Einen solchen Gesichtsausdruck hatten sie so schnell eigentlich nicht wieder sehen wollen. Aber nun saß Alexandra Popp auf dem Rasen des Stade Vélodrome von Marseille und hielt sich mit schmerzverzerrten Zügen das rechte Knie. Erst knetete sie um ihre Kniescheibe, dann drückte ein Betreuer daran herum, von der Seitenlinie schaute beunruhigt Horst Hrubesch rüber. Es dauerte nicht lange, bis der Interims-Bundestrainer das Zeichen zur Auswechslung sah. In der 77. Minute musste seine Kapitänin auf die Bank und die große Befürchtung war nun: Dass nach Lena Oberdorf, die kurz vor der Abreise mit einer Knieverletzung für die Olympischen Spielen ausgefallen war, noch diejenige fehlen würde, die Oberdorf im Mittelfeld ersetzen soll – und abgesehen davon mit die wichtigste Stütze des deutschen Nationalteams ist.
Dabei hätte fürs Erste die 1:4 (1:3)-Niederlage gegen die USA gereicht, um die Stimmung nach dem 3:0 zum Auftakt gegen Australien zu dämpfen. Das zweite Gruppenspiel lieferte an sich genug Gesprächsstoff für die Analyse, in allen Mannschaftsteilen gibt es Verbesserungspotenzial. Nach dem Schlusspfiff kam jedoch auch Popp mit bandagiertem Knie auf den Platz zurück und gab etwas später eine erste persönliche Diagnose, die ihre Mitspielerinnen beruhigt haben dürfte. „Es ist mein Knorpelknie, das meldet sich hin und wieder mal“, sagte die 33-Jährige. „Es ist in dem Sinne nichts passiert. Es hat wohl einfach von der Ermüdung gesagt: Ich will gerade nicht mehr.“
Gegen Sambia im finalen und nun entscheidenden Gruppenspiel am Mittwoch (19 Uhr, ARD) in Saint-Étienne könnte ihr Knie also wieder stabil sein. Das war die wohl wichtigste Botschaft des Abends. Denn auch noch auf Antreiberin und Anführerin Popp verzichten zu müssen, hätte eine ohnehin schon schwierige Aufgabe noch viel schwieriger gemacht. An Sambia haben die Deutschen höchst ungute Erinnerungen. Vor etwa einem Jahr verpatzten sie gegen die Afrikanerinnen die WM-Generalprobe und ließen sich beim 2:3 viel zu einfach bei Kontern überrumpeln. Wie gefährlich die Offensive um Barbra Banda sein kann, bekamen gerade erst die Australierinnen zu spüren: Nach knapp einer Stunde führte Sambia mit 5:2.
„Es hat nicht unbedingt die viel bessere Mannschaft gewonnen, sondern die effektivere“, findet Giulia Gwinn
Mindestens einen Punkt müssen die Deutschen jedenfalls holen, um aus eigener Kraft die nächste Runde des olympischen Turniers zu erreichen. Neben den ersten beiden Teams jeder Gruppe kommen auch die beiden besten Dritten der insgesamt drei Vierergruppen ins Viertelfinale. Die Weltmeisterinnen aus Spanien und die viermaligen Olympiasiegerinnen aus den USA sind bereits sicher weiter – nachdem sich Letztere nach einem Überraschungsmoment in der Anfangsphase gegen Popp & Co noch gefangen hatten.
Die DFB-Frauen starteten mit auffällig entschlossenem Offensivfußball inklusive guter Chancen. Die erarbeiteten sie sich bis zum Schluss, aber außer durch Giulia Gwinn (22. Minute) konnte keine davon genutzt werden. Die Außenverteidigerin vom FC Bayern analysierte im ZDF, ihr Team habe „von den USA aufgezeigt bekommen, wie man seine Chancen nutzt. Es hat nicht unbedingt die viel bessere Mannschaft gewonnen, sondern die effektivere“. Damit lag Gwinn richtig, zur Wahrheit gehört aber, dass die US-Amerikanerinnen auch deshalb in ihren Rhythmus fanden, weil die Deutschen in der Defensive schwache, nachlässige Momente zeigten, den Druck nicht aufrechterhalten konnten, dadurch selbst unter Druck gerieten und dann teils zu hektisch agierten – was eben auch zu den vergebenen Abschlüssen führte.
Und, das war klar, wenn sie sich einmal eingegroovt haben, sind die USA nur schwer aufzuhalten. Vor allem die Trias aus Trinity Rodman, Sophia Smith (10./44.) und Mallory Swanson (26.) demonstrierte, wie Angriffe nicht nur clever aufgezogen, sondern auch ohne Zögern vollendet werden. Lynn Williams (89.) setzte kurz nach ihrer Einwechslung noch einen Treffer obendrauf. Bei der WM 2023 war das Team übrigens mit dem Achtelfinale ähnlich wie die Deutschen (Gruppenphase) überraschend früh ausgeschieden – aber vor allem in Sachen Athletik bewegen sich die Spielerinnen der englischen Trainerin Emma Hayes nach wie vor auf einem eigenen Level. Vom Selbstbewusstsein mal ganz abgesehen.
„Es gibt keinen Grund, den Kopf runterzunehmen“, fand Horst Hrubesch. „Jetzt haben wir einen auf den Deckel gekriegt. Mehr ist nicht passiert. Es werden viele Weltmeister, die auch nicht alle Spiele gewonnen haben.“ Den Australierinnen ist gegen Sambia am Sonntag übrigens noch eine beeindruckende Aufholjagd gelungen: Den 2:5-Rückstand wandelten sie in einen 6:5-Sieg. Das sollte sich das deutsche Nationalteam also vielleicht in der Vorbereitung zur Sicherheit auch noch anschauen.