In der letzten Minute, als dieses kleine Finale des olympischen Fußballturniers eigentlich schon vorbei sein sollte, da drohte das Spiel um Bronze zwischen den spanischen und den deutschen Fußballerinnen tatsächlich zu kippen. Und diese Geschichte, sie hätte statt einem glücklichen womöglich noch ein bitteres Ende bekommen.
Die Deutschen sortierten sich bei einem Freistoß gerade noch, als auf einmal Lucía García am Ball war, Janina Minge wollte klären, sie traf ihre Gegnerin. Und dann ertönte der Pfiff, die Schiedsrichterin zeigte auf den Punkt. Alexia Putellas nahm sich den Ball. Die Kapitänin der Weltmeisterinnen hätte wahrscheinlich ausgeglichen und dieses Spiel in die Verlängerung gebracht, wenn im Tor der Deutschen nicht Ann-Katrin Berger gestanden hätte, die schon im Viertelfinale gegen Kanada ihre ganze Stärke beim Elfmeterschießen gezeigt hatte. Putellas zog ab, Berger blieb lange stehen, ganz cool – und kam ran, in der neunten Minute der Nachspielzeit.
Damit machte sich Berger wieder einmal zur Fußballheldin bei diesen Sommerspielen, sie rettete dieses 1:0 (0:0), rettete Bronze als Abschiedsgeschenk für ihren Trainer Horst Hrubesch. „Es gibt auf jeden Fall Abschiedsgeschenke“, sagte Giulia Gwinn. „Aber das größte Geschenk haben wir uns allen gemeinsam gemacht.“
Hrubesch schrie seine Freude raus, während fast alle Spielerinnen auf Berger zurannten und sie umarmten. „Ich habe keine Ahnung, was ich beim Elfer gemacht habe. Ich habe meinen Kopf ausgeschaltet“, sagte Berger: „Die strahlenden und schreienden Gesichter, die auf mich zugekommen sind, haben mich unendlich glücklich gemacht. Und zu Horst hab ich gesagt: 'Der Letzte war für dich'.“ Hrubesch hatte sie erst kurz vor Olympia zur Nummer 1 berufen.
Ein paar Meter entfernt lagen Kapitänin Alexandra Popp, 33, Abwehrchefin Marina Hegering, 34, und Kathrin Hendrich, 32, auf dem Rasen. Popp und Hegering weinten, ihre Körper bebten, Popp hörte gar nicht mehr auf. Und vielleicht deuteten sich hier also die nächsten Abschiede aus dem Nationalteam an, jetzt, wo der achtmalige Europameister, zweimalige Weltmeister und Olympiasieger von 2016 wieder glänzen konnte in einem Entscheidungsspiel.
Zweimal hatte Hrubesch ein verunsichertes DFB-Team übernommen – und Selbstvertrauen zurückgebracht
„Fehlen wird mir sicherlich irgendwas hinterher, aber es ist keine Wehmut“, hatte Hrubesch vor dem Spiel gesagt: „Dafür war die Zeit einfach zu schön.“ 2018 und nach der WM 2023 hatte der 73-Jährige ein verunsichertes Team übernommen und Selbstvertrauen zurückgebracht. Wenn am Samstag die Medaillenzeremonie nach dem Finale zwischen den USA und Brasilien vorbei ist, endet seine Zeit als Interims-Bundestrainer der Frauen. Christian Wück wird auf ihn folgen bei jener Auswahl, die nun nach 2000, 2004 und 2008 zum vierten Mal Bronze gewinnen konnte – in einem Spiel, das zunächst nicht wirkte, als würde es so spannend enden.
Gegen die kombinationsstarken Spanierinnen wussten sich die Deutschen zu wehren, was fehlte, war wieder einmal die Präzision. In der Hitze von Lyon kostete das unnötig Energie. Die erste richtige Chance hatte in einer insgesamt zerfahrenen ersten Halbzeit Klara Bühl, sie zog in der 19. Minute ab – aber zu ungefährlich für Torhüterin Cata Coll. Die Spanierinnen wurden offensiver. Nach einem ersten Lattenschuss (21.) war es immer wieder Salma Paralluelo, die Ann-Katrin Berger drohte. Wobei die beste Gelegenheit kurz vor der Pause andere hatten: Erst donnerte Aitana Bonmatí den Ball an die Latte, bevor Jenni Hermoso im Nachschuss drüber zog. An beide Schüsse wäre Berger nicht herangekommen.
Bereits in der fünften Minute der Nachspielzeit fordern die spanischen Fans einem Elfmeter
Zur zweiten Hälfte also frische Energie. Lea Schüller hatte gegen die USA noch mit einer entzündeten Patellasehne gefehlt, nun konnte Hrubesch die Stürmerin für die angeschlagene Bühl bringen. Und beinahe hätte Schüller schon nach wenigen Minuten ein Tor bejubeln können, wenn auch nicht ihr eigenes: Minge zog aus der Distanz flach ab, knapp zischte der Ball am rechten Pfosten vorbei. Die insgesamt größere, weil konstantere Gefahr strahlten jedoch die Spanierinnen aus. Immer flüssiger und flinker ließen sie den Ball laufen. Die Deutschen überforderte das. Irgendwie blockten sie die Schüsse aber immer ab, oft war es Berger.
Und dann kam die erste Szene, die in diesem kleinen Finale wirklich zu einer entscheidenden werden sollte. Giulia Gwinn sprang im Strafraum in die Luft auf einen langen Ball zu, Torhüterin Cata Coll ihr entgegen. Nach dem Zusammenprall der beiden zeigte die mexikanische Schiedsrichterin Katia García das erste Mal am Freitagnachmittag auf den Punkt. Gwinn, eine der sichersten Elfmeterschützinnen im deutschen Team traf flach ins rechte untere Eck zum 1:0 (65.).
Kaum war der Jubel über die Führung verflogen, lag schon die nächste Großchance auf dem Tablett serviert bereit: Popp spielte den perfekten Pass durch die spanische Abwehr auf Schüller. Die lief völlig alleine aufs Tor zu, konnte gar nicht anders, als auf 2:0 zu erhöhen. Aus elf Metern schickte die 26-Jährige den Ball los, Cata Coll fuhr ihr linkes Bein aus und lenkte den Ball aus der Gefahrenzone. Hrubesch war fassungslos, wie selten zuvor bei den DFB-Frauen. In der fünften Minute der Nachspielzeit versuchte Putellas nach einem Zusammenstoß mit Popp, die Schiedsrichterin zu einem Elfmeter zu bewegen. Die spanischen Fans riefen „Penalty!“. Doch als es dann tatsächlich soweit war, half das den Spanierinnen auch nicht.