Süddeutsche Zeitung

Olympia-Rückschau:Sotschi, Sonne, 20 Grad

Lesezeit: 6 min

Baden im Meer bei Winterspielen, Langlaufen in kurzen Hosen, eine wedelnde Violinistin, ein deutscher Dopingfall und ein strahlender Wladimir Putin: Was in Erinnerung bleibt von den ersten Winterspielen in Russland.

Von Carsten Eberts, Sotschi

Felix, der Bruchpilot

Eine ernste Nachricht aus deutscher Sicht ereilte Sotschi am Morgen des 14. Februar: Felix Neureuther, der beste Slalomfahrer des Landes, war mit seinem Auto auf seinem Weg zum Flughafen München in eine Leitplanke gekracht. Er trug ein Schleudertrauma davon, musste untersucht werden, konnte erst tags darauf nachreisen. Niemand wusste, ob er noch ein Medaillenkandidat war.

Neureuther kam, den Hals dick verpackt, und hatte lustige Sprüche auf den Lippen. "Es tut mir Leid - Planke", schrieb er bei Facebook und versuchte, den Unfall möglichst locker zu verkaufen. Hätte Neureuther in dieser Konstitution eine Medaille geholt - sein Heldenstatus wäre kaum mehr zu ermessen gewesen. Doch es reichte nur zu Platz acht im Riesenslalom. Im Slalom fädelte er ein, schied aus. "Die enttäuschendste Woche meines Lebens", sagte Neureuther. Diesmal ganz ernst.

Die wedelnde Violinistin

Als viertletzte Starterin durfte die Nummer 87 auf die Piste. Sie fuhr etwas zu aufrecht, verließ bisweilen die Ideallinie, agierte auch nicht mit allerletztem Risiko (die Stangen touchierte sie jedenfalls nicht). Sie fuhr den Riesenslalom wie es viele tun würden, die gerne in den Alpen die Pisten hinunterbrettern, doch die Leistung an sich war nicht so wichtig: Vanessa-Mae, die weltbekannte Geigerin, war bei einem Olympiarennen gestartet.

Die Reportermeute wartete gierig auf Vanessa Vanakorn, stolz präsentierte sie ihren bunten Mundschutz, wollte zeigen: Sie war wirklich eine Skifahrerin. Für die traditionslose Wintersportnation Thailand war sie an den Start gegangen und wurde im Riesenslalom Letzte, mit 11,35 Sekunden Rückstand auf die Vorletzte. Das Rennen gewann die Slowenin Tina Maze. Sie war 50,10 Sekunden schneller als Vanessa-Mae.

Sotschi, Sonne, 20 Grad

T-Shirt-Wetter unten in Sotschi, Pulloverwetter in den Bergen: Dass Sotschi klimatisch kein normaler Wintersportort sein würde, war klar. Dass es in den Tagen der Spiele so warm werden würde, jedoch nicht. Nur ganz kurz einmal fiel während der zweieinhalb Wochen Schnee, der dann sofort in Regen überging. Meistens strahlte die Sonne vom Himmel herab, Sotschi meldete bis zu 20 Grad. Manche Menschen bekamen Sonnenbrand, andere klagten über Heuschnupfen.

Sportlich stellte das warme Wetter die Pistenpräperateure vor große Aufgaben. Der Schnee ging bisweilen in Matsch über, wurde stumpf und sulzig. Rennen wurden verschoben, um die Morgenstunden zu nutzen, wenn sich die Luft zwischen den Bergen noch nicht so aufgeheizt hatte. Die Sportler halfen sich auf ihre Weise: Die Norweger absolvierten ihr Langlauftraining in kurzen Hosen. Unten in Sotschi sprangen einige Touristen in Badeklamotten ins Meer. Wäre sonst kaum auszuhalten gewesen, diese Hitze.

