Süddeutsche Zeitung

Biathlon bei Olympia:"Wir waren nur noch am Schreien und Kreischen"

Die deutschen Biathlon-Frauen müssen sich gerade jedes Glücksgefühl erarbeiten - umso größer ist die Freude nach der Bronzemedaille mit der Staffel. Über ein Rennen, das viel Frust vergessen macht.

Von Saskia Aleythe, Zhangjiakou

Was sie in China eigentlich macht, wusste Franziska Preuß vor ein paar Tagen nicht mehr. Warum lief sie da, auf dieser Biathlon-Anlage, im dünnen Anzug, mit abgeklebter Nase und abgeklebten Wangen bei minus 15 Grad? Warum hat sie das auf sich genommen, diese Reise mit all dem Aufwand rund um Corona-Tests und Co? Um vier Fehler zu schießen im Einzel, zwei im Sprint? Um 25. und 30. zu werden? "Der Spaß ist gerade weg", sagte die 27-Jährige, "mir reicht es gerade irgendwie."

Doch dann hat sie Antworten gefunden, und spätestens am Mittwochnachmittag in Zhangjiakou, da wusste Franziska Preuß wieder ganz genau, warum sie hergekommen war.

Denise Herrmann, Vanessa Hinz, Vanessa Voigt und Preuß hielten sich an den Händen, dann sprangen sie gemeinsam aufs Siegerpodest, sie tanzten und sangen, zum ersten Mal seit 2010 in Vancouver hat eine deutsche Frauenstaffel bei Olympia eine Medaille gewonnen. Bronze wurde es für das Quartett, hinter den Siegerinnen aus Schweden und Russland auf dem Silberrang. Ein Erfolg, der sie tröstete für die zurückliegenden Enttäuschungen.

Nach dem Einzel und Gold für Herrmann zum Auftakt dieser Spiele hatte es nicht mehr mit einem Platz unter den besten zehn geklappt. Vor diesem Hintergrund war diese Medaille umso besonderer, denn die deutschen Frauen merkten ja, wie hart sie sich gerade jedes Glücksgefühl erarbeiten müssen. Manchmal müsse man "alle Altlasten beiseiteschieben und das machen, was wir lieben und können", sagte Herrmann, man müsse "dem Schicksal seinen Lauf lassen - und jetzt haben wir es geschafft."

Hinz gewinnt nun die Medaille, die sie vor vier Jahren knapp verpasst hat

Es gibt Staffelrennen, in denen einem Einzelnen alles entgleitet; und es gibt solche, in denen er heller erstrahlt als der Rest. Doch diese Bronzemedaille von Zhangjiakou hatten sich die vier zusammen verdient, es war tatsächlich die des ganzen Teams.

Sie waren alle mit ihrer eigenen Geschichte nach China gekommen, da war die Startläuferin Vanessa Voigt: Sie ist die Jüngste, es ist ihre Olympia-Premiere. Die 24-Jährige meistert gerade die erste vollständige Saison im Weltcup und hat sich gleich etabliert in der Mannschaft. In der Mixed-Staffel, dem ersten Wettbewerb dieser Spiele, waren ihr noch zwei Strafrunden unterlaufen, das warf das Team schnell zurück. Doch Voigt konnte das auslöschen, wurde Vierte im Einzel, und am Mittwochnachmittag dann: Versenkte sie alle Scheiben im ersten Versuch, liegend und stehend. Sie übergab in Führung liegend an Vanessa Hinz.

Die 29-Jährige ist schon lange im Team, vor vier Jahren hat sie eine Olympia-Medaille in Pyeongchang knapp verpasst. In der Mixed-Staffel leistete sich ausgerechnet Schlussläufer Arnd Peiffer eine Strafrunde, unterlag im Zielsprint noch dem Italiener Dominik Windisch im Kampf um Bronze. "Ich habe sie vor der Nase gehabt und sie wurde mir weggenommen", sagte Hinz nun in China, "deswegen habe ich heute auch bis zum Schluss gezittert." Ihr Liegendschießen lief optimal, stehend musste Hinz kämpfen. Der fünfte Schuss verfehlte das Ziel. Der erste Nachlader: vorbei. Die Beine begannen zu zittern, Hinz beugte die Knie und baute nochmal Spannung auf. "Dass der zweite dann überhaupt gefallen ist, ich habe es nicht glauben können", sagte sie später. Sie habe nur gedacht: "Okay, ich bring irgendwie diese Schlussrunde rum."

