Olympia: Bobsport:Seriensieger Lange: Sitzen, schauen, siegen

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Der Stoiker André Lange gewinnt mit seinem Anschieber Kevin Kuske sein viertes Gold und stellt damit einen neuen Bob-Rekord auf.

Volker Kreisl, Vancouver

Bob-Fahrer sind Exzentriker. Die Gefahr mache ihnen nichts aus, sie gehöre nun mal zu ihrem Sport, das wiederholten die meisten auch auf der Unglücksbahn von Whistler, jedenfalls solange sie nicht selber stürzten. Manche peitschen sich auf vor dem Rennen. Vom kanadischen Anschieber Lascelles Brown heißt es, er verkrieche sich lange vor dem Start in sich, und wenn es losgeht, brülle er seinen Piloten plötzlich an und schüttele ihn.

In der Ruhe liegt die Kraft: André Lange und Kevin Kuske. (Foto: Foto: dpa)

Andere feuern sich selber an, zum Beispiel der russische Anschieber Alexej Wojwoda. Der boxt sich vor dem Start mit aller Kraft gegen den Schädel, und zum Glück hat er da schon seinen Helm auf. André Lange aus Suhl macht das alles nicht, er macht auch sonst nichts vor dem Rennen, er sitzt oben und schaut und denkt an die Bahn. André Lange ist der beste Bob-Fahrer der Welt.

Am Sonntag ist er wieder Olympiasieger geworden, diesmal im Zweierbob zusammen mit seinem langjährigen Anschieber Kevin Kuske aus Potsdam, auch er war schon 2002 in Salt Lake City dabei. Lange hat damit vier Olympia-Goldmedaillen erreicht, das ist Rekord im Bobfahren. Er hat vier Läufe im Zweierbob präsentiert, die ihm keiner nachmachen konnte.

Im ersten Durchgang hatte er noch etwas geschludert, einmal war der Schlitten leicht quer gestanden, doch das zählte zum Lernprozess des Olympiawettkampfs. Was folgte, war eine sachte Steigerung. Lauf für Lauf legte Lange mehr Abstand zwischen sich und die Konkurrenz, und wie immer war während dieses Wochenendes nichts von ihm zu sehen.

Er absolvierte seine Rennen, marschierte wortlos durch die Mixed-Zone und tauchte erst am Sonntagabend wieder auf. Da entstieg er dem Bob als Olympiasieger, jubelnd und lachend, als wäre er ein anderer Mensch. Nichts zu sagen, das ist Langes Exzentrik.

Die ernsthaften Konkurrenten, das waren an diesem Wochenende eigentlich nur noch die anderen Deutschen. Thomas Florschütz und Richard Adjei gewannen Silber, auch sie mit vier Läufen, die nahezu perfekt waren. Silbermedaillen haben immer einen leichten Schatten, wenn aus dem eigenen Verband ein anderer noch Gold holt. Dann wird der Zweite vor den eigenen Reportern zur Randfigur, was undankbar ist; aber Florschütz sagte später, er sei zufrieden mit dieser Medaille. Eine halbe Sekunde Vorsprung auf den Rest der Welt, "mehr war heute nicht drin".

Im vierten Lauf war bei Florschütz noch einmal Hoffnung aufgekommen. Er hatte den Drittplatzierten Alexander Subkow deutlich distanziert. "Wir dachten, wir könnten André damit noch etwas ärgern", sagte Florschütz. Aber Lange stand oben im Startraum und machte weiter nichts. "Nebenan", erzählt Kuske, "ist irgendeiner durchgedreht." Vielleicht war es ein russischer Betreuer, der sich geärgert hatte, "jemand hat gegen die Wand geschlagen", aber Lange habe darauf nicht reagiert, und so hat sich auch Kuske nicht ablenken lassen: "Das beruhigt einfach."

Carsten Embach, der Athletiktrainer der deutschen Bobfahrer, hatte als Anschieber auch schon einmal Olympia-Gold mit André Lange geholt im Jahr 2002. "Langes Stärke ist die Fokussierung auf das Wesentliche", sagt Embach. Der Trainer wollte nicht schon wieder Superlative über Lange aufreihen. Lange-Superlative, sagt Embach, seien schon genug gelistet worden. Der erfahrenste, der perfekte, der vielseitigste und nun der erfolgreichste Bob-Pilot.

Embach sieht Langes Erfolgsgeheimnis nicht in einem Superlativ, sondern gewissermaßen im Nichts. "Fokussierung", sagt Embach, "das heißt, er blendet Unwesentliches aus." Stück für Stück schließt André Lange die Fenster für äußere Einflüsse, "bis zum Tag X, zur Stunde null". Dann sind da nur noch der Bob und die Bahn und das Ziel. Im Training sieht Embach immer wieder außerordentliche Leistungen, diesmal zum Beispiel vom Schweizer Ivo Ruegg oder vom Kanadier Lyndon Rush, wenn es aber darauf ankomme, dann machen sie alle Fehler. Rush, der Medaillenkandidat, gehörte sogar zur großen Gruppe jener Piloten, die in diesen Tagen stürzten.

Lange stand also oben, und er hatte sich nicht ablenken lassen vor seinem letzten Lauf in einem Zweierbob. Eine Goldchance hat er noch, nächste Woche im Vierer. Danach hört er auf, vielleicht wird er Trainer, darüber hat er sich noch keine Gedanken gemacht. Lange und Kuske sprinteten los, und Thomas Florschütz stand unten und beobachtete den Lauf auf dem großen Monitor.

"Wir hatten noch Hoffnung", sagte er, "denn wir waren ja wirklich gut runtergekommen." Aber Lange brachte eine Kurve nach der anderen hinter sich, und sein Vorsprung wuchs sogar noch an. "Er hätte einen Fehler machen müssen", sagte Thomas Florschütz hinter, aber es sei wie verhext gewesen, "wir haben gewartet und gewartet, aber der macht einfach keine Fehler."

Im Video: Sechsmal Gold, siebenmal Silber und fünfmal Bronze bei den Winterspielen in Vancouver. Im Medaillenspiegel liegt Deutschland derzeit auf Platz zwei hinter den USA. Eine Goldmedaille kam von ihm, Bob-Pilot André Lange raste im Eiskanal von Whistler auf Platz 1.

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© SZ vom 23.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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