Er hieß nicht umsonst Sonnenkönig. Und Royals sagte man damals ein besonders enges Verhältnis zu dem Herrn da oben nach. Bei der Eröffnungsfeier dieser Olympischen Spiele in Paris mögen Louis XIV. die Bilder seiner Nach-Nachfolgerin Marie-Antoinette mit dem blutenden Haupt unterm Arm ja vielleicht so sehr verstimmt haben, weswegen er die Himmelsschleusen öffnen ließ. Aber beim Geländeritt der olympischen Vielseitigkeit am Sonntag tauchte strahlender Sonnenschein den Park von Versailles, die einstige Residenz des Sonnenkönigs, in königlichen Glanz.
Und siehe da, dazu bedurfte es keiner hoch zu Ross die Schneisen entlang galoppierende höfischen Jagdgesellschaft. 40 000 Zuschauer waren herbeigeströmt, schon lange, bevor Julia Krajewski, die Olympiasiegerin im Einzel von Tokio, und Nickel als allererstes Paar die Piste betraten, und amüsierten sich königlich. Wer wissen wollte, wo das nächste Hindernis steht, musste nur dem Jubel folgen, mit dem jeder gelungene Sprung quittiert wurde. In den Minuten zwischen zwei Pferden entspannten sich die Menschen am Ufer, lagen im Gras oder hielten die Füße ins Wasser. Schloss Versailles thronte majestätisch über dem Grand Canal, so fern und doch so nah, immer präsent.
Wie in ganz Paris waren die Sicherheitskräfte auch in Versailles überall, besonders am Eingang zum Wochenendhaus des Präsidenten, zu Füßen des Schlosses, an dem die Strecke in einigem Abstand vorbeiführte. Ursprünglich war es für den Premierminister vorgesehen, dann hatte es sich Präsident Sarkozy unter den Nagel gerissen. Heute residiert hier Familie Macron und hätte vom Fenster die Pferde laufen sehen können. Dem Sonnenkönig hätte die Idee gefallen, seine Nachfolger so tief unter ihm in ihrer Datscha.
Zwei Jahre lang hat Parcours-Architekt Pierre Le Goupil an diesem Kurs getüftelt, dabei saßen ihm Parkverwaltung und Denkmalschutz im Nacken. Nichts durfte so verändert werden, dass es nicht sofort wieder abgebaut werden kann, nichts beschädigt werden oder die Würde des historischen Ortes verletzen. Manchmal habe er erhebliche Überredungskünste aufbieten müssen, erzählt Le Goupil. Immer neue Meetings, immer neue Skizzen.
Etwa der Hinderniskomplex 5/6. Eine historische Teichanlage, umgeben von Treppen und Mäuerchen, die schon lange auf der Renovierungsliste stand. Jetzt entstand für den Betrachter ein anmutiger Wassergarten mit Hecken und einer Fontäne in der Mitte. Für die Reiter, weit weniger romantisch, wartete hier die erste Denksportaufgabe. Wo soll ich rein, wo soll ich raus, welche der vielen Buschhecken nehme ich? Am Ende sah es bei den meisten ganz einfach aus. Rein, raus, rüber und weg!
Herausgekommen sind 28 Hindernisse, verteilt auf 5249 Meter, jedes auf seine Weise schön gebaut und der atemberaubenden Kulisse angemessen. Da hatte einer viele Ideen, aber sich nicht zu Protz und Pomp oder kitschigen Spielereien verleiten lassen. Ein bisschen Kultur musste sein, schließlich sind wir Frankreich. So hatte ein Riese auf einem überdimensionalen Schreibtisch drei Bücher abgelegt, Descartes, Rousseau und Voltaire stand auf den jeweiligen Buchrücken. Neben einem Birkensprung warteten Bär, Wolf und Fuchs aus einer Fabel von Jean de La Fontaine auf die Pferde.
Und kurz vor dem Ziel lasen die Reiter noch „Liberté, Égalité und Fraternité“, die Parolen der Französischen Revolution, bevor ein weißer Sprung mit dem Olympiastadion von Los Angeles 2028 sie in die Endphase entließ. Mehrere Abstecher in den Wald, drei Wasserkombinationen, Wälle und gut ausgenutzte natürliche Bodenunebenheiten gaben der Strecke das Flair des klassischen Cross Country-Kurses. Das war kein Salongelände entlang eines hübschen Gewässers, sondern ein reeller olympischer Kurs, den nur die meisterten, die in ihrem Pferd den Partner und nicht das Sportgerät sahen. Auch der beste Reiter kann ein Pferd nicht über so einen Kurs zwingen, wenn es nicht will.
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Michael Jung setzt sich im Gelände an die Spitze der Einzelwertung
Am Ende des Sonntages hatten die Briten ihre Führung in der Mannschaftswertung ausgebaut, gefolgt von Frankreich und Japan. Die Deutschen blickten auf einen gemischten Tag zurück. Nach einer sehr guten Runde von Krajewski dämpfte der Sturz des zweiten Reiters, Christoph Wahler mit Carjatan an Sprung 16, die Euphorie. Der Schimmel blieb mit dem linken Hinterfuß an einer Grabenkante hängen – den Reiter hob es aus dem Sattel, er musste ausscheiden. „In erster Linie guckt man natürlich, wie geht es dem Pferd. Er ist zum Glück nicht gefallen, hat sich nicht weh getan. Ich selbst habe es kaum gemerkt. Der schlimmste Knacks ist jetzt eher der mentale“, sagte Wahler nach seinem Ritt. Damit waren auch die deutschen Hoffnungen auf eine Team-Medaille im Nirwana, auf Zwischenrang zehn verschwunden. Seitdem nur drei Reiter starten dürfen und es kein Streichergebnis mehr gibt, hat jeder Fehler fatale Folgen.
Dafür befeuerte Michael Jung die deutschen Hoffnungen auf eine Goldmedaille im Einzel – mit einem grandiosen, sicheren Ritt auf dem 15-jährigen Chipmunk. Ohne Zeitfehler nahm er im Gelände mit 17,80 Punkten der besten Britin Laura Collett auf London die Führung ab. Ein Triumph im abschließenden Springreiten am Montag (15 Uhr) wäre sein vierter bei Olympia. Bis dahin sind es noch rund 20 Parcours-Sprünge.
„Ich bin sehr guter Dinge“, sagte Jung. „Chipmunk ist toll ins Ziel gekommen, und ich glaube, er ist morgen genauso knackig drauf.“ Bundestrainer Peter Thomsen versuchte ein Resümee: „Die Mannschaft ist geplatzt, mit 200 Minuspunkten sind wir aus den Medaillen raus. Und deswegen kann ich nicht nur strahlen.“ Dafür sei Chipmunk „mit gespitzten Ohren“ über die Hindernisse geflogen. Er sei sehr zuversichtlich, sagte Jung noch, „aber ich denke noch nicht an Gold.“ Wetten, dass doch?