Auf Rang vier ging Franziska Preuß ins Rennen, vorne eilte Hanna Öberg für die Schwedinnen davon. Um Olympia hatte Preuß lange gebangt. Von Anfang Dezember an konnte sie keine Rennen mehr laufen, erst verletzte sie sich am Fuß, zu Silvester kam dann die Corona-Infektion. Starke Halsschmerzen haben sie gequält, Schluckbeschwerden, "ich dachte, der ganze Hals ist offen". Nach zwei Wochen hat sie sich wieder an leichtes Training gewagt, eine halbe Stunde auf dem Ergometer gesessen, für den Kreislauf. "Dann ist es wieder zurückgekommen und es war alles belegt, auch Richtung Bronchien runter", sagte Preuß. Erst Ende Januar ging es wirklich bergauf im Training, sie hatte "kein schlechtes Gewissen mehr sich selber gegenüber, wenn man trainiert".

Gemessen an dem langen Ausfall lief es für sie in China auch gar nicht schlecht, nach dem dritten Platz in der Gesamtwertung im vergangenen Jahr wollte Preuß aber mehr. Im Staffelrennen musste auch sie zwei Nachlader im Stehendanschlag bemühen, verlor läuferisch aber nicht allzu viel Zeit auf die Besten. Nach den ersten olympischen Frusterlebnissen hatte sie viele Gespräche geführt, auch mit Freunden und der Familie. "Sie haben mich daran erinnert, warum ich eigentlich Biathlon mache", sagte Preuß nun, und dann hat vor allem eines geholfen: "Ich habe es geschafft, es so zu akzeptieren, wie es jetzt ist." Dass sie es nach China geschafft hatte und die Strapazen überstand, war nach der Vorgeschichte ja schon ein Erfolg.

Schlussläuferin Herrmann holt gleich auf - am Ende muss auch sie noch zittern

Denise Herrmann ging schließlich auf Position vier auf die Strecke, und sie holte gleich auf: Mit Russlands Uljana Nigmatullina und der Italienerin Federica Sanfilippo schoss sie um Silber, nach einem Nachlader liegend fiel sie hinter die beiden zurück. Erst am Vortag hatten die deutschen Männer die Medaille knapp verpasst, "wir haben versucht, ein bisschen was rauszuziehen", sagte Herrmann: "Es ist wirklich erst zu Ende, wenn der letzte Schuss gefallen und die Schlussrunde rum ist."

Auf der Strecke zog sie dann an Sanfilippo vorbei, mit nur einer weiteren Zusatzpatrone im Stehen ging es auf der Bronze-Position Richtung Ziel. 19 Sekunden hinter ihr lauerte noch Norwegens Marte Olsbu Röiseland, die erfolgreichste Frau dieser Winterspiele. "Am letzten Anstieg habe ich mal geguckt, wer von hinten überhaupt kommt", sagte Herrmann später, sie büßte Vorsprung ein, doch es sollte reichen. "Als sie über die Kuppe gekommen ist, fiel so viel Druck von den Schultern ab", sagte Voigt, "wir waren nur noch am Schreien und Kreischen."

Herrmann lag erstmal platt im Schnee, musste wieder zu Kräften kommen, um auch Jubeln zu können. Für die 33-Jährige ist es nach ihrem Sieg im Einzel nun die dritte Olympiamedaille, 2014 hatte sie mit der Langlaufstaffel Bronze in Sotschi geholt. "Zusammen feiert es sich einfach am schönsten", sagte Herrmann, und auch das: "Dass wir das jetzt wieder schaffen, so viele Jahre später, das ist natürlich richtig cool." Das war dann das deutlichste Zeichen für das vorherrschende Gefühl an diesem Tag: Wo sie "ich" hätte sagen können, wählte sie ein "Wir".

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