Tischtennis:Im Finale wartet der Gigant

Table Tennis - Men's Team - Semifinal

Glatter Dreisatz-Sieg im entscheidenden Einzel: Dimitrij Ovtcharov.

(Foto: Luisa Gonzalez/Reuters)

Die deutschen Tischtennisspieler ziehen zum zweiten Mal ins Olympia-Endspiel ein - dort geht's gegen China. Und ein bisschen träumen sie von einer Sensation.

Von Ulrich Hartmann

Vor einer Woche hatte Dimitrij Ovtcharov mit dem Tischtennis aufhören wollen. Nach der dramatischen Halbfinal-Niederlage gegen den Chinesen Ma Long war er fertig mit den Nerven. Gut, dass er dann doch weitergemacht hat. Tags darauf gewann er nämlich Einzel-Bronze gegen den Taiwaner Lin Yun-ju, und an diesem Mittwoch brachte er die deutsche Männer-Mannschaft mit seinem klaren Sieg im entscheidenden letzten Einzel gegen Koki Niwa zum knappen 3:2-Erfolg über Japan ins olympische Endspiel. Gegen China. Am Freitag um 12.30 Uhr deutscher Zeit nehmen es Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska mit dem besten Tischtennis-Trio der Welt auf.

Zum dritten Mal nach dem Männerteam 2008 und dem Frauenteam 2016 spielt eine deutsche Mannschaft im olympischen Finale gegen China um Gold. Aber gegen China um Gold zu spielen, ist so eine Sache. Die Männer verloren 2008 glatt 0:3, die Frauen 2016 ebenfalls. Silber war für beide Teams dennoch ein Riesentriumph. Silber wäre am Freitag auch für Ovtcharov, Boll und Franziska ein Riesentriumph. Aber insgeheim träumen sie ein kleines bisschen von einer Sensation. Es ist freilich ein kühner Traum gegen die drei Ersten der Weltrangliste: Fan Zhendong, Ma Long und Xu Xin.

Gegen Japan hatte das deutsche Doppel Boll/Franziska im ersten Match des Tages einen starken Start erwischt. Der Linkshänder Boll und der Rechtshänder Franziska, in der Bundesliga für Düsseldorf und Saarbrücken jedes Jahr erbitterte Konkurrenten im Kampf um den Meistertitel, ergänzen sich mit der jeweiligen Schlaghand im Zentrum des Tisches gut. Die Linkshänder Koki Niwa und Jun Mizutani fanden zunächst nicht ins Spiel. Gerade mal zwei und drei Punkte holten sie in den ersten beiden Sätzen. Anschließend zwangen sie die Deutschen jedoch in den fünften Satz, den Boll und Franziska nervenstark 11:7 gewannen.

Ovtcharov sind die Belastungen des Turniers anzumerken: Sein erstes Einzel verliert er

Im ersten Einzel bekam es Ovtcharov mit Tomokazu Harimoto zu tun. Japans einstiges Wunderkind ist mittlerweile 18 Jahre alt und formulierte schon vor Jahren den Traum, bei Heim-Olympia in Tokio die Goldmedaille im Einzel zu gewinnen. Dieser Traum zerplatzte vergangene Woche früh im Achtelfinale gegen den Slowenen Darko Jorgic (3:4). Dem 32 Jahre alten Ovtcharov, der am vergangenen Freitag im Einzel seine zweite Bronzemedaille nach 2012 gewonnen hatte, waren die Anstrengungen der olympischen Tage anzumerken. Dies war sein neuntes Match binnen neun Tagen (fünf im Einzel-, das vierte im Teamwettbewerb). Nach gewonnenem ersten Satz musste er Harimoto die nächsten drei Durchgänge überlassen. War das ein Geschrei! Der Japaner zelebriert jeden Punktgewinn wie kein Zweiter in der Branche mit enormem Gebrüll. Seine größte Verletzungsgefahr noch vor strapazierten Knien: Stimmbanddehnung.

Jun Mizutani, Bolls Gegner im dritten Match, hat vor wenigen Tagen etwas Historisches geschafft: Er hat Gold gewonnen im Mixed mit Mima Ito. Olympisches Gold ist normalerweise für China reserviert - in jeder Disziplin. Seit 1996 haben nur der Südkoreaner Ryu Seung-Min 2004 in Athen und nun die beiden Japaner im Mixed Gold gegen China gewonnen. Boll war gewarnt, aber er stand auch unter Druck, denn er durfte Japan den zweiten Punkt nicht zugestehen, weil man davon ausgehen musste, dass Franziska im Anschluss gegen Harimoto verliert.

Boll, 40, verlor den ersten Satz gegen den acht Jahre jüngeren Mizutani. Die beiden haben vor 14 Jahren mal kurz zusammen für Borussia Düsseldorf gespielt und kennen sich aus vielen Duellen. Boll wurde aber mit jedem Ballwechsel sicherer. Auch seine Erfahrung macht ihn zur Crunch-Time jedes Matches hin zu einem nervenstarken Spieler. Und so gewann der Odenwälder dieses wegweisende Match in 3:1 Sätzen.

Franziska, als respektable Nummer 17 der Weltrangliste trotzdem der schwächste der drei deutschen Spieler (Ovtcharov Achter, Boll Zehnter), ging als Außenseiter ins vierte Match gegen Harimoto. Der Japaner ist Weltranglisten-Vierter hinter den drei Chinesen. Doch Franziska, der mit Petrissa Solja im Mixed eine Medaille verpasst und im Einzel nicht gespielt hatte, zeigte anfangs ein Niveau, wie man es bei ihm zuletzt 2019 gesehen hatte in einem Jahr, als er sogar die Chinesen Fan Zhendong und Liang Jinkun besiegte. Franziska gewann gegen Harimoto die ersten beiden Sätze (5, 9), gab aber die nächsten drei ab (5, 9, 9) und schickte damit Ovtcharov ins ultimative Einzel gegen jenen Koki Niwa, den Ovtcharov im Achtelfinale des Einzelwettbewerbs schon 4:1 besiegt hatte.

Ovtcharov, geboren in Kiew, aufgewachsen in Deutschland, in Diensten des russischen Klubs Fakel Orenburg, spielte also sein zehntes Einzel binnen neun Tagen und dominierte Niwa erneut klar. Als er nach nur 28 Minuten 3:0 (9, 7, 8) gewonnen hatte, ließ er sich von Franziska in die Lüfte heben und rollte rücklings und mit einem Lächeln auf den Hallenboden des Tokyo Metropolitan Gymnasium. Ovtcharov hat seine sechste Olympia-Medaille damit sicher, für Boll ist es die vierte, für Franziska die erste. Damit, dass sie golden wird, darf wirklich niemand rechnen. Aber wer weiß.

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