Nun ist Léon Marchand also auch noch der Allererste, der eine Goldmedaille im Brust- und im Schmetterlingsschwimmen gewonnen hat. Kein Superlativ macht halt vor dem 22-jährigen Mann aus Toulouse, sein Trainer Bob Bowman, der einstige Coach des Wunderschwimmers Michael Phelps, dürfte weitere Tränen vergossen haben am Mittwochabend. Binnen nicht einmal zwei Stunden holte sich Marchand die Titel über 200 Meter Schmetterling gegen Weltrekordhalter Kristof Milak und dann auch über 200 Meter Brust. Der erste Akt der Marchand-Festspiele, die von allen Schwimmexperten prophezeit worden waren, hatte am Sonntag seinen Olympiasieg über 400 Meter Lagen erbracht.
Aber so laut wie bei diesem atemberaubenden Delfinfinale am Mittwoch gegen Milak waren die 17 000 Zuschauer in der Défense-Arena noch nie. Mit seinen langen, unheimlich effektiven Tauchphasen nach den Wenden pirschte sich Marchand immer näher an Milak heran, auf der letzten Bahn holte er ihn ein. Wie zwei Schaufelradbagger pflügte das Duo durchs Wasser, der Lärm der Fans schmerzte nun nicht mehr nur in den Ohren, sondern erreichte die Dezibelstärke eines Presslufthammers. Und während Milak die Kräfte immer mehr ausgingen, zog Marchand an ihm vorbei. „Es war ein verrückter Wettkampf, aber ich habe eine sehr gute Strategie angewandt und meine Tauchzüge gut genutzt“, sagte er.
Marchand taucht länger als fast jeder andere Schwimmer. Er gleitet unter der Wasseroberfläche wie ein Fisch durch dieses Element, wirkt dabei stromlinienförmiger als andere – und holt Hundertstel, oft Zehntel auf. Während Milak oben schon wieder schaufelte, sah man Marchand unter der Oberfläche noch dahinschweben.
Am Ende schlug Marchand mit der Faust aufs Wasser, da erst spürte man, welch Druck von ihm abfiel in diesem Moment. Er ist für die Franzosen ja eine der großen Identitätsfiguren bei diesen Sommerspielen – exakt dies ist aber auch eine große Bürde: „Ich bin eine sehr schüchterne Person, und dann stand ich wirklich im Zentrum der Aufmerksamkeit bei diesen beiden Rennen“, sagte er: „Es war verrückt, dies als Franzose zu erleben. Ich bin so glücklich.“
Dass Marchand nun das Kunststück gelang, in Brust und Schmetterling auf den 200 Metern Olympiagold zu holen, zeigt, dass er gerade der vielseitigste Schwimmer ist, den das Olympiaschaufenster zu bieten hat. Nicht einmal der Überschwimmer und Allesgewinner Michael Phelps hatte dies jemals geschafft. Er war kein Weltklasse-Brustschwimmer, was ihn nicht davon abhielt, die Lagenstrecke über viele Jahre zu dominieren. Marchand ist nun auch das: ein Brustexperte.
„Ich habe ein bisschen gezweifelt, weil mir alle gesagt haben, dass es unmöglich ist.“
In Schwimmkreisen gilt es als unmöglich, alle Stile auf einem ähnlichen Niveau zu zeigen, das Brustschwimmen ist mit Kraul, Rücken und Delfin kaum kompatibel, obwohl es der Delfinbewegung in der Eintauchphase nicht unähnlich ist. Aber die ständige Hoch-Tief-Bewegung über Wasser gibt es bei den drei anderen Stilen nicht. Marchand sagte später, „ich habe ein bisschen gezweifelt, weil mir alle gesagt haben, dass es unmöglich ist. Trainer Bob sagte mir dann nach der 400-Meter-Medaille: ,Okay, lass es uns machen.‘ Das hat mir das Selbstvertrauen gegeben, das mir gefehlt hat.“ Trainer Bowman ist weiterhin das Gehirn im Hintergrund.
Von den französischen Zeitungen wird Marchand längst in den Himmel gehoben – und in alle Atome zerlegt. Die L’Équipe schrieb am Donnerstag, dass Marchand trotz weitaus geringerer Körpergröße, Schuhgröße und Gewicht ein neuer Phelps sei. Sie erklärte es auch anhand seiner hohen maximalen Sauerstoffaufnahme – und weil er die Fähigkeit besitze, sich schon während eines Rennens zu erholen.
Marchand interessieren solche Analysen wenig. Er sagte: „Diese Beziehung zum Wasser ist sehr intim und instinktiv. Dort bin ich in meinem Element und arbeite jeden Tag daran, die Dichte und den Druck zu spüren.“ Nun sucht er nach dreimal Gold seine nächsten Ziele. „So langsam wird das kompliziert“, erklärte er noch schmunzelnd. Aber warum? Am Freitag ist das 200-Meter-Lagen-Finale – mit König Marchand.