Natalie Geisenberger bei Olympia:Bammel vor der Kurve 13

Natalie Geisenberger bei Olympia: Am Ziel nach zwei nervenaufreibenden Tagen: Natalie Geisenberger gewinnt Gold im Rodeln.

Am Ziel nach zwei nervenaufreibenden Tagen: Natalie Geisenberger gewinnt Gold im Rodeln.

(Foto: Jorge Silva/Reuters)

Im Training ist sie noch gestürzt - doch als es ernst wird, erwischt Natalie Geisenberger viermal die schwierigste Stelle der Rodelbahn. Ihr dritter Olympiasieg als Einzelrodlerin ist ein besonderer.

Von Volker Kreisl

Da war sie wieder, diese klare Art von Natalie Geisenberger, mit ein paar Worten die Luft rauszulassen aus den Interpretationen des Sports. Die hat sie immer gerne korrigiert, wenn es um eine korrekte Darstellung ging. Und ähnlich war es nun wieder, als sie auf die tückische Rodelstrecke von Yanqing angesprochen wurde. Ja, sie sei nervös gewesen vor dem ersten Lauf, sagte Geisenberger, "brutal nervös" sogar, sie habe fast nichts gegessen, aber nicht wegen des Rennens, "sondern wegen der Kurve da unten, Ausfahrt 13".

Vereinfacht gesagt, musste Geisenberger nur viermal diese Ausfahrt treffen, denn ihre Erfahrung, ihre Lenkkunst und ihre optimale Lage auf dem Schlitten hatten sich als überlegen erwiesen. Nur vor der 13, vor der hatte sie Respekt, und diese Passage war dann auch für sie der Schlüssel für Gold, für ihren dritten Olympiasieg als Einzelrodlerin. Die restliche Konkurrenz hatte sie in diesen Tagen sukzessive abgehängt. Silber gewann ihre Berchtesgadener Team- und Trainingskollegin Anna Berreiter vor der Russin Tatjana Iwanowa. Berreiter, 22, hat erstmals vor größerem Publikum bewiesen, dass sie für den Bob- und Schlittenverband Deutschland eine der Erfolgsrodlerinnen der Zukunft werden könnte.

Natalie Geisenberger bei Olympia: Zwei Frauen, zwei Medaillen: Anna Berreiter (links) bejubelt Silber, Natalie Geisenberger neben ihr Gold.

Zwei Frauen, zwei Medaillen: Anna Berreiter (links) bejubelt Silber, Natalie Geisenberger neben ihr Gold.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Geisenberger zählt nun, was olympische Einzel-Olympiasiege betrifft, zu den besten deutschen Athletinnen. Begonnen hatte die 34-Jährige die vergangenen Tage bis zum Erfolg aber mit latenter Sorge und dann sogar einem Sturz. Was so leicht aussieht, war in Wirklichkeit Schwerarbeit, wie sie zuvor schon die Rodel-Männer erlebt hatten. Zwei Nächte lang schwitzt man und wacht aus dem Tiefschlaf auf, wohin diese Bahn mit ihrem speziellen Spannungsbogen die Fahrer auch weiter verfolgt. Denn zwölf Kurven lang geht es recht locker dahin, und dann kann alles plötzlich aus sein. Und im Training war der Miesbacherin dann exakt das passiert, wovor sie größte Bedenken hatte. Sie stürzte, ausgangs der 13.

Als 22-Jährige rodelte Geisenberger in Vancouver zu Bronze, danach sammelte sie bei Olympia alles ein, was sich bot

Darüber kann man als Rodlerin verzweifeln oder die Erfahrung der vielen Jahre nutzen. Geisenberger hatte in ihrer Laufbahn ja schon hunderte, tausende Male knifflige Stellen derart innerlich gespeichert, dass sie auch mit 130 km/h durchfand. Und diesmal wusste sie auch, warum sie den Schlitten gegen die linke Bande gesetzt hatte. Denn das Sonnensegel veränderte tagsüber im Training die Lichtverhältnisse, Geisenberger machte dies schnell als Ursache aus, die aber, wenn es ernst wird, in den Abendrennen, keine Rolle spielt.

Zu Hause in der wegen ihrer optimistischen Stimmung "Sonnenschein" genannten Trainingsgruppe war die Podestfahrerin Geisenberger zunächst oft mal allein unter lauter erfolgreichen Männern, nämlich Felix Loch, den Doppelsitzern Tobias Wendl und Tobias Arlt und nicht zuletzt auch dem Rodel-Ahnen und Olympiasieger Georg Hackl, der sich noch heute mit um das Material kümmert. Mit dieser Weltklasse hielt sie jedoch bald mit. Als 22-Jährige rodelte sie 2010 in Vancouver zu Bronze, danach sammelte sie bei Olympia alles ein, was sich bot: zweimal Einzelgold und zweimal den Sieg mit dem Team.

Wovor Geisenberger nun aber bis zum Schluss höchsten Respekt hatte, das war die Folge der berüchtigten 13, deshalb hatte sie auch gesagt: "Die 13 ist für mich immer so ein bisschen Luft anhalten", weshalb sie am Morgen des ersten Wettkampftages kaum etwas essen wollte. Und obwohl die Folge eines Lenkfehlers mittlerweile bekannt ist, muss man ihn erst vier mal bis zum Ende aller Rennen vermeiden, nämlich: abzuheben.

Wer sich nach der 13 vertut, der hat einen ähnlichen Fehler begangen wie ein sorgloser Spaziergänger mit flachem Schuh-Profil auf Eis - er schlittert und fällt. An dieser Stelle wird die Bahn zu einer angedeuteten Schanze, die Reibung lässt nach, der Schlitten liegt nicht akkurat auf der Ideallinie, schert unweigerlich aus, rumpelt links gegen die Bande, prallt hinüber nach rechts, steigt die Krümmung der rechte Bande hinauf und kippt um, wie es vielen bereits passiert war, auch der eigentlichen ersten deutschen Goldhoffnung Julia Taubitz. Sie war nach dem ersten Lauf noch in Front gelegen, im zweiten dann aber quergestanden und gestürzt und kam letztlich auf Rang sieben.

Verglichen mit anderen Olympia- oder Weltsportlern sind Rodlerinnen und Rodler zumeist heimatverbundene Athleten. Das betrifft Nordamerikaner genauso wie Südtiroler oder eben Miesbacherinnen. Geisenberger, so schien es immer, bleibt jedenfalls auf dem Boden, erst recht, seit sie vor knapp zwei Jahren Mutter wurde. Ihr Alltag als Amateursportlerin von Weltrang und zugleich mit den üblichen Beanspruchungen im Privatleben bedarf exakter Planung. Wie lange sie noch diesen Rhythmus beibehält, ist noch offen, gemessen an ihrer Form von Peking wären ein paar Winter aber wohl schon noch möglich.

Die Aufgabe ausgangs der 13 hat sie jedenfalls auch beim vierten Mal einwandfrei gelöst: Sie hat schon in der Steilkurve die Ausfahrt früh ansteuert, hat die linke Bande links liegen lassen und ist über die Glatteisstelle, man kann sagen, heil hinübergeflogen.

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