Das Verbotene tritt ein

An die Möglichkeit, dass es schiefgehen könnte, wurde kein Gedanke verschwendet. Russland sollte im eigenen Land die Eishockey-Goldmedaille gewinnen, so war es ausgemacht, quasi per Staatsauftrag verfügt. Die wichtigste Entscheidung dieser Spiele wurde entsprechend auf den Schlusstag terminiert: das Finale, als letzter Höhepunkt. Gold für Russland im Bolschoj-Eispalast, so sollte es kommen. Doch Russland schied aus. Im Viertelfinale, gegen die kleine, aber stolze Eishockeynation Finnland.

Die Russen hatten nicht wirklich gut gespielt, schon die Vorrunde über nicht. Und die Finnen hatten kein Glück - sie waren einfach besser. Über das Team von Trainer Sinetula Biljaletdinow entlud sich das wohl größte Pfeifkonzert der russischen Geschichte, Biljaletdinow stammelte: "Ich kann das nicht erklären, ich finde keine Worte." Er hat nun Zeit zu überlegen. Biljaletdinow dürfte die längste Zeit Trainer der Sbornaja gewesen sein.

Der alte Norweger

Als sich die Welt über Ole Einar Bjørndalen den Kopf zerbrach, war ein Mann kaum überrascht: Ole Einar Bjørndalen selbst. Er hatte das Sprintrennen der Biathleten gewonnen, im ersten Moment ein alter Hut. Bjørndalen gewinnt schon seit einer Ewigkeit Biathlon-Rennen, Menschen im Alter unter 30 kennen es gar nicht anders. Doch nun war dieser Bjørndalen 40 Jahre alt - und hatte es der Weltelite immer noch gezeigt.

Viele Freunde und Wegbegleiter hatten Bjørndalen längst zum Rücktritt geraten. Er selbst wies diesen Gedanken stets von sich. Er war ja noch fit, konnte Rennen gewinnen. Irgendwo auf dieser schweren Strecke in Sotschi musste er dennoch gemerkt haben, dass es nicht ewig weitergeht. Noch am Tag der Schlussfeier beendete Bjørndalen seine Karriere. Er ist nun der erfolgreichste Winter-Olympionike, den es je gab. Ein guter Anlass, um endlich aufzuhören.

Dopingsünder im eigenen Team

Am Abend zuvor saß Evi Sachenbacher-Stehle noch bei Leberkäs und Wasser im Deutschen Haus. Gut gelaunt, so hat es eine Boulevardzeitung notiert. In der Nacht wurde sie geweckt und mit den Neuigkeiten konfrontiert: Sie, Sachenbacher-Stehle, war eine Dopingsünderin. Jahrelang konnte die deutsche Delegation auf andere Nationen zeigen, wenn es um Doping ging. Nun war das Team selbst betroffen, in Person einer sehr prominenten Athletin obendrein.

Ob Sachenbacher-Stehle wissentlich gedopt hat oder wirklich einen "falschen" Energieriegel verdrückt hat, weiß aktuell nur sie selbst. Ist Zweiteres der Fall, war es immer noch eine große Dummheit, die sie vor der Strafe kaum schützen wird. Ihr Biathlon-Kollege Arnd Peiffer brachte es gut auf den Punkt: "Ich habe die Evi nicht mehr gesehen. Ich hätte sie gerne gefragt: Was hast du da für einen Mist genommen?"

Die Schnellsten auf dem Eis

Es gab eine Zeit, da war Deutschland eine Eisschnelllaufnation. Doch so dominant, wie die Niederländer bei diesen Winterspielen trat noch keine Nation auf: 23 von 36 Medaillen gingen an die Niederlande, mehr als jede zweite also. In zwölf Eisschnelllauf-Wettbewerben stellte Oranje achtmal den Olympiasieger - nicht nur einmal war das Podium komplett in Orange gehüllt.

Woher diese Dominanz? Sicher spielt die starke Konkurrenz im eigenen Team eine Rolle. "Wir haben so viele so gute Läufer, die sich nicht einmal qualifizieren konnten", sagte Jorrit Bergsma, der Olympiasieger über 10.000 Meter. Der norwegische Cheftrainer Jarle Pedersen hatte eine andere Vermutung: "In anderen Sportarten wird auch gedopt. Warum sollte Eisschnelllauf da die Ausnahme sein?" Belege für seine Anschuldigungen blieb Pedersen schuldig.

