Olympia:Wenn Biathlon Familiensache ist

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Elvira Öberg erlebte sehr erfolgreiche Spiele in China. (Foto: Marco Bertorello/AFP)

Die schwedischen Öberg-Schwestern Elvira, 22, und Hanna, 26, holen in Peking insgesamt vier Medaillen. Das liegt auch an einem jungen deutschen Trainer.

Von Saskia Aleythe, Zhangjiakou

Vor dem Start war Elvira Öberg dann doch mal kurz nervös. Es gibt ja nicht viele Athletinnen, die mit 22 Jahren schon eine Staffel als Schlussläuferin ins Ziel bringen sollen. Und dann auch noch bei Olympischen Spielen. Also suchte Öberg das Gespräch mit ihrem Trainer Johannes Lukas, 29. Sie ist eine, die viel wissen will, Informationen einsammelt, und dann erst handeln will. Lukas erlebt selber gerade seine ersten Olympischen Spiele als Cheftrainer, die Stärken von Elvira Öberg kennt er seit drei Jahren: Da ging sie noch zur Schule, doch schnell war dem Trainer klar, dass es bald ein paar wichtige Gespräche geben muss in der Familie Öberg.

Mit 18 Jahren saß Elvira daheim vorm Fernseher und schaute zu, wie Hanna Öberg, die große Schwester, in Pyeongchang Olympiasiegerin im Einzel wurde. Auch sie war damals: 22. Ein Jahr später gewann Hanna auch Einzel-Gold bei der Heim-WM in Östersund - doch es deutete sich an, dass sie bald nicht mehr die einzige Öberg sein wird, der die Menschen zujubeln werden. "Wir haben geschaut, dass beide wissen: Okay, da kommt jetzt auch die Elvira, die hat Potenzial", sagt Johannes Lukas, er machte ihnen klar: "Ihr werdet bald nicht mehr nur Schwestern sein, sondern auch Konkurrentinnen." Und so wie es aussieht, können die Öbergs damit jetzt ganz gut leben.

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In der ersten Woche dieser Winterspiele hat Hanna Öberg Freudentränen verdrückt für ihre kleine Schwester: Die holte bei ihrem Olympia-Debüt Silber im Sprint und in der Verfolgung. "Es ist ein unglaubliches Gefühl, jetzt sind wir zwei Olympia-Medaillengewinnerinnen in der Familie, das ist einfach verrückt", sagte Elvira. Hanna ging bis zur Staffel leer aus, ihr ist die Lockerheit am Schießstand abhandengekommen. Aber sie gönnte ihrer Schwester den Erfolg: "Sie hat eine riesige Entwicklung genommen in den letzten Jahren, und ich bin von ihr sehr beeindruckt."

Anders als der Russe Latypow bleibt Öberg als Schlussläuferin ganz ruhig

Am Mittwochnachmittag in Zhangjiakou liefen sie dann gemeinsam zu Gold in der Staffel. Hanna übergab in Führung liegend an Elvira, "viel Spaß!" rief sie ihr beim Abklatschen zu.

Was alles schieflaufen kann für Schlussläufer, hatte erst am Vortag der Russe Eduard Latypow gezeigt: zwei Strafrunden beim letzten Schießen, das sicher geglaubte Gold weg. Elvira blieb am Schießstand ruhig, traf liegend alles, brauchte stehend nur einen Nachlader. "Ich habe mir gewünscht, dass ich nicht die Einzige bin, die mit einer Medaille nach Hause kommt", sagte sie. Die Nervosität hatte sie mit ihrem Trainer bekämpft, er lenkte den Fokus weg vom Schießen, sondern aufs Laufen. Er sagte ihr, "dass sie nicht vergessen soll, dass es nur eine Frau gibt, die schneller läuft als sie: die Marte Olsbu Røiseland".

Die Norwegerin war an diesem Tag zu weit weg für Gold, aber es ist ja tatsächlich so: Elvira war in dieser Saison erstaunlich schnell unterwegs, sie ist die, die auf der Schlussrunde jetzt schon alle fürchten. Und dabei sieht sie so aus, als würde sie Spaß haben an der Qual, als hätte sie beim Hetzen auch noch ein Lächeln im Gesicht.

Ihren ersten Weltcup-Sieg im Einzel feierte Elvira Öberg erst im Dezember. Dass sie ihr Niveau seitdem halten und nun gar ausbauen konnte, überrascht selbst ihre Trainer. Die Ursache dafür sieht Johannes Lukas im kontinuierlichen Training der vergangenen Jahre, sie haben sie behutsam aufgebaut und an die höheren Belastungen herangeführt. "Es war dann so, dass sie jede Woche besser wurde", sagt Lukas, und dann war eines auch schon absehbar: "Dass die Elvira mindestens genauso gut werden wird wie Hanna."

Erst trainierte Wolfgang Pichler die Schweden, dann übernahm Johannes Lukas

Der schwedische Erfolg ist ein Gemeinschaftsprojekt. Die Grundlage legte noch Wolfgang Pichler, der bis 2019 hauptamtlich die Schweden trainierte. Er hat 2015 die Talente im Land gesichtet und zusammengeführt, die Durchschnittlichen aus dem Kader gestrichen. Alle Athleten des schwedischen Kaders mussten nach Östersund ziehen, "wir sind mindestens fünf Tage in der Woche zusammen", sagt Johannes Lukas. Trainingslager bestreiten Männer und Frauen zusammen, sie haben dieselben Trainer und Physiotherapeuten. "Es ist einfach eine kleine Familie, die auf Reisen ist", sagt Lukas, "es gibt wenige Teams, die ich gesehen habe, die so eng zusammenhalten wie wir." An Ruhetagen essen sie Eis zusammen, spielen Golf. "Am nächsten Tag bist du wieder der Trainer oder Athlet, und dann wird knallhart gearbeitet. Da ist viel Respekt da für die gegenseitige Arbeit."

Die Spiele in China nennt er trotzdem eine "Riesenbelastung", die ganze Vorbereitung war kräftezehrend, seit mehr als sechs Wochen war er schon nicht mehr zu Hause bei Familie und Freunden. Der Münchner war erst Co-Trainer unter Pichler und übernahm dann eine hoch veranlagte Truppe aus Olympiasiegern wie Öberg, frischen Weltmeistern und Talenten. In Schweden erwarten sie jetzt Medaillen. Die goldene der Frauen bedeutet auch Lukas eine Menge. "Da merkt man, es ist alles wert, was man gemacht hat", sagt er.

Das alles soll aber erst der Anfang sein, eine fertige Athletin ist Elvira Öberg noch nicht. "Ich will jetzt nicht den anderen Angst machen", sagt Lukas und lacht ein bisschen, er ist ja auch in einer glücklichen Position: "Ich habe noch eine große Liste mit Sachen, die wir entwickeln können."

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