Tennis bei Olympia:Kerber glänzt noch einmal wie früher

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Nervt ihre Gegnerinnen auf dem Platz fast wie früher: Angelique Kerber glänzte gegen die Japanerin Naomi Osaka mit Stoppbällen. (Foto: Violeta Santos Moura/Reuters)

7:5, 6:3 gegen Naomi Osaka: Das vermeintlich letzte Spiel von Angelique Kerber ist gar nicht ihr letztes. Überraschend erreicht die 36-Jährige die zweite Runde – ihr Entschluss, nach Olympia die Karriere zu beenden, bleibt bestehen.

Von Holger Gertz, Paris

Wenn jemand seinen Abschied angekündigt hat, fühlt sich alles neu und anders an. Das letzte Mal ist immer ein Einschnitt – zu wissen, dass das letzte Mal bevorsteht, kann befreien, vielleicht auch belasten. Es hängt von der Situation ab, und natürlich auch vom Typ, der man ist. Als der Fußballer Toni Kroos neulich zur Europameisterschaft gefahren ist, hätte nach der Vorrunde jedes Spiel sein letztes sein können. Das Aus der Mannschaft wäre auch seins gewesen, das war ihm und allen im Team klar, und als die anderen rannten, rannten sie auch für eine Karriereverlängerung des großen Meisters Kroos. Komm, gib uns noch ein Spiel. Und sie rannten ja auch mit gewissem Erfolg.

Die große deutsche Tennisspielerin Angelique Kerber hat vor ein paar Tagen bei Instagram erklärt, dass das olympische Tennisturnier das allerletzte ihrer Karriere sein würde. „#Paris2024 wird die Ziellinie der unglaublichsten Reise sein, von der ich je hätte träumen können“, schrieb sie, das klang dankbar und ein bisschen sentimental.

Kein schlechtes Zeichen, wenn das die prägenden Gefühle auf der Zielgeraden sind: Kerber, 36, hat drei Grand Slams gewonnen, war Deutschlands Sportlerin des Jahres. Zuletzt hat sie sich eine Auszeit gegönnt nach der Geburt ihrer Tochter. Wollte noch mal angreifen und verlor dann bei den Australian Open, den French Open und in Wimbledon in der ersten Runde. Ein Hinweis, dass die Zeit tatsächlich gekommen ist. Wer 34 Wochen lang die Nummer eins der Welt war, der geht nicht gerne dauernd durch die Hintertür. Wobei: So richtig vom Karriereende überzeugen kann man sich selbst dann doch nur schwer. Schöner Satz dazu von Angelique Kerber: „Obwohl es tatsächlich die richtige Entscheidung sein könnte, wird es sich nie so anfühlen.“

Faire Verliererin: Naomi Osaka gratuliert Angelique Kerber. (Foto: Violeta Santos Moura/Reuters)

Es war also angerichtet für den Abschied, erste Runde bei Olympia gegen die Japanerin Naomi Osaka. Court Philippe-Chatrier, Roland Garros. Sie spielen auf dem roten Sand der French Open, nicht gerade Kerbers Lieblingsbelag. Und auch nicht Kerbers Lieblingswettbewerb: Bei den Olympischen Spielen 2016 hatte sie im Finale als hohe Favoritin gegen die Puerto-Ricanerin Monica Puig verloren und die Goldmedaille verpasst, eine bittere Niederlage.

Selbst Vollexperten hätten vor dem Match in Paris nicht sagen können, mit welchen Chancen Kerber ins Spiel gehen würde, das – mutmaßlich – letzte Spiel ist schließlich mit keinem anderen zu vergleichen, es gibt keine persönlichen Vergleichswerte. Zieht es einen runter, macht es alles leichter? Das Schlimmste, was hätte passieren können, wäre eine Abreibung in zwei Sätzen gewesen, eine finale Klatsche als traurige Pointe, nach dieser Karriere.

„Es zeigt mir, dass ich tatsächlich gegen die Topspieler weiterhin gewinnen kann“

Dann kam alles ganz anders. Osaka begann stark, aber Kerber fing sich schnell, hatte eine gute Länge in ihren Schlägen, nervte ihre Gegnerin mit Stoppbällen der allerersten Kategorie. Es war, am Ende, fast wie früher. Wenn man in Gesichtern tatsächlich lesen und der Körpersprache tatsächlich lauschen kann, dann erfuhr man von Kerbers stetig wachsendem Selbstbewusstsein, sie feuerte sich an, riss die Faust nach oben. Und: von Osakas zunehmender Unsicherheit. Sie schien sich innerlich zu verhärten. Sie debattierte über Schiedsrichterentscheidungen. Das Publikum fing leise zu murren an, wie vor drei Jahren. Ach ja: Olympia ist auch nicht Naomi Osakas Lieblingswettbewerb. 2021 in Tokio sollte sie ein Star der Spiele werden und flog im Achtelfinale raus.

7:5, 6:3 für Angelique Kerber. Das letzte Spiel war gar nicht das letzte Spiel. Kerber sprach danach, als würde es noch ewig weitergehen: „Es zeigt mir, dass ich tatsächlich gegen die Topspieler weiterhin gewinnen kann, auch auf Sand sogar.“ Und das bei dieser Vorbereitung: Am Abend zuvor hatte sie sich bei der Opening Ceremony komplett nassregnen lassen, es gibt Fotos davon: etwas verloren schaut sie unter einem Regencape hervor. „Ich habe mich bewusst dafür entschieden, bis zum Ende dazu bleiben. Das sind meine letzten Olympischen Spiele“, sagte sie. „Neun Stunden im Regen zu stehen, das war schon sehr kalt. Aber ich habe auf den letzten Moment gewartet, auf Celine Dion. Das war schon sehr emotional, auch für mich mit all den Gedanken an den letzten Tagen.“

Schließlich sagte Angelique Kerber, die fast Vollendete, dass an der Entscheidung fürs Karriereende nicht mehr zu rütteln ist. Aber sie sah auch sehr froh aus, dass es bis dahin noch etwas dauert. In ihrem nächsten letzten Spiel geht es gegen die Rumänin Jaqueline Adina Cristian, Nummer 66 der Weltrangliste. Noch ist die Zeit nicht ganz gekommen.

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