Biathlon bei Olympia:"Wir hatten mehr als nur einen Finger an der Medaille"

Biathlon bei Olympia: Beste Bedingungen sehen anders aus: Philipp Nawrath bei minus 16 Grad am Schießstand. Hier sollte er die Chancen auf eine deutsche Medaille vergeben.

Beste Bedingungen sehen anders aus: Philipp Nawrath bei minus 16 Grad am Schießstand. Hier sollte er die Chancen auf eine deutsche Medaille vergeben.

(Foto: Clive Rose/Getty)

Nach seinem Malheur am Schießstand ist Staffel-Schlussläufer Philipp Nawrath untröstlich. Den deutschen Männern bleibt nur noch eine Chance, diese Spiele in Peking irgendwie zu retten.

Von Saskia Aleythe, Zhangjiakou

Hinter der Ziellinie potenziert sich das Glück. Oder das Leid, je nachdem, wie gut man seine Aufgabe erledigt hat. In so einem Staffelrennen gewinnt und verliert man zusammen, doch jeder muss erstmal alleine seine Prüfungen bestehen. Und wenn dann der letzte Anstieg bewältigt, die Fahrt ins Stadion absolviert ist, dann sieht der Schlussläufer im besten Falle die Kollegen auf sich zu rennen, mit aufgerissenen Augen, Armen in der Luft.

Am Dienstagnachmittag in Zhangjiakou, da stand Philipp Nawrath im Ziel und war ganz allein. Um ihn herum drei Teams, ergriffene Norweger und Franzosen; sie schrien laut, sie hüpften. Auch die Russen kamen kurz zusammen. Philipp Nawrath schnallte die Skier ab und ging davon.

Einsamkeit kann unterschiedliche Gründe haben im Biathlon, kaum zehn Minuten zuvor stand Russlands Schlussläufer Eduard Latypow alleine am Schießstand, die Goldmedaille eigentlich schon in der Tasche. Der 27-Jährige hatte so viel Vorsprung in diesem Olympia-Rennen, dass er ganz verlassen auf der Matte stand, seine fünf Schüsse abgeben konnte, ohne dass jemand in Sichtweite war. Er hatte keinen Druck, schnell treffen zu müssen, durfte sich Fehler erlauben. Doch manchmal ist es am schwersten, wenn es am einfachsten aussieht: Nur eine von fünf Scheiben klappte um. Und dann war die eine Minute Vorsprung verstrichen, Vetle Sjaastad Christiansen für Norwegen und Frankreichs Quentin Fillon Maillet fuhren auf den Schießstand zu - gemeinsam mit Nawrath.

Nawrath kämpfte, brauchte alle Zusatzpatronen - und musste in die Extrarunde

Es ging jetzt um den Olympiasieg. Und, na klar: Nawrath, 29, hatte das schon mitbekommen, was sich drei Matten neben ihm abspielte. "Es gingen viele Gedanken durch den Kopf", sagte er später. Er wusste, "dass man das Ding jetzt hier eintüten könnte" - er als Olympia-Neuling, was wäre das für eine Geschichte? Doch ebenso wusste er auch, "dass da einer Probleme hat und sich das möglicherweise auf einen überträgt". Latypow ließ am Ende zwei Scheiben stehen und bog in die Strafrunde ab, Fillon Maillet benötigte zwei Nachlader, nur Christiansen zog davon. Nawrath brauchte alle Zusatzpatronen und musste trotzdem eine Extrarunde drehen, weil eine Scheibe stehen blieb. Gold ging an Norwegen vor Frankreich und den Russen.

Biathlon bei Olympia: Benedikt Doll (rechts) wechselt in aussichtsreicher Position auf Philipp Nawrath, danach nimmt das Unheil seinen Lauf.

Benedikt Doll (rechts) wechselt in aussichtsreicher Position auf Philipp Nawrath, danach nimmt das Unheil seinen Lauf.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Schlussläufer können die Helden sein oder die, denen alles aus den Händen gleitet. Die Position ist im deutschen Team alles andere als begehrt, selbst in den Jahren, in denen sie Siegläufer hatten, wollte keiner am Ende starten. Philipp Nawrath, der gerade die stabilste Saison seiner Karriere absolviert, hatte davor keine Scheu, er hat sich in dieser Position schon bewährt. Aber Olympia ist doch etwas anderes als der Weltcup. "Das war die erste Strafrunde überhaupt, das ist doppelt und dreifach ärgerlich", sagte er. "Wir hatten mehr als nur einen Finger an der Medaille", sagte Erik Lesser.

