So lange hatten sie es geschafft, Sophia Smith nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. Aber in diesem einen entscheidenden Moment, da schafften es die deutschen Nationalspielerinnen nicht. Felicitas Rauch stand eigentlich gut am Sechzehner bei Smith, es fehlte nicht viel und sie wäre dran gewesen, aber sie verschätzte sich, die US-Amerikanerin kam durch, überwand auch Torhüterin Ann-Katrin Berger – und traf zum 1:0, das dieses Halbfinale im olympischen Fußballturnier zwischen Deutschland und den USA in der 95. Minute entscheiden sollte.
„Es ist sehr bitter, sehr enttäuschend“, sagte Klara Bühl. „Aber wir sind trotzdem sehr stolz, dass wir mit den Besten mithalten können.“ Eine Medaille kann das Team von Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch noch immer holen, diesen Freitag (15 Uhr) treffen sie auf die Weltmeisterinnen aus Spanien, die unerwartet deutlich 2:4 gegen Brasilien verloren. Und vielleicht gibt es dann am Ende dieser Reise, die den Abschied von Hrubesch markieren wird, ja zum vierten Mal nach 2000, 2004 und 2008 Bronze – wenn schon Gold von 2016 nicht verdoppelt werden kann. „Wir haben noch einen Matchball“, sagte Hrubesch in Lyon, „den wollen wir nutzen.“
Dieser Tag aber hatte schon mit zwei Nachrichten begonnen, die nichts Gutes verhießen. Erst verschickte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die Mitteilung, dass Alexandra Popp ausfallen würde. Ein Infekt hatte sie erwischt. Ausgerechnet die Kapitänin und Stütze im Mittelfeld. Wenige Stunden später dann die nächste Information: Auch Lea Schüller konnte nicht eingesetzt werden, die Patellasehne ihres linken Kniegelenks hatte sich entzündet. Ausgerechnet die Stürmerin, die bei diesen Olympischen Spielen mit drei Toren die gefährlichste im deutschen Angriff ist. Damit war Hrubesch zu zwei Wechseln gezwungen, Sydney Lohmann im Mittelfeld und Stürmerin Nicole Anyomi rückten in die Startelf, die Binde übernahm Giulia Gwinn. Auch ohne zwei ihrer wichtigsten Spielerinnen musste es irgendwie gehen.
Gerade erst vor etwa einer Woche hatten sich diese beiden Teams schon einmal gegenübergestanden. 4:1 hatten die USA das zweite Vorrundenspiel gewonnen und die Deutschen ihre Athletik und Offensivpower spüren lassen, vor allem Trinity Rodman, Mallory Swanson und Sophia Smith bereiteten Probleme. Sie in den Griff zu bekommen, war eine der großen Aufgaben bei diesem Wiedersehen. Hrubesch stellte die Formation auf ein 4-4-2 um, Jule Brand und Nicole Anyomi bildeten den Angriff.
Im Gruppenspiel führten die USA zur Pause bereits mit 3:1
Die Kontrolle übernahmen diesmal mit dem Anpfiff die Amerikanerinnen, die Deutschen kamen nicht dazu, wie beim vorherigen Mal ein Überraschungsmoment mit mutigem Offensivfußball zu kreieren. In der vierten Minute schon kam Rodman gefährlich weit nach vorne, legte quer zur freistehenden Rose Lavelle – doch Ann-Katrin Berger fing den Ball souverän. Die deutsche Torhüterin hatte ihren Tank frisch aufgefüllt mit feinstem Selbstbewusstsein: Beim 4:2 im Viertelfinale gegen Kanada hatte Berger im Elfmeterschießen zwei Penalties pariert und den entscheidenden selbst verwandelt.
Berger wurde geprüft, aber bei Weitem nicht so gefährlich wie im Gruppenspiel. Diesmal konnten die Amerikanerinnen zunächst nicht so giftig abschließen, weil die Deutschen sich besser eingestellt hatten. Sie hatten aus der letzten Begegnung ihre Lehren gezogen, vor allem Abwehrchefin Marina Hegering agierte abgeklärt und zuverlässig. Das hatte jedoch den Preis, dass sie sehr damit beschäftigt waren, Rodman und Co. nicht durchzulassen, und sich weniger dem eigenen Spielaufbau widmen konnten. Zu häufig verloren sie bei Kontern den Ball oder verhedderten sich. Die beste Chance leitete Berger in der 24. Minute mit einem langen Abschlag ein, den Schuss von Brand ließ US-Keeperin Alyssa Naeher abprallen – doch weil rechts im Fünfmeterraum keine andere Deutsche lauerte, blieb die Situation ohne Folgen. Aber, zur Erinnerung: Im Gruppenspiel führten die USA zur Pause bereits mit 3:1.
Hrubesch stellte wieder um und zog Brand auf die Außenbahn, Anyomi blieb vorn, Sydney Lohmann agierte offensiver. Und nun wirkte alles übersichtlicher, die DFB-Frauen starteten besser in diese zweite Hälfte, sie blieben defensiv stabil, kamen aber öfter Richtung Strafraum und überhaupt mehr dazu, sich das Spiel zurechtzulegen. Nur machten sie viel wenig daraus, die Bälle gerieten zu ungenau. Wieder fehlte es an Effizienz – und dann waren sie doch wieder da, die USA. Naomi Girma hob den Ball in den Rücken der Abwehr, Mallory Swanson sprintete aufs Tor zu, die herausgerückte Berger streckte sich, aber Swanson kam vorbei, das Tor war leer. Giulia Gwinn und Kathrin Hendrich warfen sich in die Schusslinie, aber das große Glück der Deutschen war, dass der Winkel vor lauter Sprinten zu spitz geworden war und Swanson in der 62. Minute nur das Außennetz traf.
In dieser Phase verloren die Deutschen ihre nächste Führungsspielerin. Hegering hatte schon einen Wechsel angedeutet, eine Hereingabe blockte sie noch, bevor die 34-Jährige zu Boden ging und durch Bibiane Schulze Solano ersetzt wurde. Nach einer Ecke hatte Kapitänin Lindsey Horan per Kopfball die nächste dicke Chance (79.). Sieben Minuten später war der Ball nach so vielen Versuchen auf beiden Seiten dann das erste Mal drin, durch Bergers Beine über die Linie gerutscht, aber Swanson stand klar im Abseits.
0:0, Verlängerung – und Zeit für eine jener Ansprachen, für die Co-Trainer Thomas Nörenberg als Einheizer geschätzt wird. Und so stand er im Kreis, nicht Hrubesch, und rief den Nationalspielerinnen energisch zu: „Wir wollen es ein bisschen mehr! Und wir holen uns die Bälle! Wir sind dran!“ Noch war Zeit. Die Deutschen erkämpften sich Chancen, Berger parierte Schüsse. Aber an diesem Tag, der schon mit schlechten Nachrichten begonnen hatte, waren dann doch die anderen dran.