Es gibt Orte, die sind gemacht für ikonische Bilder, und das Beachvolleyballstadion unter dem Eiffelturm lieferte am Samstagabend welche, die jedes sporthistorische Buch schmücken werden. Um 23.09 Uhr, angestrahlt vom Flutlicht, das Wahrzeichen von Paris in den Nachthimmel ragend, sank Nils Ehlers in diesem Gemälde von einer Kulisse einfach zu Boden. Allerdings hatte Ehlers dabei seinen Kopf vor Trauer und Wut in die Hände gelegt. Sein Partner Clemens Wickler stand noch, dann ging er zu Ehlers hin und half ihm, wieder aufzustehen.
Ihre Gegner David Ahman und Jonatan Hellvig waren in diesem Moment Olympiasieger geworden, durch einen 2:0 (21:10, 21:13)-Erfolg über die Deutschen. 34 Minuten hatten sie für diesen Sieg nur gebraucht, am Ende konnten Ehlers und Wickler einem fast leidtun. „Diese Aufmerksamkeit auf dem Spiel – und dann so reinzuscheißen, ist natürlich sehr, sehr ärgerlich“, sagte Wickler später um ein Uhr nachts bei der Pressekonferenz: Er hatte ein „Kopfthema“ bei sich und Ehlers ausgemacht in diesem Finale, „wir haben Gold vor Augen gehabt und sind dann mental komplett zugegangen. Das war das schlechteste Spiel der Saison.“
Schnell und variabel wollten Ehlers/Wickler spielen – doch das Duo startet extrem nervös ins Finale
Ein einziges von zwölf Duellen mit den Schweden hatten die Deutschen zuvor gewonnen, und das war auch ein eher unbedeutendes gewesen: 2023 beim Weltserienturnier in Tepic, Mexiko, in der Gruppenphase. Die bisher bitterste Niederlage: Europameisterschaft im selben Jahr in Wien, Viertelfinale – viel knapper als mit diesem 1:2 (26:24, 17:21, 14:16) konnten Ehlers und Wickler nicht aus dem Turnier ausscheiden. Beide Teams kennen sich also gut, waren schon im gemeinsamen Trainingslager auf den Kanarischen Inseln, am Tag vor dem Olympiafinale haben sie noch gemeinsam im Sand geübt.
Im Endspiel von Paris würde es darauf ankommen, „das variable, schnell aufgezogene Angriffsspiel“ der Schweden zu erschweren, wie Bundestrainer Thomas Kaczmarek vor der Partie sagte. Das Rezept: druckvolle Aufschläge. Doch dann starteten Ehlers und Wickler extrem nervös, reihten Aufschlag- und Angriffsfehler in Serie aneinander. 0:3 stand es, dann 5:9, die Schweden bauten ihre Führung verlässlich aus. Bei 20:10 hatten sie den ersten Satzball, ein Spielstand, der einen Klassenunterschied aufzeigte. Und dann pfiff der Schiedsrichter Ehlers auch noch ein unsauberes Zuspiel ab.
Der Stil von Ahman und Hellvig hat mit klassischem Beachvolleyball nicht mehr viel zu tun – etabliert sich aber immer mehr
Wer im zweiten Satz dachte, es würde ein anderes Spiel werden, ein spannenderes, der sah sich getäuscht. Die Schweden spielten einfach routiniert weiter, Ehlers und Wickler legten dagegen nie ihre Nervosität ab. 7:10 und 9:12, das waren noch die knapperen Rückstände im zweiten Satz. Auch die Statistiken sprachen allesamt für die Schweden. Sie machten nur drei Aufschlagfehler, Ehlers und Wickler acht. Während dem deutschen Duo zwölf Angriffsfehler unterliefen, leisteten sich Ahman und Hellwig gerade mal drei. Auch im Blockduell lagen die späteren Olympiasieger klar vorne, 4:1.
Bei ihrem Halbfinalsieg gegen die Titelverteidiger Anders Mol und Christian Sörum aus Norwegen hatten die Deutschen phasenweise herausragenden Beachvolleyball gezeigt. An diese Leistung hätten sie im Endspiel überhaupt nicht anknüpfen können, sagte Wickler später: „Erklären kann ich mir das auch noch nicht. Auf dem Feld waren die Beine komplett schwer, vielleicht haben wir zu viel gewollt.“
Ahman, 22, und Hellvig, 22, haben einen Stil geprägt, der mit dem klassischen Spiel im Sand nicht mehr viel zu tun hat, sich aber immer mehr etabliert. Es ist ein Freestyle-Beachvolleyball, den schnelle Sprungzuspiele oder Überkopfpässe prägen, was es dem Gegner extrem schwer macht, zu blocken. Oft nutzen sie bereits den zweiten Ballkontakt für Überraschungsangriffe. Mit diesem flexiblen System sind sie 2022 und 2023 Europameister geworden, 2023 gewannen sie WM-Silber. Nun folgte also die Krönung mit Olympiagold. Dabei mussten sie im Finale gar nicht so sehr auf ihr System bauen, die Deutschen machten es ihnen viel zu leicht.
Das Schöne an diesem Sport: Nach dem Finale feierten sie trotzdem alle zusammen, auf der Tribüne die Fans, im Sand die Gegner. Nach dem 108. und letzten Spiel dieses olympischen Turniers war dies auch eine Erkenntnis: Beide hatten gewonnen, die Favoriten Gold, Ehlers und Wickler Silber. Sie werden sich bald freuen über diese Medaille, mit der überhaupt nicht zu rechnen war. Wickler verließ die Beachvolleyballarena unter dem Eiffelturm dann noch mit einem Versprechen: „Wenn wir noch mal die Möglichkeit haben, irgendwann ein ähnliches Finale zu haben, machen wir es besser.“
Danach ging es ein paar Hundert Meter weiter ins italienische Restaurant „In Casa“ in der ruhigen Seitenstraße Rue Desaix. Dort kamen die Silbergewinner um 1.47 Uhr an, sie wurden mit Wunderkerzen und viel Applaus von Dutzenden Freunden und ihren Familien empfangen. Auch Jonas Reckermann, der Olympiasieger von 2012, hielt eine Kerze, wie Markus Dieckmann, der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes. Dieckmann und Reckermann sind 2002 und 2004 zusammen Europameister im Sand geworden, so schloss sich der Kreis.
Ehlers und Wickler liefen also durchs Spalier, behängt mit Luftschlangen, und natürlich wollten alle Fotos mit ihnen knipsen bei dieser kleinen, fröhlichen Outdoor-Party. „An Tagen wie diesen“ lief, Tote Hosen beim Italiener. Und so langsam kam bei den Olympiazweiten das Lächeln zurück.