Benedikt Doll stand schließlich als Erster zum Trösten bereit. "Er hat sich nichts vorzuwerfen", sagte er an Nawrath gerichtet, "ich habe auch schon genug Strafrunden geschossen in der Staffel." Bevor Nawrath vor die Mikrofone trat, gab es eine kurze Umarmung mit Lesser. "Es tut mir so leid", sagte er und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ach, alles gut", antwortete Lesser. Und er hatte dann auch noch wärmere Worte für ihn übrig: "Philipp ist auf einem super Weg Richtung Star. Superstar hätte er heute werden können, wenn er die Goldmedaille abgeräumt hätte."

Diesen 15. Februar, den hatten sich die deutschen Männer lange ausgeguckt, auch Mark Kirchner wollte nun seine Zeit als Bundestrainer krönen. Etliche sind unter ihm zum Weltmeister und Medaillengewinner geworden, bei Olympia gab es Staffelsilber 2014 in Sotschi und Bronze mit der Staffel 2018 in Pyeongchang. Zu Saisonbeginn hatte Kirchner Gold als Ziel für China ausgerufen. Und das war am Ende ja tatsächlich möglich gewesen, obwohl diese Spiele bisher noch keine Medaille für die deutschen Männer abgeworfen hatten - ganz anders als bei den Norwegern, Franzosen und Russen. Die Medaille hätte auf dem Tablett gelegen, sagte Kirchner, aber sie "einfach runterzunehmen und uns umzuhängen", das habe man leider nicht geschafft.

"Von diesen Spielen nehme ich genau gar nichts mit", sagt Erik Lesser

Startläufer Lesser hatte bei minus 16 Grad mit drei Nachladern im Stehendanschlag Probleme, er übergab als Achter auf Roman Rees. Der 28-Jährige war schon in Pyeongchang dabei, kam aber zu keinem Einsatz, nun machte er seinen Job ordentlich: Mit nur einer Zusatzpatrone lief er vor auf Rang fünf. Benedikt Doll bekam es dann mit Johannes Thingnes Bö zu tun und konnte mithalten, weil er sicher schoss und sich nicht abschütteln ließ. Auch er brauchte einen Nachlader. Auf Rang vier, fast zeitgleich mit dem drittplatzierten Christiansen ging es für Nawrath ins Rennen. Nach fünf Treffern liegend übernahm der Deutsche sogar den zweiten Platz. "Zwischen meinem Stehendschießen bis zu Philipps hat eigentlich alles gepasst", fasste es Lesser treffend zusammen.

Biathlon bei Olympia: Schon wieder Gold: Die Norweger herzen Schlussläufer Vetle Sjaastad Christiansen (Mitte).

Schon wieder Gold: Die Norweger herzen Schlussläufer Vetle Sjaastad Christiansen (Mitte).

(Foto: Odd Andersen/AFP)

Für den 33-Jährigen war es das letzte olympische Rennen, nochmal vier Jahre will er sich das nicht antun, man muss das so ausdrücken, denn er sagte ja auch: "Irgendwie beneide ich Arnd Peiffer, der letzte Saison gesagt hat, Tschüssikowski, Peking gebe ich mir nicht mehr." Lesser hatte 2014 in Sotschi Silber in Einzel und Staffel gewonnen, vier Jahre später auch Bronze mit dem Team, die Spiele jetzt in China waren für ihn entsprechend enttäuschend verlaufen. Im Einzel landete er auf Rang 67, für den Sprint wurde er nicht mehr aufgestellt und so konnte er sich auch nicht für den Massenstart qualifizieren. "Von diesen Spielen nehme ich genau gar nichts mit", sagte er, "weder eine Medaille, noch ein gutes Ergebnis. Eine gute Zeit hatte man hier jetzt auch so begrenzt."

Lesser und Doll sind die einzigen Athleten im Team, die einen WM-Titel oder Olympia-Medaillen feiern konnten. Auch Doll, 31, will nicht nochmal zu Olympischen Spielen. Der Massenstart am Freitag ist die letzte Gelegenheit für die deutschen Männer, in China doch noch an etwas Zählbares zu kommen. Doll und Rees hatten es zu je einem sechsten Platz in Einzel und Verfolgung geschafft, weiter nach vorne ging es für die Männer abseits Platz fünf in der Mixed-Staffel nicht bei diesen Spielen. Was jetzt noch möglich ist? "Einiges", sagte Roman Rees, "aber wie in den ersten Einzelrennen sind die Favoriten sicher wieder andere."

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