Patzer bei den Olympischen Spielen:Irgendwas mit Korea

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Sportler und Betreuer der „Republik Korea“ bei der Eröffnungsfeier in Paris - und nicht aus der „Demokratischen Volksrepublik Korea“, wie es irrtümlicherweise hieß. (Foto: Lee Jin-man/Pool/Getty Images)

Aus Südkorea wird viel Geld ins Fest der Ringe gespült und die Sportler nutzen die Spiele von Paris als Plattform. Umso peinlicher, dass die Delegation bei der Eröffnungsfeier als Abordnung des Nachbarstaats angekündigt wurde.

Von Thomas Hahn, Seoul

Neuntausend Kilometer entfernt von Paris macht es „zang“, und dann „plopp“. In der Ausstellung „Der Weg eines Bogenschützen“ im Motorstudio des Automobilunternehmens Hyundai in Goyang bei Südkoreas Hauptstadt Seoul hat das zwanglose Touristenturnier begonnen. Mit Anfängerbogen und stumpfen Pfeilen visieren die Gäste virtuelle Zielscheiben auf einer Videowand an. „Zang“ macht es, wenn sie die angezogene Sehne loslassen, „plopp“, wenn der Pfeil gegen die Wand prallt. Und alle Beteiligten dürfen das Gefühl haben, für ein paar Augenblicke in Südkoreas olympische Welt einzutauchen. Denn Bogenschießen ist ein wichtiger Teil davon als einziger Sport, in dem der Tigerstaat eine Art Weltmacht ist.

Diese Dominanz wiederum ist weitgehend eine Schöpfung von Hyundai, dem drittgrößten Autohersteller der Welt. Seit Jahrzehnten steckt die Firma viel Geld und Erfindergeist in den Präzisionssport. Die kleine Ausstellung im größten Show-Raum des Unternehmens ist ein Zeugnis dieser Beziehung. Neben der Selbsterfahrung ist der Bogenschützenroboter auf Rädern zu sehen, der bei der Auswahl der besten Pfeile hilft. Und ein Bogengriff, der per 3D-Druck perfekt an die individuelle Sportlerhand angepasst ist. Die Botschaft lautet: Automobil-Hightech macht Bogenschützen stark. Oder wenn man sie etwas weiter fasst: Ohne Industrie gewinnt man nichts im Leistungssport.

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In Paris läuft unterdessen alles nach Plan für Südkoreas Werksnationalteam. Bogenschützen und Bogenschützinnen haben ihre Teamwettbewerbe gewonnen. Für die Frauen war es das zehnte Mannschaftsgold in Serie bei Olympia. Es ging knapp zu im Finale auf der Esplanade des Invalides gegen China, trotzdem: Dominanz bestätigt. Etwas anderes hätte wohl auch nicht zum Ehrgeiz von Hyundai-Chef Chung Eui-sun gepasst, der so engagiert ist im Bogenschießen, dass er nicht nur Präsident des koreanischen Fachverbandes KAA ist, sondern auch dem Asienzweig des Weltverbandes World Archery vorsitzt.

Südkoreas Sport- und Staatselite ist nach der Eröffnungsfeier empört

Die Art, wie Hyundai dem Bogenschießen zum Erfolg verhilft, erzählt viel über die koreanische Konsequenz, mit der das kleine, von der Natur nicht begünstigte Land nach dem Koreakrieg von 1950 bis 1953 sein rasantes Wirtschaftswachstum erreichte. Vor Olympia 1988 in Seoul verlangte die Regierung des autoritären Präsidenten Chun Doo-hwan von den Chaebols, also den großen Familienkonglomeraten des aufstrebenden Landes, in Sportarten zu investieren für eine gute Medaillenausbeute bei den Spielen daheim.

Hyundai-Gründer Chung Jo-yung entschied sich für das Bogenschießen, weil er im Nischensport wohl die größten Chancen sah. Sein Sohn Chung Mong-koo, Chung Eui-suns Vater, wurde 1985 KAA-Präsident und setzte auf Fortschritt durch Technik. Vor allem im Bogenbau – das erzählte ein Vertreter der Bogenbranche vergangenes Jahr dem Korea Herald, nachdem Südkoreas Bogenteam bei den Asienspielen elf von 30 Medaillen gewonnen hatte: Koreanische Bögen seien „auf den Körperbau der koreanischen Sportler zugeschnitten und gewährleisten eine optimale Leistung“.

Hightech ergänzt ein System aus intelligenter Talentsichtung und effektiven Trainingsmethoden. Es bringt Siegertypen und Trainer hervor, die immer neue Talente inspirieren – so entsteht eine Art Perpetuum Mobile des Erfolgs mit einem atemlosen Wettbewerb, in dem sich niemand ausruhen kann. An San, 2021 Dreifach-Olympiasiegerin von Tokio, ist deshalb nicht dabei in Paris: gescheitert in der nationalen Qualifikation.

Eine von fünf Goldmedaillen für Südkorea: Die Bogenschützen Je Deok Kim, Woojin Kim und Wooseok Lee (v.l.n.r.) waren erfolgreich bei den Spielen von Paris. (Foto: Rebecca Blackwell/dpa)

Ausgerechnet die K-Pop-Nation, die oft so emotional und aufgeregt wirkt, zeigt der Welt, wie man stillsteht und richtig zielt. Andererseits passt Südkoreas Pfeil-und-Bogen-Agenda zu einer Sportnation, die keine Kosten scheut für das Olympiageschäft. Schon zwei Mal waren die Spiele in Südkorea, 1988 in Seoul und 2018 in Pyeongchang – wobei die Investition in die Winterspiele 2018 mit Skisprungschanze und Bobbahn für ein Land ohne echte Schneesporttradition besonders gewagt war. Und diverse Chaebols – nicht nur Hyundai – sehen auch die Spiele in Paris wieder als Plattform. Sie spülen viel Geld ins Fest der Ringe.

Umso peinlicher für das Internationaler Olympische Komitee (IOC), dass dieser Fehler passierte, wie sich nun herausgestellt hat: Südkoreas Team wurde bei der Eröffnungsfeier auf Französisch und Englisch als „Demokratische Volksrepublik Korea“ vorgestellt. Das ist die offizielle Bezeichnung für Nordkorea, die Parteidiktatur des Machthabers Kim Jong-un, die hinter der schwer bewachten Grenzzone auf der anderen Seite der koreanischen Halbinsel liegt. „Republik Korea“ wäre richtig gewesen. Bei Nordkoreas Team passierte kein Fehler.

Südkoreas Sport- und Staatselite war empört. Staats- und Regierungschef Yoon Suk-yeol erklärte, er sei „überrascht und bestürzt“. In Seoul beschwerte sich das Außenministerium bei der französischen Botschaft. IOC-Präsident Thomas Bach entschuldigte sich gar telefonisch bei Yoon für einen „unentschuldbaren Vorfall“ – so zumindest zitierte ihn Yoons Büro in Seoul. Im Statement des IOC war von einem „menschlichen Fehler“ die Rede.

Spielchen mit dem eigenen Nationalstolz können Politiker und Funktionäre in Südkorea nicht zulassen. Sportlerinnen und Sportler sind da möglicherweise nachsichtiger. Oder hat sie der Fehler sogar motiviert, ihr Land bekannter zu machen? Jedenfalls sind sie gut drauf in Paris, nicht nur im Bogenschießen. Fünf Goldmedaillen waren vor den Spielen Südkoreas offizielles Ziel. So viele hatte die Mannschaft aus dem Land der Chaebols schon am Montag, dem erst dritten Wettkampftag gesammelt.

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