Bronze im Teamspringen:"Ich dachte nur: bitte, bitte, bitte, bitte, bitte"

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Sein Schrei durchschneidet die Kälte: Markus Eisenbichler feiert seinen Sprung auf 139,5 Meter. (Foto: Patrick Smith/Getty Images)

Im Teamspringen schafft das deutsche Quartett Platz drei - mit 0,8 Punkten Vorsprung. Lange hatte es so ausgesehen, als käme die Mannschaft bei eisigen Temperaturen von minus 22 Grad nicht vom Fleck. Doch dann kam Markus Eisenbichler dran.

Von Saskia Aleythe, Zhangjiakou

Im Moment des Anlaufs der Skispringer erklingt im Stadion von Zhangjiakou ein Gong, aber davon bekommen die Athleten ganz oben auf dem Turm wenig mit. Markus Eisenbichler sowieso nicht, am Montagabend, da war er nur für sich. Das nehmen sie sich natürlich immer vor, alles ausblenden zu können, was sie von ihrem Sport ablenken könnte, in dem Moment, in dem es auf ihr ganzes Können ankommt: Körperspannung, Position in der Abfahrt, das richtige Timing am Schanzentisch. Diesmal klappte es für Eisenbichler, "ich war komplett im Tunnel drin und habe genau gewusst: Eisei, jetzt kann nichts mehr schief gehen. Jetzt lande einfach nur gut. Und dann ist das geritzt, das Ding."

Als er wieder rauskam aus seinem Tunnel, standen 139,5 Meter auf der Anzeigetafel, auf den Tribünen wedelte das geladene Publikum mit Klapperhänden, doch der Schrei von Eisenbichler übertönte sie mühelos.

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Geritzt war das Ding aber noch nicht. Es war der zweite Durchgang im Teamspringen, Eisenbichler als vorletzter Springer hatte mit seinem weiten Satz gehörigen Anteil daran, dass es später noch ein langer Abend wurde für die Deutschen: Um 0,8 Punkte schlug das Team mit Eisenbichler, Constantin Schmid, Stephan Leyhe und Karl Geiger die Mannschaft aus Norwegen im Kampf um Bronze. Gold ging an Österreich vor den slowenischen Springern auf dem Silber-Rang. Das Team-Bronze war die zweite Medaille für die deutschen Männer auf der Großschanze nach Geigers drittem Platz am Samstag. Es war eine Medaille, um die sie lange gebangt hatten, Eisenbichler hatte am Ende sogar gebetet: "Normalerweise tue ich das selten."

"Vor vier Jahren durfte ich nicht mit hupfen, jetzt wollte ich unbedingt diese Medaille"

Der Anlauf auf seine Olympia-Medaille war ein langer, 2018 in Pyeongchang hatte die Mannschaft Silber gewonnen - doch Eisenbichler durfte nach einem internen Springen gegen Stephan Leyhe nicht antreten. Umso emotionaler war er nun in China: "Vor vier Jahren durfte ich nicht mithupfen, jetzt wollte ich unbedingt diese Medaille haben". Zur Halbzeit hatte das Team auf dem vierten Platz gelegen, nach fünf von acht Sprüngen nur auf dem sechsten Rang. "Wir haben ganz gute Sprünge gemacht, sind aber irgendwie nicht vom Fleck gekommen", sagte Bundestrainer Stefan Horngacher später, die Konkurrenz war ja auch stark, "wir brauchten ein Wunder, und das kam dann zum Glück." Doch vorher hieß es Zittern, in doppelter Hinsicht, es herrschten die eisigsten Bedingungen dieser Spiele, mit minus 22 Grad.

Eisenbichlers Sprung hatte die Mannschaft wieder nach vorne gebracht, dann war Karl Geiger an der Reihe: Den 121 Metern aus dem ersten Durchgang ließ er 128 folgen. "Ich habe ehrlich gedacht, es reicht nicht", sagte er später, "ich dacht' nur: da sitzen jetzt noch drei oben. Unter anderem der amtierende Olympiasieger." Doch dann landete Marius Lindvik aus Norwegen nach ihm bei 126,5 Metern, "ich dachte nur: bitte, bitte, bitte, bitte, bitte". Das waren genug Bitten, um nach Punkten auf Bronze zu kommen. "Jetzt bin ich heilfroh, weil es echt wichtig für das Team gewesen ist", sagte Geiger.

