Der Plan ist aufgegangen, und das war am Ende natürlich das, was zählte. Sehr, sehr viele Schüsse aufs Tor hatte sich das deutsche Nationalteam vorgenommen für das dritte und letzte Gruppenduell dieser Olympischen Spiele gegen Sambia. Torhüterin Ngambo Musole wurde dann auch tatsächlich gut beschäftigt. Und Horst Hrubesch konnte nach dem 4:1 (1:0) ein zufriedenes Fazit ziehen, zumindest die öffentliche Version lautete: „Wir haben von Anfang an bis zum Ende gut gespielt. Die Mädels haben es gut gemacht und sich selber belohnt.“ Doch er schickte noch einen Satz hinterher, der gewissermaßen den Kern aller Vorrundenspiele der Deutschen traf: „Sie hätten es sich aber auch leichter machen können.“
Wahrscheinlich sah der Interimsbundestrainer bei dieser Aussage diverse Szenen vor seinem inneren Auge vorbeirauschen. Allein dreimal war der Ball in der zweiten Halbzeit nach Schüssen von Klara Bühl und Janina Minge sowie einem Kopfball von Lea Schüller gegen das Aluminium gedonnert, Vivien Endemann stand bei ihrem Treffer im Abseits. In anderen Momenten brachten sich die Nationalspielerinnen schon auf dem Weg zum Abschluss um ihre Chance. Bühl formulierte das Manko in ihrer Analyse zur Möglichkeit um, ganz im Stile eines Coaches, der Negativem möglichst wenig Raum geben möchte: „Wir haben vorne noch Potenzial für mehr Tore.“

Spionage beim olympischen Fußballturnier:„Alle Top-10-Teams tun es“
Weil ein Videoanalyst das Training der Gegnerinnen mit einer Drohne ausspioniert hat, wurden die kanadischen Fußballerinnen überraschend hart bestraft. Ist Spionage im Spitzenfußball systematisch?
Wer große Ziele hat, muss aber eben immer auch den Fokus darauf legen, was nicht so gut läuft. Um es besser zu machen und sich nicht selbst im Weg zu stehen, wenn einem schon die Gegnerinnen weniger Hürden und Fallen aufstellen als erwartet. Und da dürfte Hrubesch sich wieder mal Stichworte wie Effizienz, Präzision und Nachlässigkeit aufgeschrieben haben. Weil die für ihr robustes Spiel bekannten Sambierinnen diese Defizite nicht zu nutzen wussten und ihre gefährlichen, schnellen Stürmerinnen Barbra Banda und Racheal Kundananji nicht wirkungsvoller waren, hatten all diese Probleme jedoch keine gravierenden Auswirkungen auf das Resultat: Die Deutschen stehen als Gruppenzweite im Viertelfinale, diesen Samstag (19 Uhr, ZDF) wartet in Marseille Titelverteidiger Kanada.
Schüller ist aktuell mit drei Treffern die drittbeste Torschützin dieser Sommerspiele
Entscheidend dafür war, dass Hrubesch tatsächlich auch Grund zum Loben hatte. In der Abwehr konnte der kurzfristige Ausfall von Marina Hegering (vor dem Anpfiff, muskuläre Beschwerden) und Kathrin Hendrich (22. Minute, Augenflimmern nach einem Duell mit Banda) kompensiert werden. Ohne Hegering und Hendrich fehlte die eingespielte Innenverteidigung inklusive der Abwehrchefin Hegering. Bibiane Schulze Solano und Sara Doorsoun aber schafften es, diese Lücke zu füllen. Die Defensive wurde dadurch insgesamt nicht instabiler, was sich auch auf die Vorderleute übertrug und Kapitänin Alexandra Popp zu einer Eloge veranlasste: „Wir haben hervorragend verteidigt. Da macht das Fußballspielen Spaß.“
Es hätte ihr aber sicher weit weniger Freude bereitet, wenn nicht unter all den ausgelassenen Chancen vor allem eine Stürmerin sich mit guter Ausbeute wieder hervorgetan hätte: Lea Schüller. Ihren ersten Treffer in der 10. Minute leitete sie selbst ein, der entscheidende Pass kam dann von ihrer Klubkollegin beim FC Bayern, Klara Bühl. Nachdem diese das 2:0 (48.) selbst erzielt hatte, legte die Flügelspielerin das 3:1 (61.) wieder für Schüller auf. Und hätte diese per Kopf nach einer Ecke von Bühl wenige Minuten später nicht den Pfosten erwischt, hätte die Münchner Schießbuden-Kombination erneut zugeschlagen.

Schüller ist aktuell mit drei Treffern (zusammen mit der US-Amerikanerin Mallory Swanson) hinter der Französin Marie-Antoinette Katoto (5) und Barbra Banda (4) drittbeste Torschützin dieser Sommerspiele. In ihren 65 Länderspielen hat Schüller nun 45 Tore erzielt, in 19 Einsätzen unter Hrubesch konnte sie 18 Mal die Keeperin überwinden. Stand sie sonst im Nationalteam bisweilen weniger im Fokus, setzte der 73-Jährige schon in seiner ersten Interimszeit auf Schüller, er förderte und stärkte sie – mit der gewünschten Wirkung. Allein bei der ersten Zusammenarbeit 2018 in der WM-Qualifikation gegen Tschechien war Schüller gleich viermal erfolgreich.
Viertelfinalgegner Kanada musste sich von der Schwere eines Skandals befreien
Bei der Europameisterschaft 2022 hätte die 26-Jährige vielleicht eine ähnliche Stellung eingenommen, wäre nicht eine vor dem zweiten Gruppenspiel erlittene Covid-19-Infektion dazwischengekommen und Popp zur unangefochtenen, gefürchteten Torjägerin und Anführerin avanciert. Vergangenes Jahr bei der WM lief dann grundsätzlich nicht viel zusammen. Und nun ist Schüller auch deshalb wieder sehr gefragt, weil Hrubesch auf den verletzungsbedingten Ausfall von Lena Oberdorf reagieren musste: Die vakante Sechserposition hat er mit Popp als seiner erfahrensten und mit dieser taktischen Aufgabe bereits vertrauten Spielerin besetzt. Sie soll im Mittelfeld wirken – wenngleich sie gegen Sambia während der Partie offensiver spielte. Im Angriff gibt bei Olympia Schüller den Takt an.
Im Viertelfinale wird es ihre Tore brauchen. Die Kanadierinnen treten nicht nur mit der großen Motivation an, ihren Ruf als Goldgewinnerinnen von Tokio zu verteidigen. Sie mussten sich auch von der Schwere eines Skandals befreien, nachdem ein Teil ihres Trainerstabs dabei erwischt worden war, Auftaktgegner Neuseeland per Drohne auszuspionieren. Dafür waren unter anderem Cheftrainerin Beverly Priestman suspendiert und den Kanadierinnen zudem sechs Punkte abgezogen worden. Mit drei Siegen gelang dennoch der Einzug in die K.-o.-Runde.
Hegering und Hendrich, davon geht Hrubesch aus, werden rechtzeitig fit sein. Auch die Schulter von Schüller scheint nach einem Aufprall nur zu schmerzen, nicht aber verletzt zu sein. Sicherlich auch deshalb verspürte der Bundestrainer viel Angriffslust: „Jetzt geht’s darum, fressen oder gefressen werden“, sagte er. „Das sind mir eigentlich die liebsten Spiele.“