Olympia 2022:Auf der Berg-und-Qual-Bahn

Olympia 2022: Hatte im Training schon ordentlich Probleme: der Amerikaner Chris Mazdzer.

Hatte im Training schon ordentlich Probleme: der Amerikaner Chris Mazdzer.

(Foto: Daniel Mihailescu/AFP)

Die schlimmen Stürze der vergangenen Spiele haben zu einem Umdenken geführt: Die Bob- und Rodelstrecke von Peking ist ein langsamerer Kurs - doch damit fangen für die Fahrer neue Probleme an.

Von Volker Kreisl

Wer seinen Sport in einem Eiskanal betreibt, der will sich spüren. Genauer gesagt braucht er Druck. Die Fliehkräfte, die ihn bei hoher Geschwindigkeit in hoch aufragenden Steilkurven ins Eis drücken, machen es aus. Dabei geht es nicht nur um den Rausch des Fahrens, sondern darum, ordentlich zu lenken. Weil dieses Gefühl im Eiskanal von Peking auf allen Fortbewegungsmitteln - Rodel, Skeleton oder im Bob - immer wieder schwindet, droht nun das große Driften.

Die Bahn hat 16 Kurven, und die Probleme beginnen gleich nach dem Start, setzen sich ein paar Kurven lang fort, fordern die Athletinnen und Athleten danach immer wieder, und werden dann im letzten Abschnitt nochmals akut. Jedoch, für jede Schlittenart gelten andere Stolperstellen, weshalb bei dieser fiktiven Besichtigung vom Start bis zum Ziel zwischendurch vom Bob auf den Rodel gewechselt werden muss.

Olympia 2022: Wer nicht geschmeidig durch die engen Fenster kommt, dem drohen dicke Rucksäcke: Die olympische Bob- und Rodelstrecke in Yanqing.

Wer nicht geschmeidig durch die engen Fenster kommt, dem drohen dicke Rucksäcke: Die olympische Bob- und Rodelstrecke in Yanqing.

(Foto: Mark Schiefelbein/dpa)

Am Anfang von allem steht allerdings noch der Eiskanal der Spiele 2010 in Whistler. Es war die Zeit der Tempo-Rekorde, eine Entwicklung, die in der Bahn in Kanada mit dem Tod des Georgiers Nodar Kumaritaschwili und danach vielen weiteren Stürzen endete. Die Geschwindigkeit der Bahn der Spiele in Sotschi 2014 wurde deshalb deutlich gedrosselt, und die von Pyeongchang 2018 war auch deshalb schwer, weil die Kufen teils auf langsamer Bahn weniger Grip bekamen, weshalb zum Beispiel Olympiasieger Felix Loch vor vier Jahren im letzten von vier Läufen doch noch ins Rutschen kam und auf den vierten Platz zurückfiel.

Schon in Kurve eins können die Bobfahrer alles verlieren

Loch steht an diesem Wochenende nun wieder am Start einer nagelneuen Olympiabahn, der vierten seiner Karriere. Am Samstag und Sonntag sind die Männer dran, darauf folgen Frauen, Doppelsitzer und Skeletonis. In der zweiten Woche übernehmen dann die Bobsportler, deren Schwierigkeiten gleich zu Beginn in der "Snow Dragon" genannten Schlängelbahn akut werden können. Oder wie Bob-Bundestrainer René Spies sagt: "Mit einem schlechten Lauf da oben kann man die Spiele für sich schon wegschmeißen."

Denn es ist so: Die gesamte Anlage sei wunderschön, sagt Spies, "sie sieht spektakulär aus, ist gut durchdacht und technisch sehr anspruchsvoll." Nur, wenn die Bobfahrer mit ihrem schweren Gerät sich gegenseitig brüllend aufgeputscht, auf Hände und Rücken geschlagen und sich ins Gehäuse gezwängt haben, dann geht es nicht mehr um Schönheit, dann brauchen sie Geschwindigkeit und Druck. Jedoch, schon ab Kurve eins wird's anspruchsvoll. Denn: "Die Fenster, in denen gelenkt werden kann, sind klein", sagt Spies. Wer den Punkt verpasst, beginnt zu driften. Und weil die Kurve eins die problematische Startphase nur eröffnet, in der bis zur Nummer vier immer wieder wegen Mini-Lenkfenstern leichtes Querstehen droht, wird Olympia für manche womöglich zum kurzen Vergnügen.

Olympia 2022: Der Blick von oben auf die Bob- und Rodelstrecke von Yanqing.

Der Blick von oben auf die Bob- und Rodelstrecke von Yanqing.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

So richtig fehlerfrei kommt wohl keiner durch, denn nach der Sechs folgt gleich die nächste Passage, in der man wie ein Anfänger aussehen kann. Eine lange Gerade mit zwei leichten Knicken. Wer nicht aufpasst, der verlässt die Ideallinie und verliert viel Zeit. Allerdings - danach haben es die Bobfahrer im Wesentlichen geschafft, und weil in ihrer Problempassage auch jene Stelle liegt, in der es leicht bergauf geht, lässt sich sagen, ab da sind die Bobfahrer alles in allem über den Berg. Der Rest dürfte ein schnelles und druckvolles Erlebnis sein, jedenfalls für jene Piloten, die wegen Fehlern nicht schon "einen Rucksack voller Zeit", wie Spies sagt, mit sich herumtragen.

Die Kurve 13 ist der "Scharfrichter für die Rodler", sagt Trainer Norbert Loch

Wie in Prüfungen des sonstigen Lebens, so haben es auch bei Olympia jene gut, die schon früh dran sind und dann wissen, das Schlimmste ist überstanden. Anders als die Bobfahrer erwartet die Rodler ihre schwierigste Passage im unteren Teil, an einer versteckten Stelle, in der wiederum sie ihren Gesamtauftritt "wegschmeißen" können. Ja, auch die Kurven zwei bis vier seien anspruchsvoll, und über den Berg müssen sie auch gut kommen, außerdem erfordert der Rhythmus mit mal kurzer Ein- und langer Ausfahrt und dann wieder umgekehrt von allen starke Konzentration. Aber, sagt Rodel-Bundestrainer Norbert Loch, "der Scharfrichter für die Rodler ist die Kurve 13."

Die 13 ist ein Hufeisen, eine 180-Grad-Kurve, was Spitzenrodler aus dem Weltcup durchaus gewohnt sind. Auch hier muss die richtige Linie getroffen werden, was im unteren Bereich bei Geschwindigkeiten von bis zu 130 Stundenkilometern trotz massiver Kräfte, die auf Rodlerin oder Rodler einwirken, viel Gespür und instinktives Lenken verlangt. Denn das wichtigste an der 13, so Loch, ist deren Ausgang: "Die Kurve selber ist nicht so schwierig, sondern das, was danach kommt."

Der gesamte Kurs bis dahin hatte es ja schon in sich, was die Skeletonis ähnlich trifft: "Manche Passagen gibt es auf anderen Bahnen nicht", sagt Christopher Grotheer, "wenn du Fehler machst, dann kostet das nicht nur Hundertstel, sondern schnell ein Zehntel." Vor allem ganz am Schluss, nach der tückischen 13. Da rasen die Rodler je nach Stärke des Eisausbaus aus dem Hufeisen in eine weitere Gerade mit leichten Kurven, was kurz vor Ende der Reise nochmal höchste Konzentration erfordert: denn auch ein leichter Knick kann, wenn falsch angesteuert, den Rodler an die Bande werfen - und damit gegebenenfalls auch vom Podest.

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