Daniel Wiffen kann sich über die Fans, die ihm zu den Wettkämpfen nachreisen, wirklich nicht beklagen. Am Sonntag bei den Olympischen Spielen plumpsten drei komplett in den irischen Farben gekleidete Freunde in Nanterre aus dem Nahverkehrszug, um sich ihr Idol anzusehen. Ein 24-Stunden-Trip von Dublin nach Paris, mehr als 600 Euro für die drei Tickets, für ein 1500-Meter-Freistil-Rennen eines 23-jährigen irischen Schwimmers. Na gut, Leichtathletik wollten sie sich am nächsten Morgen auch noch ansehen, erfuhr man beim Small Talk auf dem Weg zur Halle.
Aber bevor sie das taten, sahen die drei Männer aus Dublin Wiffen zu Bronze über 1500 Meter Freistil schwimmen. Es war bereits seine zweite Medaille in Paris. Am Dienstag hatte Wiffen Gold über 800 Meter Freistil gewonnen – der erste Titel für einen irischen Schwimmer in der Olympiageschichte.
Aber dieser junge Mann aus Leeds, der mit zwei Jahren nach Nordirland zog (Nordiren können sich bei Olympia aussuchen, ob sie für Großbritannien oder Irland starten), der mit sechs beim Lurgan Swimming Club anfing, bevor er zum Lisburn Swimming Club wechselte, der in Loughborough IT und Wirtschaft studierte, ist einfach ein Typ. Einer, den man nicht so leicht aus dem Kopf bekommt. Wer ihn außerhalb des Pools sieht, mit der markanten Brille, die er dann trägt, der könnte ihn sich auch gut als Computernerd vorstellen, nachts nur am Zocken. Wer ihn dann sprechen hört, in der Interviewzone und bei den Pressekonferenzen, der könnte ihn auch für einen Entertainer halten. Selbstbewusstsein, das hat Wiffen.
Wiffen ist ein Charakterkopf, der dem Schwimmen guttut
Als er nach der Bronzemedaille am Sonntagabend von Silbergewinner Gregorio Paltrinieri auf den bevorstehenden Zehn-Kilometer-Wettkampf im Freiwasser angesprochen wurde, bei dem Wiffen seine Premiere feiert (er ist natürlich der erste Ire, der daran teilnimmt), sagte er nur: „Es ist mein erstes Mal. Vielleicht geht meine Freiwasserkarriere damit richtig los – oder sie ist sofort vorbei.“ Gold im 1500-Meter-Rennen hatte übrigens der US-Amerikaner Bobby Finke gewonnen, in neuer Weltrekordzeit von 14:30,67 Minuten.
Exakt dieses Trio hatte fünf Tage zuvor ebenfalls auf dem Podium gesessen. Nur dass Wiffen als Sieger hereinkam, Finke als Zweitplatzierter und Paltrinieri als Bronzegewinner. Wiffen erzählte von seinem 800-Meter-Rennen, wie schlecht er anfangs war, dass er auf den letzten 20 Metern schier gestorben sei vor Anstrengung. Dass das Einzige, was er aus dem Publikum herausgehört habe, die Stimme seines Bruders Nathan gewesen sei. Und seine Zeit, diese 7:38,19 Minuten, darüber sei er schon etwas enttäuscht.
Die Sätze sprudelten nur so aus Wiffen heraus, er sagte noch: „Ich habe am französischen Unabhängigkeitstag Geburtstag“, der Bastille Day auf Englisch, wegen des Sturms auf die Bastille: „Und dann gab es heute Abend draußen auch noch einen Sturm. Ich sagte nur zu meinem Coach: ,Wir nennen das jetzt Storm Daniel.‘“
Ob Wiffen an dieser Stelle etwa subtil Stormy Daniels – US-Wahlkampf-Interessierte werden diesen Namen kennen – in seine Ausführungen integrieren wollte, weiß man nicht so genau. Seine Sätze fegten jedenfalls wirklich wie ein Sturm durch die Historie. Aber so ist er: Was ihm in den Sinn kommt, das muss auch hinaus. Auf dem Siegerpodest weinte er dann.
Wiffen muss viele Fotowünsche erfüllen: „Ich fühle mich wie Simone Biles.“
Wiffen ist ein wirklich nicht stromlinienförmiger Charakterkopf, der dem Schwimmen auch in Paris guttut. Wiffen ist nun auch: ein Verlierer. Denn die 1500 Meter in Paris waren das erste Rennen auf großer Bühne, das er im Jahr 2024 nicht gewann. Im Februar wurde er über 800 und 1500 Meter Weltmeister, in Paris setzte er seine Serie fort – bis am Sonntag Bobby Finke kam.
Wiffen konnte nach seinem Olympiasieg nicht besonders gut schlafen, erzählte er noch am Samstag, nach dem Vorlauf über 1500 Meter. Dann flossen sie wieder so heraus aus ihm, diese fast filmreifen Sätze: „Ich habe Autogramme gegeben und alles. Sie warten vor meinem Haus, wenn ich zum Frühstück rauskomme, um Fotos zu machen. Fünfhundert waren es. Ich fühle mich wie Simone Biles.“ Selbst sein Aussehen machte er zum Thema: „Offenbar sehe ich besonders aus. Jeder Sportler kommt in der Mensa auf mich zu und bittet mich um Fotos.“
Aber das Beste kommt ja noch, für Fans der Serie „Game of Thrones“. In einer der wichtigsten Szenen, der „Roten Hochzeit“, ist ein kleiner Junge im Hintergrund zu sehen, er sitzt einfach da und lauscht. Der kleine Statist, der er damals noch war, ist: Daniel Wiffen.