Das Sportjahr 2022:Olympia ist verloren

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Protest gegen die Winterspiele in China ist natürlich nur außerhalb Chinas möglich - hier im schweizerischen Lausanne. (Foto: Jean-Guy Python/dpa)

2021 war schlimm, 2022 wird schlimmer: Wie der Sport in der stillen Komplizenschaft mit Autokraten endgültig seine Würde verscherbelt.

Kommentar von Holger Gertz

Wo gerade Bilanz gezogen und abgerechnet wird mit dem Schauerjahr: Olympische Spiele haben 2021 auch stattgefunden. Im Sommer traf sich die Jugend der Welt trotz Corona in Tokio, vorher war debattiert worden: Wie soll das gehen, ohne Fans? Es ging dann doch, unter schärfsten Hygienebedingungen. Und die Pandemie in Japan ist danach nicht außer Kontrolle geraten. Eigentlich ein Prestige-Sieg für das Internationale Olympische Komitee (IOC). Nur: Wen beschäftigt das noch, jedenfalls im Westen?

Schon die Eröffnungsfeier, ein Zuschauermagnet eigentlich, holte in Amerika die schwächste TV-Quote seit 33 Jahren. Die Spiele fanden statt, aber waren aus dem kollektiven Gedächtnis auch schnell wieder verschwunden. Oder wären hier, abgesehen von Weitspringerin Mihambo und Tennisspieler Zverev, viele Medaillengewinner flächendeckend in Erinnerung?

Auch anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte am 10. Dezember in Los Angeles wird gegen die Peking-Spiele demonstriert. (Foto: Damian Dovarganes/dpa)

Gibt Wichtigeres gerade, die Welt ist im Ausnahmezustand. Aber die Organisatoren des großen Sports haben selbst dazu beigetragen, ihn zu diskreditieren. Früher war Olympia ein emotionales Ereignis, die Figuren, die für Spannung und Rührung sorgten, wurden Stars, von Ali bis Almsick. Inzwischen werden die Spiele von Nebengeräuschen gestört, die von einer kritischeren Öffentlichkeit nicht mehr als Nebengeräusche wahrgenommen werden, sondern als das, was sie sind: bedeutsamer als das Theater in den Stadien.

Ein Aktivist muss in russische Lagerhaft - wegen einer Lächerlichkeit

Wenn 2014 in Sotschi ein Aktivist während der Spiele unter den Augen des IOC wegen einer Lächerlichkeit zu Lagerhaft verurteilt wird, zum Beispiel. Oder wenn 2008 in Peking das IOC nicht mal durchsetzen kann, dass das Internet im Medienzentrum unzensiert bleibt. Oder wenn es 2018 die Spiele in Pyeongchang zur Plattform macht, auf der die beiden Koreas sich annähern sollen. Propaganda aus Pjöngjang und fahnenwedelnde Cheerleaderinnen inklusive.

Das IOC hat sich mit Diktatoren und Autokraten so oft und grundsätzlich verbündet, dass man - nicht nur als Journalist, der von Olympia berichtet - diese Verflechtungen nicht mehr nur mitdenkt. Sie stehen längst im Zentrum der Beschäftigung mit den Spielen. Ein Kipp-Punkt ist erreicht: Olympia ist lost - verschattet durch Gewinnorientiertheit, Willfährigkeit, Geschichtsvergessenheit der Funktionäre. Ähnlich der Profifußball, spürbar im Pandemiejahr 2021: Die EM war ein Fest für den ungarischen Autokraten Victor Orbán: In Budapest war die Hütte voll. Der Europäische Fußballverband Uefa kann sich auf Orbán verlassen - auch wenn dessen Politik jede Toleranzkampagne dieser Uefa verhöhnt.

Die Initiativen für Gleichheit und Frieden sind Tünche. Tatsächlich wird jede Moralerwägung von Profitgier erstickt, das Jahr 2022 wird diese Entwicklung weitertreiben. Im Winter die Fifa-WM in Katar, wo beim Aufbau Tausende Gastarbeiter gestorben sind. Schon jetzt zeichnet sich ab, wie die Funktionäre und ihre Trommler alles rechtfertigen: Sind die Arbeitsbedingungen denn nicht schon besser geworden? Katar wird schöngeredet oder schöngelogen werden. Auch was Olympia angeht, die Winterspiele in Peking, wird das gerade versucht. Als der IOC-Funktionär Richard Pound vom Deutschlandfunk gefragt wurde, wie er stehe zu Spielen in einem Land, das Uiguren in Lagern interniert, behauptete er, davon nichts zu wissen. Nun: Wer das nicht mitbekommen hat, der hat auch nicht mitbekommen, dass ein Mond am Himmel steht. Aber die Propagandisten des IOC der Ära Bach versuchen, Peking 2022 zu verbrämen.

Peking 2022, das werden Spiele zwischen Völkermord und der Zerschlagung der Demokratie

Realität ist: Es werden Spiele in einem Land, das mit Völkermord in Verbindung gebracht wird, das die Kultur der Tibeter zerstört, die Demokratie in Hongkong zerschlägt. Das eine Tennisspielerin zum Schweigen bringen kann, nachdem sie aufbegehrt hat gegen die Staatsmacht. Die Funktionäre im IOC halten sich raus, sie sind erprobt in stiller Komplizenschaft mit Machtapparaten.

Vorhersagen für 2022 sind schwierig, man kann die Welt in eine bessere Zeit wenigstens hineinwünschen. Was das Prestige und die Würde des Sportbetriebs und seiner Strippenzieher angeht, ist die Bilanz so klar wie die Prognose: 2021 war verheerend. 2022 wird schlimmer.

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