Süddeutsche Zeitung

Pläne für Olympia in Tokio:Das Fest würde so seinen Charakter verlieren

Tokio will seine verschobenen Spiele "straffen". Weniger Zuschauer bedeuten aber noch keine Abkehr vom Gigantismus. So könnten die Spiele 2021 ein Krisen-Spektakel werden, das eigentlich keiner braucht.

Kommentar von Thomas Hahn, Tokio

Die Pandemie macht Leistungen möglich, die sich vor Kurzem noch niemand vorstellen konnte. Millionenstädte im Lockdown, Menschenmassen in Masken, körperloses Online-Leben, München ohne Oktoberfest. Immerhin, in einschlägigen Science-Fiction-Verfilmungen hat man sich schon mal informieren können darüber, wie das ist, wenn die Welt ein großer unwägbarer Raum voller Infektionsgefahr ist. Völlig unvorbereitet trifft die Menschheit dagegen jene Nachricht, die gerade aus Japans Hauptstadt eingetroffen ist. Festhalten, Freunde des ewigen Wachstums: In Tokio überlegen die Organisatoren der Olympischen Spiele genau diese zu straffen. Zu was?! Zu straffen.

Die Olympischen Spiele im Zusammenhang mit einer Strategie zu denken, die nicht deren Ausdehnung zum Ziel hat, ist in der Tat eine Revolution. Die Herren der Ringe hatten schon viele Ideen, seit der selige Baron Pierre de Coubertin im Jahre 1894 das Internationale Olympische Komitee (IOC) gründete: Darauf, die Spiele nicht wachsen zu lassen, sind sie fast nur in größter Not gekommen. Am Anfang war das vielleicht auch noch in Ordnung. Außerdem ist Größe nicht unbedingt verkehrt. Schließlich gehört es zur Faszination Olympias, dass bei diesem Sportfest Athleten aus allen Ländern der Erde in vielen verschiedenen Sportarten teilnehmen. Und dass ein Kulturgut wie der Sport steigende Einnahmen verzeichnet, muss man auch nicht beklagen.

Seit ein paar Jahrzehnten allerdings fragt man sich ständig: Dieser Anspruch der Ringe-Vermarkter, die Spiele immer größer, teurer, einträglicher werden zu lassen - schadet er der Kultur des Sports in Wirklichkeit nicht eher? Vor allem die aufgeblasene Winterversion produziert ständig neue Sporttempel, die nach dem Fest keiner mehr braucht. In vielen Ländern ist das Image der Spiele schlecht, weil den Normalbürgern der Aufwand nicht mehr einleuchtet. Auch in Tokio fragen sich viele Einheimische, ob man die Olympia-Milliarden nicht sinnvoller hätte investieren können.

Längst hat sich das IOC auf den etwas abgegriffenen Begriff der Nachhaltigkeit verpflichtet. Aber diese Nachhaltigkeit hat immer noch viel mit Masse zu tun. In Tokio haben die Spiele so viele Sportarten wie noch nie im Programm. Die vielen Sportstätten in der Metropolregion wirken teilweise wie versprengte Paläste, zu denen die Bevölkerung kaum einen Bezug hat. Die Verlegung von diesem Sommer in den nächsten ist durch die schiere Größe und Kleinteiligkeit des Ereignisses ein Mammutvorhaben.

Straffen ist also eine gute Sache. Das Coronavirus bringt die Not, die Geschäftsleute manchmal brauchen, um zur Vernunft zu kommen. Die ersten Ideen für Tokio 2020 im Jahr 2021 klingen allerdings nicht wirklich nach einem Umdenken, sondern nach klassischer Infektionsvorsorge. Weniger Zuschauer, abgespeckte Eröffnungs- und Schlussfeier. Das Fest, das Menschen zusammenbringen und kreative Momente hervorbringen soll, würde so seinen Charakter verlieren, nur damit es irgendwie stattfinden kann. Vielleicht geht das wirklich nicht anders. Trotzdem: Wenn nicht noch ein paar spannendere Gedanken dazukommen, werden die Spiele 2021 ein Krisen-Spektakel, das eigentlich keiner braucht.

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SZ vom 05.06.2020/jki
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