Olympia:"Eine dreiste, zynische List"

Olympia: Umstrittenes Paar: Dinigeer Yilamujiang (links) und Zhao Jiawen bei der Entzündung des olympischen Feuers im Pekinger Olympiastadion.

Umstrittenes Paar: Dinigeer Yilamujiang (links) und Zhao Jiawen bei der Entzündung des olympischen Feuers im Pekinger Olympiastadion.

(Foto: Sergei Bobylev/ITAR-TASS/Imago)

Eine uigurische Skilangläuferin entzündet die olympische Flamme, während Hunderttausende ihres Volkes in Lagern interniert sind. Der Schritt provoziert im Westen Entsetzen - das IOC findet die Idee "reizend".

Von Christoph Giesen, Peking und Johannes Knuth

Wenn man ganz genau hinhörte, bei der Eröffnungsfeier dieser XXIV. Olympischen Winterspiele am Freitag, konnte man auch ein Echo aus fernen Zeiten vernehmen. "Don't mix sports with politics!" - wagt es bloß nicht, Sport und Politik zu vermischen, so schien es durch das Pekinger Olympiastadion zu wabern. Hu Jintao, Chinas einstiger Staatspräsident, hatte dieses Bonmot in die Welt gesetzt, als sein Land vor 14 Jahren das erste Mal die Spiele veranstaltete; oft wurde es später rezitiert, von Autokraten und Funktionären. Es war und ist natürlich eine lausige Ausrede, sie lenkt davon ab, was schon 2008 Proteste hervorrief, weltweit: dass auch China den Sport eben gerade nutzte. Um Missstände zu verhüllen.

Heute, 14 Jahre später, spukt Hus Geist noch immer durch die olympischen Hallen, und zugleich hat sich einiges verändert. Denn die Organisatoren in Peking schienen in den vergangenen Tagen gar nicht erst den Eindruck erwecken zu wollen, das Politische aus ihrem Event herauszuhalten. Zunächst hatten sie einen Soldaten für den olympischen Fackellauf nominiert, der einst an einem tödlichen Zwischenfall an der indisch-chinesischen Grenze involviert war. Indien nahm das prompt zum Anlass, seine Würdenträger von der Eröffnungsfeier abzuziehen.

Und dann lancierten die Gastgeber eine Geste, die als eines der politisch gefärbtesten Manöver in die Sportgeschichtsbücher eingehen dürfte - zumindest in die unzensierten Ausgaben: Dinigeer Yilamujiang, eine 20 Jahre alte Skilangläuferin, die im Skiathlon am Samstag dann 43. wurde, eine Uigurin aus der Region Xinjiang, sie schulterte eine der größten Gesten, die die Spiele überhaupt bereithalten: Sie entzündete das olympische Feuer, zusammen mit dem Nordischen Kombinierer Zhao Jiawen. Das alles, während Hunderttausende Uiguren in Xinjiang überwacht, in Lagern interniert und gefoltert werden. China hat das wiederholt abgestritten, der Teppich an Indizien und Belegen ist mittlerweile aber lang und dicht.

Olympia: Alles ganz normal? Chinas Dinigeer Yilamujiang (Nummer 29) während des olympischen Skiathlons am Samstag, den sie als 43. beendet.

Alles ganz normal? Chinas Dinigeer Yilamujiang (Nummer 29) während des olympischen Skiathlons am Samstag, den sie als 43. beendet.

(Foto: Alessandra Tarantino/AP)

Man konnte das Entsetzen aus vielen Statements herauslesen, die sich rasch in den Sozialen Medien türmten. Bennett Freeman, der einer Gruppe von Aktivisten angehört, die gegen die Zwangsarbeit von Uiguren protestiert, klassifizierte den Akt als "dreiste, zynische List", die man nur im Kontext der "Menschenrechtsverbrechen der chinesischen Regierung gegen Uiguren und andere türkische Minderheiten im Westen Chinas" interpretieren dürfe. In jedem Fall sollte der Auftritt wohl eine Botschaft an alle Regierungen senden, die den Spielen wegen Chinas Menschenrechtslage fernbleiben: Seht her, so schien die Nachricht zu lauten, den Uiguren geht es doch prächtig. Wir schicken sie sogar zum Skilanglauf und zum Fackelanzünden!

