die Welt staunte so ehrfürchtig, wie Chinas KP-Regenten sich das für diese Spiele ersehnen. Erst nach dem Mauerfall gab es mehr Opfer als Stars.

Zhang Yingying ist vielleicht auf dem Weg zum Olympiastar. Sie holte sich im Januar einen Juniorenweltrekord. In 2:22:38 gewann Zhang den Xiamen-Marathon. Sie war fünf Minuten schneller als drei Monate zuvor beim Peking-Marathon und 15 Minuten schneller als ein Jahr zuvor, bei ihrem ersten Marathon. Zweite in Xiamen war Bai Xue.

Wang ist nicht der einzige aktive Exzesstäter: Unter Kollege Zhou Ming brachten es die Schwimmerinnen in den Neunzigern auf Dutzende internationale Titel - und auf Dutzende Dopingfälle. Zhou wurde 1998 acht Jahre suspendiert. Wirklich draußen war auch er nie. Seit 2002 arbeitet der Trainer in der Ostküsten-Metropole Tianjin. "Unser Ziel sind Goldmedaillen", erörterte ein Funktionär die Personalie. Zhou trainiert die 17-jährige Yang Jieqiao. Nach dem Langstrecken-Weltcup Ende 2007 feierte das Staatsfernsehen sie als "chinesische Schwimmsensation". Sie fehlt im Olympia-Aufgebot. Keiner kann sagen, warum. Keiner will sagen, wer noch bei Zhou schwimmt.

Training bei der "Medaillenmacherin"

Mit Zhou Ming verbindet sich die wohl rätselhafteste Geschichte des chinesischen Sports. Sie handelt von einer halbierten Generation und beginnt mit einem Fakt: Ende 2001, kurz nach dem Olympiazuschlag für Peking, wurden die 100 talentiertesten Schwimmkinder des Landes für eine Pekinger Sportschule gesichtet. Nur 50 blieben. Der Amerikaner John Leonard, damals Chef der Weltvereinigung der Schwimmtrainer, berief sich auf chinesische Kollegen: "Keiner glaubt, dass die anderen 50 aussortiert wurden. Sie wissen nicht oder wollen nicht sagen, wo sie sind." Die Geschichte endet mit einer Vermutung: Die Kinder, spekuliert Leonard, würden irgendwo in der Provinz vorbereitet, vielleicht mit Genmanipulation, vielleicht von Zhou: "Sechs Monate vor den Spielen tauchen sie auf. Sie erobern Plätze im Nationalteam. Drei bis fünf neue Stars reichen, um die Wettbewerbe zu dominieren."

Tatsächlich fallen ein paar Schwimmerinnen erst seit kurzem auf. Die erstaunlichste Erscheinung misst nur 1,60 Meter und heißt Li Xuanxu. Vor einem Jahr absolvierte sie die 400 Meter Lagen in der schnellsten je von einer 13-Jährigen vorgelegten Zeit. Drei, vier weitere Wunderkinder trainieren mit ihr in der Provinz Hunan. Nicht Zhou Ming betreut sie, sondern Feng Zhen. Sie wird "Medaillenmacherin" genannt und war schon zu Zeiten des chinesischen Anabolikaprogramms dabei. Feng und mindestens zwei ihrer Talente, Li Xuanxu und You Meihong, sind im Peking-Team. Auch Feng mutet ihren Schützlingen ein enormes Pensum zu. Unlängst fragte ein Blatt, ob sie die Ma-Armee des Schwimmens befehlige. Ma Junren war der Vorgänger von Wang Dexian, auch er schlug und dopte seine Läuferinnen. "Wir sind am Anfang, aber wir bewegen uns auf Mas Level zu", sagte Feng. "Egal, wie hart das wird."

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