In der 68. Minute brachten die deutschen Nationalspielerinnen ihr Erfolgsmuster durcheinander. Die ersten beiden Tore hatten sie nach Ecken erzielt, effizient, wirkungsvoll. Aber dann zeigten sie, dass sie auch anders können: schön rausgespielt und schnell. Lea Schüller gewann ein Kopfballduell im Mittelfeld, der Ball kam zu Sarai Linder, die rannte und legte quer zu Jule Brand – und als hätte Brand sich das Beste zum Schluss aufheben wollen, war dieser Schuss nach ein paar vergebenen Chancen dann drin zum 3:0-Endstand gegen Australien. „Hätte ich den nicht reingemacht“, sagte die 21-Jährige beim ZDF und grinste, „wäre Horst sicher ausgerastet“.
In dieser Partie ging es in erster Linie um einen optimalen Start in das olympische Fußballturnier, klar. Es ging aber auch darum, ein Signal zu senden an jemanden, der weit entfernt zuschauen musste. Und so hielt Lea Schüller vor dem Anpfiff im Stade Vélodrome beim Teamfoto gut sichtbar ein Trikot von Lena Oberdorf in die Kamera. Als die Nationalspielerinnen einen Kreis bildeten, lag das Trikot in der Mitte von ihnen auf dem Rasen. Oberdorf hatte sich im letzten Spiel vor der Abreise nach Frankreich schwer am Knie verletzt, ihren Ausfall zu kompensieren, wird nun die zusätzliche Herausforderung. Gegen Australien – ebenfalls geschwächt durch den Ausfall von Stürmerin Sam Kerr (Kreuzbandriss) – ist das dem Goldmedaillengewinner von 2016 schon mal gelungen.
Weil Oberdorf fehlte, zog Bundestrainer Horst Hrubesch Kapitänin Alexandra Popp auf die Sechserposition. An ihrer Seite: Janina Minge, die erst durch den Ausfall Oberdorfs in den Kader gerückt war. Eine nicht minder große Umstellung nahm Hrubesch im Tor vor: Er entschied sich für Ann-Katrin Berger anstatt für Merle Frohms, die jahrelange Nummer eins. Berger hatte zuletzt im Spiel gegen Österreich für sich geworben, mit langen Abschlägen war sie zweimal zur Vorlagengeberin geworden. Und genau dieser Kniff zeigte nun auch bei Olympia Wirkung.
Das erste Mal verpuffte der Effekt zwar noch, aber beim zweiten Mal warf Berger den Ball mit all ihrer Kraft wie eine Bowlingkugel über den Rasen. Jule Brand wartete bereits weit vorne, umgeben nur von zwei Australierinnen, alle anderen wussten in der anderen Hälfte offensichtlich nicht, wie ihnen geschah. Brand setzte sich durch, aber als sei sie auf einmal überfordert von der so aussichtsreichen Position – frei, wenige Meter vor dem Tor – donnerte sie den Ball weit über die Latte.
Doch bald darauf strickte das Team sein Erfolgsmuster für diesen Abend. 24. Minute: Ecke von Giulia Gwinn. Marina Hegering lauerte am linken Strafraumeck, wurde nicht gut genug verteidigt und köpfelte den Ball zum 1:0 an Australiens Torhüterin Mackenzie Arnold vorbei. Kurz nach der Pause hatte die offensiv höchst auffällig wirbelnde Brand die nächste gute Gelegenheit. Aber es war dann wieder eine Ecke von Gwinn, die dem zweiten Tor vorausging. Lea Schüller hätte gar nicht so hoch springen müssen, sie war quasi unbedrängt, als sie in der 64. Minute wuchtig und ebenfalls mit dem Kopf erhöhte.
Sich auf Standards verlassen zu können, ist nicht die schlechteste Nachricht für Olympia. Alle anderen Varianten können gerne als Bonus dazu. Am Sonntag (21 Uhr) gegen Rekord-Olympiasieger USA wird es ohnehin auf alles ankommen.