Mark Adams, der Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), fand das Konzept einer uigurischen Flammenentzünderin übrigens "reizend".

Adams ist ein routinierter Schönfärber des IOC-Betriebs, er nahm Dinigeer Yilamujiangs Auftritt bei einer Presserunde am Samstag einfach die politische Dimension. "Das Konzept, alle Generationen auftreten zu lassen, war exzellent", sagte er, "sie ist eine Athletin, die an diesen Spielen teilnimmt, sie darf am Fackellauf teilnehmen, sie hat jedes Recht, egal woher sie kommt oder welchen Hintergrund sie hat." Als gäbe es den scharfen Kontrast nicht - das Entzünden der Fackel auf der einen Seite, das ja immer auch ein personifiziertes Schaufenster in ein Gastgeberland bietet - und auf der anderen die Grausamkeiten, die Peking in Dinigeer Yilamujiangs Heimat verübt. Adams räumte auch freimütig ein, dass man beim IOC "zu einem gewissen Grad" in die Planungen involviert war und wusste, dass eine Uigurin die Flamme entzünden würde.

Von den Gräueltaten in Xinjiang weiß der überwiegende Teil der Chinesen nichts

Für die meisten Chinesen ist das, was der Westen als Provokation auffasst, ohnehin kein Skandal - nicht einmal die Symbolkraft wird ihnen klar. Von den Gräueltaten, die Chinas Behörden an den Uiguren verüben, weiß der überwiegende Teil der Chinesen nichts. Xinjiang liegt knapp 3000 Kilometer entfernt von Peking, kaum einer war je dort. Die Zeitungen berichten darüber auch nicht, das Fernsehen sendet fast nur Jubelbeiträge, die die wirtschaftliche Entwicklung der Region rühmen.

Uiguren kennen die meisten Han-Chinesen nur vom Bildschirm, sie werden als Delegierte beim Volkskongress gezeigt, die artig die Kommunistische Partei und Staatschef Xi Jinping loben. Oder auch als Tänzer in bunten Trachten, etwa bei der großen Fernsehgala zum Neujahrsfest. Diese Sendung wird jedes Jahr von Hundertmillionen Chinesen geschaut, zuletzt lief sie am vergangenen Montag, dem chinesischen Silvesterabend. Die olympische Eröffnungsfeier war für viele Chinesen wie ein weiterer TV-Abend, und die Uiguren gehören dort irgendwie dazu. Wie vier weitere Athleten aus Xinjiang, die China bei diesen Winterspielen vertreten werden.

Kamaltürk Yalqun war übrigens auch mal ein Repräsentant der uigurischen Gemeinde, der einst für Pekings Zwecke eingespannt wurde: 2008, vor den Sommerspielen, trug er als einer von mehreren Schülern aus Xinjiang die olympische Flamme. Er sei damals sehr stolz gewesen, erzählte Kamaltürk Yalqun zuletzt diversen Medien. Der Zauber, den dieses Feuer entfacht hatte, erlosch spätestens 2016, als sein Vater, ein Autor uigurischer Literatur, verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wegen angeblicher Staatszersetzung. Kamaltürk Yalqun sagt, er habe seinen Vater bis heute nur einmal wieder gesehen: flüchtig, in einer Dokumentation des Staatssenders CGTN vor einem Jahr. Der Sohn lebt mittlerweile in Boston, er nahm zuletzt an Protesten teil, die einen Boykott der Peking-Spiele forderten. Wie Politiker und IOC den Gastgebern schmeichelten, entsetze ihn, sagte Kamaltürk Yalqun: "Wenn solche Gräuel geschehen, geht das uns alle an. Diese kalten Reaktionen brechen mein Herz."

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