Die Bühne war seine, also genoss er sie. Tom Daley hat in seinem Leben schon Tausende Sprünge vom Zehn-Meter-Turm absolviert, viele unter hoher innerlicher Anspannung, aber manchmal kommt die pure Freude durch. Willkommen im Aquatics Centre, Montagmittag in Saint-Denis: Im vorletzten Durchgang der Turmspringer wippte Daley kurz vor seinem Sprung zum Takt der Musik. Im Publikum jubelten ihm sein Ehemann und die zwei Kinder entgegen, genau dafür war der Brite ja hierhergekommen: Diese Olympischen Spiele sollten sein Familienfest werden.
Tom Daley, 30 Jahre alt, ist der Star seines Sports, und dieser Moment des Fußwippens ist schon Teil seiner Geschichte: Er lässt unfassbar Schweres unfassbar leicht aussehen. Mit seinem Partner Noah Williams sprang er am Ende zu Silber. Als ihm die Medaille umgehängt wurde, schickte Daley immer wieder Küsschen ins Publikum und formte mit den Händen ein Herz. Später sah man ihn neben dem Beckenrand Interviews geben, und nur knappe drei Meter über ihm klebte seine Familie an der Bande, alle möglichen Kameras auf sie gerichtet. „Das war extrem besonders, sie hier zu sehen“, sagte Daley, „ich bin unglaublich glücklich.“ In der Halle jubelten ihm Tausende Fans zu, Daley ist ja auch über seinen Sport hinaus bekannt: Fast dreieinhalb Millionen Follower verfolgen auf Instagram sein Leben, über eine Million bei Youtube.
Seit seinem zehnten Lebensjahr steht Daley im Rampenlicht
Diese Spiele in Paris hatte Daley eigentlich nach dem Olympiasieg 2021 in Tokio gar nicht eingeplant, zwei Jahre nach seinem Triumph war er bei keinem großen Wettkampf angetreten. Offiziell zurückgetreten ist er damals nicht, aber er wollte seinem Leben eine andere Richtung geben und ein normales Familienleben führen. Seit seinem zehnten Lebensjahr steht Daley im Rampenlicht, war 2008 als 14-Jähriger schon bei Olympia in Peking dabei, man kann schon sagen: Er liebt dieses Spektakel.
Eines Tages machte die Familie dann einen folgenschweren Ausflug. Der ging ins Olympiamuseum in Colorado, und da schauten sie sich einen emotionalen Film an – und dann liefen Daley plötzlich Tränen übers Gesicht. Sein Mann Dustin Lance Black, Oscar-prämierter Filmemacher aus den USA, wusste sofort, was das bedeutete. Vor allem aber war es ihr Sohn Robbie, der dann sagte: „Dad, ich will dich bei Olympia sehen.“ Tom Daley sagt: „Wenn deine Kinder das von dir wollen, machst du das.“

Die Wettbewerbe vom Zehn-Meter-Turm sind die Königsdisziplin im Wasserspringen, auch wegen der Schmerzen, die man dafür in Kauf nehmen muss. Jeder Fehler wird von der Wasseroberfläche böse bestraft. Daley hat sich schon die Hand gebrochen und den Trizeps gerissen, wie viele Turmspringer touchierte er auch schon nach dem Absprung mit dem Kopf den Turm. Weitergesprungen ist er danach trotzdem. Viele seiner Entscheidungen hängen mit seinem verstorbenen Vater Robbie zusammen. Er war sein größter Fan. 2008 in Peking sah er Daley noch springen, da war sein Gehirntumor schon diagnostiziert. Ein Jahr vor Daleys Bronze-Medaille in London verstarb er. „Er war ein Grund, warum ich mit 14 schon bei den Olympischen Spielen war. Ich wollte, dass er noch sieht, wie ich eine Medaille gewinne“, sagte Daley neulich der BBC. Den gleichen Enthusiasmus, den sein Vater gelebt hat, will Daley seinen Kindern mitgeben.
Erst vor einem Jahr war der Entschluss gefasst, wieder ins Training einzusteigen, eine extrem kurze Zeit, um in Medaillenform zu kommen. Fit gehalten hatte er sich schon, aber er musste doch die eine oder andere Extra-Schicht einlegen. „Dass ich wieder in Wettkampfform komme, hätte ich am Anfang nicht gedacht“, sagte er am Montag in Paris. „Ich musste eine Balance finden, wie ich bei meiner Familie sein und trotzdem trainieren konnte. Nichts ist mir wichtiger, als Zeit mit meinen Kindern zu haben“, sagte Daley, dessen Kinder von einer Leihmutter ausgetragen wurden. Erst seit November trainiert er mit seinem Partner Noah Williams, auf dessen Schultern auch eine gehörige Last lag. Nur mit ihm war Daleys Erfolg in Paris überhaupt möglich.
Eine eigene Modefirma hat er gegründet, der Name: „Made with love“
Wer Daley in diesen Tagen beobachtet, der sieht nicht nur einen Sportler, sondern auch einen Menschen, der zu sich gefunden hat. Natürlich sitzt er wieder strickend auf der Tribüne, wenn andere Wettkämpfe laufen, das Hobby hatte er sich in der Corona-Pandemie zugelegt. Danach wurde ihm so viel Aufmerksamkeit zuteil, dass es sich lohnte, daraus ein Business aufzubauen. Mittlerweile gibt es Strickbücher von Tom Daley, eine eigene Modefirma hat er gegründet, der Name: „Made with love.“
Und dann ist da noch das Handtuch in Regenbogen-Farben, das nun auch im olympischen Finale von den Kameras eingefangen wurde. Als einer der wenigen Spitzensportler hat der Brite seine Homosexualität öffentlich gemacht, mit 19 Jahren. Seitdem setzt er sich damit auseinander, unter welchen Bedingungen queere Menschen rund um den Globus leben müssen. Vor ein paar Jahren noch war er strikt dagegen, große Sportwettkämpfe in Länder zu vergeben, die Homosexualität kriminalisieren, Katar etwa. Aber Daley hat aus der LGBTQ-Community gelernt, dass es besser wäre, in den Dialog zu treten. Er hat ein Manifest verfasst, wie sich queere Sportler bei Großveranstaltungen sicherer fühlen und hofft auf die Umsetzung bei großen Sportveranstaltungen. Bei der Eröffnungsfeier der Commonwealth Games 2022 durfte Daley eine Rede über die Probleme der LGBTQ-Sportler halten, für die Szene war das ein historischer Erfolg.
Als Fahnenträger für Großbritannien war Daley bei der Eröffnungsfeier über die Seine geschippert, nun hat er tatsächlich noch einmal eine Medaille geholt, seine fünfte bei Olympischen Spielen, die er nun ebenfalls zum fünften Mal erlebt. Das chinesische Weltmeister-Duo Lian Junjie und Yang Hao schnappte sich souverän Gold, Bronze ging an die Kanadier Rylan Wiens und Nathan Zsombor-Murray. Timo Barthel und Jaden Eikermann belegten Rang sieben. Ob das endgültig seine letzten Spiele waren, wurde Daley gefragt – festlegen wollte er sich nicht. Seit einem Jahr lebt er mit seiner Familie in Los Angeles, genau dort geht es 2028 um die nächsten Medaillen. „Ich will gerade nur den Moment genießen“, sagte Daley noch. Und dann ging es in die Arme seiner Liebsten.