Eingebürgerte Medaillengarantie

Als der Shorttracker Ahn Hyun-soo 2011 heftig mit seinem Verband in Südkorea stritt, sah Russland die große Chance kommen. Die Winterspiele im eigenen Land waren nicht mehr fern, an guten Shorttrackern mangelte es dem Riesenreich - warum also nicht einen der Besten einbürgern? Ahn hatte 2006 in Turin dreimal Gold geholt. Ein solches Kaliber hatten sie in Russland nicht.

Und Ahn? Kam und siegte als nunmehr Viktor Ahn. Holte erneut dreimal Gold über 500 Meter, 1000 Meter und in der Staffel, dazu Bronze über 1500 Meter. Der Eisberg-Palast brüllte, als Ahn sich vor Freude über die Begrenzungsbande in die Arme seines Trainers warf. Anschließend lief er mit russischer Fahne eine Ehrenrunde. Dass der Olympia-Gastgeber auch dank eingebürgerten Südkoreaners den Medaillenspiegel anführt, störte die Russen herzlich wenig.

Anstrengende Rolle

Zu Beginn ihrer letzten Winterspiele war Maria Höfl-Riesch angespannt. Hochnervös sogar. Vor dem zweiten Durchgang in der Super-Kombination stand sie im Starthaus, hatte Mühe, ihre Nerven zu beruhigen. Sie hatte sich selbst großen Druck gemacht, die Presse zu Hause trug ihr Übriges dazu bei: Maria Höfl-Riesch, die deutsche Medaillengarantie, hieß es. Als sie wenige Minuten später Olympiasiegerin wurde, fiel eine Last von ihr ab, die so groß war, dass sie sich kaum richtig freuen konnte.

Ganz anders nach ihrer Silbermedaille im Super-G. Die kam deutlich unerwarteter, Höfl-Riesch reckte glücklich die Arme in den Himmel, strahlte von einem Ohr bis rüber zum anderen. Sie konnte diese Winterspiele endlich genießen, dass sie am Ende im Slalom nur Vierte wurde: egal. Den Druck braucht sie nun nicht mehr. Es waren ihre letzten Spiele, vielleicht wird sie nach den beiden Medaillen in Sotschi sogar ihre Karriere beenden. Und die deutschen Skifahrer werden bald merken, wie sehr ihnen Maria Höfl-Riesch fehlen wird.

Putin strahlt

Nein, Thomas Bach sagte nicht, dass Sotschi die "besten Spiele aller Zeiten" gezeigt hat. Das Lob des IOC-Präsidenten für Wladimir Putin fiel trotzdem überschwänglich aus. "Wunderschöne Spiele" habe er in Sotschi gesehen, sagte Bach. Und Putin, der russische Präsident, habe "entscheidenden Anteil am großen Erfolg". Nun war es kaum zu erwarten, dass sich Bach bei seiner Abschlussbewertung öffentlich gegen Putin stellt, der die Winterspiele für unglaublich viel Geld ans Schwarze Meer geholt hat. Außerdem waren es für die Athleten tatsächlich schöne Spiele: mit neuen Wettkampfstätten, kurzen Wegen, freundlichen Gastgebern, in sicherer Atmosphäre.

Doch es gab auch die andere Seite, vor den Spielen: Einfache Bürger, die aus ihren Häusern vertrieben wurden, bevor die Bagger kamen. Arbeiter, die um ihren Lohn gebracht wurden. Viel zerstörte Natur, nur damit Wettkampfstätten an einen Ort gebaut werden konnten, der für Winterspiele eigentlich gar nicht gemacht ist. All dies hätte Bach mit einem Satz erwähnen können, bevor er von "wunderschönen Spielen" sprach. Denn diese Wahrheit gehört zu den Winterspielen in Sotschi einfach dazu.

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