Bronze für Isabel Gose:„Ich wusste: Ich kann das. Und ich habe die Kraft dafür.“

Lesezeit: 3 Min.

So erschöpft, dass sie kaum jubeln kann: Isabel Gose nach ihrem Bronzerennen über 1500 Meter. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Isabel Gose gewinnt Bronze über die harte 1500-Meter-Freistil-Strecke und beweist, dass sie mit der Weltelite mithalten kann. Es ist auch ein Sieg gegen die eigenen Zweifel.

Von Sebastian Winter

Siegerehrungen sind Routineveranstaltungen, sie haben einen streng durchgetakteten Zeitplan. Erhabene Musik, Einlaufen, Winken, rauf aufs Treppchen. Dann die Hymne, Bilder für die Fotografen, eine Runde drehen ums Becken. Wieder winken. Es gibt Schwimmerinnen und Schwimmer, die haben diese Prozedur schon zigmal hinter sich gebracht, die US-Amerikanerin Katie Ledecky zum Beispiel. Auch am Mittwochabend, nach ihrem achten Olympiasieg, über die harte 1500-Meter-Freistil-Strecke. 21 WM-Titel hat sie auch schon gewonnen. Zwei Goldmedaillen fehlen ihr bei den Sommerspielen in Paris noch, dann ist sie, Achtung: die erfolgreichste Olympionikin überhaupt. Noch vor der russischen Superturnerin Larissa Latynina.

So viel zur Fallhöhe.

Das Treppchen teilte sich die 27-Jährige – für die Fotografen – mit der Französin Anastasiia Kirpichnikova, die Silber errungen hatte. Und neben den beiden, auf dem Bronzerang, lächelte Isabel Gose aus Magdeburg und zupfte sich die Medaille zurecht.

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Gose hat geschafft, was Ledecky 2012 in London gelang – ihre erste Olympiamedaille zu gewinnen. In 15:41,16 Minuten stellte sie zugleich einen neuen deutschen Rekord auf. Es war lange Zeit ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen um Bronze, und wieder war die Italienerin Simona Quadarella ihre Rivalin. Vor fünf Monaten hatte sie bei der WM in Doha den Titel über 800 Meter Freistil hauchdünn vor Gose gewonnen, die sich danach viel mehr über verlorenes Gold ärgerte, als sich über gewonnenes Silber zu freuen. Doch diesmal hatte Quadarella das Nachsehen, als Gose nach 1400 Metern und der vorletzten Wende ihre letzten Reserven aktivierte – und Zentimeter um Zentimeter davonzog.

Applaus von der Überfigur: Katie Ledecky beglückwünscht Isabel Gose zu Bronze. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

„Ich habe Simona im passenden Moment geschlagen. So viele Rennen habe ich gegen sie verloren, ich war schon am Verzweifeln, weil das natürlich auch an die Psyche geht“, sagte Gose später, als es bald auf Mitternacht zuging: „Ich wusste einfach auf den letzten 100 Metern: Ich kann das. Und ich habe die Kraft dafür. Und ich habe so sehr an mich geglaubt, dass ich sogar noch fast die Französin geschlagen habe.“ Abgesehen vom Start waren die letzten und die vorletzten 50 Meter Goses schnellste Bahnen des gesamten Rennens.

Gose wäre am Ende fast zerbrochen an der Last dieses Spagats

Gose ist eine eher leise, selbstkritische Frau, die sich selbst wohl am meisten unter Druck setzt. Sie sagte schon ein paar Wochen vor Paris, dass sie im Callroom, bevor es in die Halle hinausgeht, „einfach nur versuche, meine Nervosität in den Griff zu bekommen“. Wenn es nicht läuft, dann ärgert sie sich so sehr, ist so enttäuscht, dass sie ihre Tränen kaum zurückhalten kann. In Paris konnte sie es auch nicht, diesmal waren es aber Tränen der Freude. Vielleicht auch, weil sie weiß, welcher Weg hinter ihr liegt.

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Gose, in Berlin geboren, hat keine einfachen Jahre hinter sich, sie war an vier verschiedenen Schulen und drei verschiedenen Stützpunkten in drei Bundesländern – was das ganze Dickicht des Nachwuchsfördersystems im deutschen Sport ziemlich gut auf den Punkt bringt. Nach Stationen in Potsdam und Heidelberg kam sie schließlich in Magdeburg an, ging nach der zwölften Klasse mit der Fachhochschulreife vom Gymnasium ab, weil Leistungsschwimmen und Lernen zusammen nicht mehr gingen. Sie wäre am Ende fast zerbrochen an der Last dieses Spagats.

Der Wechsel an den Langstreckenstützpunkt zu Bundestrainer Bernd Berkhahn erwies sich dann als goldrichtig für Gose. Und auch, dass sie sich seit Jahren schon von einer Mentaltrainerin unterstützen lässt, hat ihren Horizont erweitert. Sie hat nun den Baukasten, den sie braucht, um genau in solchen Situationen wie in Paris zu bestehen. „Ich glaube, ich muss taktisch noch etwas cleverer werden, die 1500 Meter haben ja auch viel mit Erfahrung zu tun“, sagte Gose der SZ kürzlich noch, als sie im Trainingslager in der Sierra Nevada weilte. Im Rennen gegen die uneinholbare Ledecky, vor allem aber gegen Quadarella, hat Gose nun eine taktische Meisterleistung vollbracht.

Isabel Gose mit Bundestrainer Bernd Berkhahn, der sie in Magdeburg betreut. (Foto: Oli Scarff/AFP)

„Keinem gönnt man es mehr als Isa“, sagte Lukas Märtens später, nachdem er selbst ins 200-Meter-Rückenfinale eingezogen war. Märtens ist nicht nur frischer Olympiasieger, sondern auch Trainingskollege von Gose – und ihr Ex-Freund. Es ist eine ziemlich charmante Dreiecksbeziehung, die sich da jetzt entwickelt hat in Magdeburg. Denn einerseits sind Gose und Märtens schon seit dem vergangenen Sommer kein Paar mehr, zugleich verstehen sie sich aber gut – und Märtens’ Schwester Leonie hat einen ganz hervorragenden Draht zu Gose. Im Finale schwammen sie übrigens beide, Leonie Märtens wurde als Jüngste des Rennens Achte.

Gose erledigte die Interview-Tour dann ziemlich abgeklärt. Vermutlich konnte sie es selbst nicht ganz glauben, dass sie später neben Ledecky bei der Medaillengewinner-Pressekonferenz saß. „Jetzt fällt der Druck erst mal ab. Ich glaube, dass ich heute mental einen ganz, ganz großen Schritt nach vorne gegangen bin“, sagte sie. Aber eines wollte sie schon noch loswerden, ganz ohne Selbstzweifel: „Die Medaillen, die ich bis jetzt gewonnen habe, das waren immer Medaillen, wo wirklich starke Mädels gefehlt haben. Und jetzt waren alle da.“

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