Gleich in mehrfacher Hinsicht aufs Podest gesprungen: Das deutsche Skisprung-Quartett bestehend aus Constantin Schmid, Stephan Leyhe, Markus Eisenbichler und Karl Geiger (von links). (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Startspringer Constantin Schmid kam mit Eiskristallen an den Augenbrauen vor die Mikrofone, doch die Glücksgefühle wärmten ihn. "Es ist das Größte, was ich bisher geschafft habe", sagte er, "ich habe Glück, dass ich in dem Superteam drin war." Der 22-Jährige war bei 126,5 und 122 Metern gelandet und musste dann am längsten warten. Wie er das fand? "Zum Kotzen." Ein Schicksal, das er mit diesem Ausgang dann aber ertragen konnte, "ich bin super happy".

An zweiter Stelle sprang Stephan Leyhe, der das interne Ausspringen gegen Pius Paschke gewonnen hatte. "Es ist immer schwierig, wenn man sich den letzten Platz erkämpfen muss", sagte Leyhe, "aber ich habe heute auch gezeigt, dass ich in einer guten Verfassung bin." Er meisterte seinen Abend mit Sprüngen auf 127,5 und 129 Metern. Und spürte beim Warten auf die Entscheidung nicht mal die Temperaturen um ihn herum. "Kalt war mir eigentlich gar nicht, ich war noch so voller Adrenalin", sagte der 30-Jährige. Anfang 2020 hatte er sich das Kreuzband gerissen, das Ziel Peking behielt er aber im Blick. "Heute habe ich den Pandabären in der Hand, morgen die Medaille. Da freue ich mich drauf."

Geiger ist es gelungen, mitten in den Spielen neu zu beginnen

Und auch für Geiger, den Stärksten im Team, war es nochmal eine Belohnung für diese Tage in China. Es war harte Arbeit, mit der Normalschanze hatte er sich nicht anfreunden können, Platz 15 im Einzel und die Disqualifikation im Mixed-Team trübten die Laune. "Es ging mir dreckig. Ich habe keine Ahnung mehr gehabt, was ich hier eigentlich zu suchen habe", sagte er, doch er konnte nochmal alle negativen Gefühle ausschalten und mitten in den Spielen neu beginnen. Der dritte Platz von der großen Schanze war dann eine Befreiung, die zweite Bronzene mit dem Team nun "richtig cool". Das Resümee des Bundestrainers fiel positiv aus. Natürlich hätte man gerne mehr mitgenommen, Geiger war ja als Weltcup-Führender nach Peking gereist, aber Horngacher lobte, dass sie "nochmal die Kurve gekriegt" haben. Lange schossen die Deutschen noch Fotos von diesem Abend, die Langläufer hatten sie mit einem Plakat am Auslauf angefeuert.

"Ich bin froh, dass ich jetzt endlich eine olympische Medaille habe, jetzt kann ich das abhaken in meiner Karriere", sagte Eisenbichler noch und es wurde auch deutlich, wie viel Kraft die Vorbereitung auf diese besonderen Spiele gekostet hatte. In den zwei Wochen vor dem Abflug niemanden sehen zu dürfen, um Ansteckungsrisiken zu vermeiden, "das war schon hart für mich", sagte er, "da war ich nicht komplett bei mir". Er sei normalerweise ein sehr geselliger Mensch, die Isolation fiel ihm schwer. Doch die Geselligkeit kann er jetzt nachholen, schon am Abend waren noch ein, zwei Bier eingeplant.

Am Dienstag bekommen die Deutschen ihre Medaille, jetzt drückten sie erstmal die Maskottchen an sich, die ihnen bei der Ehrung der Sieger überreicht worden waren. Die Wimpern waren mit Eiszapfen verhangen, aber das machte ihnen an diesem Abend nichts mehr aus.

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