OGC Nizza:Engländer mit Kleingeld sind willkommen!

OGC Nizza: Alte Frisur, neuer Brustsponsor: der brasilianische Nizza-Verteidiger Dante (rechts), einst der Lieblingswuschelkopf der Bundesliga.

Alte Frisur, neuer Brustsponsor: der brasilianische Nizza-Verteidiger Dante (rechts), einst der Lieblingswuschelkopf der Bundesliga.

(Foto: AFP)
  • Der britische Chemiekonzern Ineos dehnt sein Sportimperium auf den Fußball aus.
  • Beim französischen Erstligisten OGC Nizza gewährt man den Millionen von der Insel gerne Asyl.
  • Offiziell will der Verein in drei bis fünf Jahren in die Champions League, doch hinter den Kulissen steigt schon jetzt der Druck.

Von Jean-Marie Magro

Das Verhältnis von Franzosen und Engländern ist ein sehr kompliziertes. Premierminister Winston Churchill brachte es gegenüber General Charles de Gaulle einst auf den Punkt: "Wann immer wir zwischen Europa und dem offenen Meer wählen müssen, sollen wir uns für das offene Meer entscheiden." In Nizza allerdings gelten für Engländer schon seit dem 18. Jahrhundert andere Regeln. Genauer gesagt für reiche Engländer. Für sie wurde sogar eine Uferpromenade angelegt, die immerhin einen Ausblick auf das offene Meer bietet.

Sir Jim Ratcliffe ist so ein Engländer, der sich in Nizza verliebt haben will. Der Besitzer des Chemiekonzerns Ineos ist etwa 20 Milliarden Euro schwer. Er gibt vor, britischer Patriot zu sein, er trommelte für den Brexit und soll sich dann, wie britische Medien berichten, nach Monaco abgesetzt haben. In den vergangenen Jahren arbeitete Ratcliffe am Aufbau eines Sportimperiums. Ineos sponsert ein Segelteam, das den America's Cup nach Großbritannien bringen soll, ein Radsportteam, das in diesem Jahr die Tour de France gewann - und mit dem Projekt "Ineos 1:59" verhalf der Konzern dem Kenianer Eliud Kipchoge dazu, als erster Mann überhaupt einen Marathon in unter zwei Stunden zu laufen.

Auch im Fußball versucht Ratcliffe, seine Marke zu etablieren. 2017 übernahm er den Schweizer Erstligisten FC Lausanne, der dann aber gleich in die zweite Liga abstieg. Im Sommer 2019 stand Ineos dann vor seiner größten Übernahme im Sportgeschäft: Ratcliffe hatte sich den französischen Erstligisten OGC Nizza ausgesucht, einen Traditionsverein mit sehr solider Nachwuchsarbeit. Frankreichs Nationaltorhüter Hugo Lloris und der Linksverteidiger Patrice Evra wurden hier Profis. In Deutschland sind vor allem die früheren Nizza-Angreifer Alassane Pléa (Gladbach) und Anthony Modeste (Köln) bekannt.

Ineos wollte den chinesischen Besitzern den Verein abkaufen. Daraus entwickelte sich ein "feuilleton", wie man in Frankreich sagt, so etwas wie eine Daily Soap.

Erst bangt Vieira um seinen Job, dann gewinnt Nizza zum Start dreimal

Die Chinesen wollten zwar verkaufen, aber einen höheren Preis rausschlagen. Dann machte auch noch der Verband Ärger. Bis Ende August konnte Nizza nur einen Transfer vollziehen, und das war jener des ablösefreien Khéphren Thuram, Sohn von Lilian und Bruder von Marcus Thuram, dem Gladbacher Sturmzugang.

Nizzas Trainer Patrick Vieira gab zu, dass er sich nicht ganz sicher war, ob er nach den ersten drei Ligaspielen noch Trainer sein würde. In den letzten Vorbereitungsspielen verlor Nizza 1:6 gegen Burnley und 1:8 gegen Wolfsburg. Da wird selbst ein Welt- und Europameister wie Vieira, der noch immer aussieht, als könnte er Expeditionsschiffen in der Arktis das Eis vorbrechen, nervös.

Seine Mannschaft startete dann aber mit drei Siegen aus den ersten vier Spielen besser als erwartet. Und als die Übernahme endlich vollzogen war, investierte Nizza in nur einer Woche 50 Millionen Euro in neue Spieler. So viel hatte der Verein nie zuvor ausgegeben. Neben den Flügelstürmern Alexis Claude-Maurice aus Lorient und Adam Ounas aus Neapel ist die Klubführung besonders stolz auf die Verpflichtung des Dänen Kasper Dolberg. Den Torjäger von Ajax Amsterdam schnappte Nizza Hoffenheim weg. Dolberg wurde jedoch an einem seiner ersten Trainingstage aus der Kabine eine 70 000 Euro teure Uhr gestohlen. Der Dieb war ein 18-jähriger Jugendspieler, der bei den Profis mittrainierte.

Spielerwechsel wie bei Salzburg/Leipzig sind möglich

Ineos' Strategie für OGC Nizza soll mittel- bis langfristig angelegt sein, keiner der sechs Zugänge ist älter als 22 Jahre. "Wir werden keinen Spieler holen, der 27 oder 28 ist", sagte Bob Ratcliffe, der Bruder von Jim. Bob ist bei Ineos zuständig für das Fußballgeschäft und kümmert sich neben dem OGC Nizza auch um den FC Lausanne. Zwischen beiden Vereinen könnten in den nächsten Jahren getreu dem Beispiel Salzburg/Leipzig Spielerwechsel stattfinden.

Die Ratcliffes setzten sich nicht zum Ziel, das mit katarischen Millionen vollgepumpte Paris Saint-Germain anzugreifen, zumindest nicht in dieser oder der nächsten Saison. In drei bis fünf Jahren aber, so heißt es offiziell, soll Nizza an der Champions League teilnehmen. Womöglich will sich Ineos ein Beispiel an der Entwicklung von RB Leipzig nehmen - und schon bald dem übermächtigen Ligaprimus auf die Nerven gehen.

Das wäre erstmals an diesem Freitag möglich. Da empfängt OGC den Spitzenreiter aus Paris in der "Allianz Riviera", dem Stadion in Nizza. Die Südfranzosen sind klarer Außenseiter, gewannen kein einziges ihrer letzten drei Spiele, was vor allem an ihrer dezimierten Abwehr lag. Der ehemalige Lieblingswuschelkopf der Bundesliga, Dante, fehlte wochenlang. Mittlerweile steht Nizza auf Platz neun der Tabelle.

Die Fans sind begeistert von der Übernahme

Doch Ineos macht schon in der laufenden Saison Druck, wie Vieira durchblicken ließ: "Die Leute erwarten, dass wir ganz, ganz weit oben stehen. Aber wir brauchen Zeit", warnte er kürzlich. Potenzial hätte seine Mannschaft jedenfalls. Auf der Sechserposition spielt Wylan Cyprien, der vielleicht feinste Rechtsfuß der Liga. Die Offensive um Ounas, Dolberg und den pfeilschnellen Youcef Atal kombinierte sich schon einige Male sehr ansehnlich in die gegnerischen Strafräume. Was noch fehlt, sind Sicherheit und Beständigkeit.

Die Fans in Nizza sind jedenfalls begeistert von der Übernahme durch die Briten. Nachdem der Deal feststand, wurde in der Fankurve ein großes Plakat ausgerollt, auf dem "God save the Jim" stand. Dazu muss man wissen, dass der Spitzname des Vereins "le Gym" lautet. Und so bewiesen die Südfranzosen, dass sie ganz im Gegensatz zum Klischee gerne Asyl gewähren - wenn das Kleingeld stimmt.

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