Süddeutsche Zeitung

Özil und seine Berater:Falscher Heldenglanz aus dem Hintergrund

Lesezeit: 3 Min.

Die Umstände des Özil-Streits lenken den Fokus auf einen bedenklichen Aspekt: Wenn nun schon Spielerberater gesellschaftliche Debatten steuern, hat ihr Gewerbe eine absurde Bedeutung erlangt.

Kommentar von Thomas Kistner

Ja, es gab da eine Attacke auf die Integrationsbemühungen im deutschen Fußball, sogar eine ziemlich wüste. Das passierte 2016, als Alexander Gauland über den Nationalspieler Jérôme Boateng sagte, der sei hierzulande nur als Fußballer gelitten, aber die Leute wollten "einen Boateng nicht als Nachbarn haben". Die Reaktionen fielen so aus, dass der AfD-Rechtsausleger sehr bald hastig zurückruderte; am Ende lobte er Boatengs "gelungene Integration". Der Spieler selbst blieb stets gelassen; Fans und Kollegen standen mit klaren Aussagen hinter ihm. Das ist die Bezugsgröße, wenn nun im Fall Mesut Özil diskutiert wird, wie stark die Integrationsarbeit im Fußball gelitten hat, und die generell im Lande.

Was ist jetzt passiert? Erdoğans Strategen wollten Fotos, die den türkischen Staatschef mit Özil, İlkay Gündoğan und anderen Ballhelden zeigten, im Wahlkampf wurden sie verwendet. Vereinbart wurde das kaum zwischen Erdoğan und Özil, sondern wie üblich: über Manager, Agenten. Als Özil zusagte, wird sein Berater Erkut Söğüt involviert gewesen sein.

Söğüt ist auch der Mann, der seinen Schützling dann zu keiner Klarstellung bewegte, als eine legitime öffentliche Debatte losbrach über das devote Date mit einem Politiker, dessen Umgang mit den Grundrechten der zivilisierten Welt nicht einfach mit naivem Gerede umkurvt werden kann: Man habe nicht der Person, sondern dem Amt die Ehre erwiesen. Während sich Gündoğan immerhin einige Worte abrang, schwieg Özil beharrlich.

Hier steht also kein Akt der Fremdenfeindlichkeit am Anfang. Sondern ein Fehlverhalten, vertieft durch beredtes Schweigen. Und das hatten weder die irritierte Öffentlichkeit noch der sonst so irrlichternde DFB zu verantworten.

Die Beteiligten retteten sich damals in die WM, hofften auf den Durchmarsch Richtung Finale; damit hätte sich die Sache wohl erledigt. Aber es kam anders. Das Team kollabierte. Und der DFB unter Regie seines überforderten Präsidenten Reinhard Grindel geriet in Erklärungsnot.

Hier setzte der DFB auf den Fehler, die Sache nicht vor der WM zu klären, den noch gröberen Keil: Er zog die Fotos wieder hervor. Und machte Özil zum Sündenbock. Man hätte ihn wohl besser daheim gelassen, meinte Teammanager Oliver Bierhoff, Grindel forderte Özil zur Erklärung an die Fans auf. Grandiose Torheiten - und die Steilvorlage für Team Özil.

Das musste da eigentlich schon erkannt haben, dass die Tür zum Nationalteam zufallen wird. Bundestrainer Joachim Löw wurde ja mit einem neuen Konzept beauftragt. Hätte Löw an Özil festgehalten, hätte dies eine Debatte über einen Neustart provoziert, der als Weiter-so daherkommt. Das liegt auf der Hand wie die Vermutung, dass sich die türkischen Berater von Löw und Özil, die persönlich und geschäftlich vernetzt sind, zu sportlichen Zukunftsfragen ausgetauscht haben.

Die notwendige Erneuerung der DFB-Auswahl hätte das Problem geregelt, und Özils Stab keine Angriffsfläche geboten. Der hätte wiederum das Foto-Thema nicht selbst aufbacken können. Aber das tat ja dann der DFB. Er lieferte den politischen Sprengstoff frei Haus, der sich in einer fein konzipierten, dreiteiligen Klageschrift entlud. In ein Papier, das Özils Namen trägt, eines höchst unpolitischen Kickers, wohl aber von Kräften im Hintergrund verfertigt wurde, die in der Affäre seit Beginn eine tragende Rolle spielen.

Berater Söğüt, Anwalt in London, der ein geschliffenes Englisch beherrscht, hat sich zu seiner Rolle über all die Monate nie erklärt. Nun entlarvt ihn aber auch seine Reaktion auf eine - höchst unqualifizierte - Attacke von Uli Hoeneß. Der FC-Bayern-Chef hatte behauptet, Özil habe "seit Jahren einen Dreck" gespielt. Im nun schon bekannten Duktus hält Söğüt Siege und Trophäen Özils dagegen, lenkt den Blick aufs "eigentliche Thema, Rassismus und Diskriminierung in Deutschland". Nur zum repressiven Erdoğan-Regime findet er weiter kein Wort.

Die Aufgeregtheit im Lande sollte also runtergefahren werden. Auch, weil ja jeder unausgewogene Umgang mit dem Integrationsthema rechte Trittbrettfahrer anzieht wie das Licht die Motten - und am Ende der Debatte tatsächlich eine gescheiterte Integrationspolitik droht.

Mehr Aufmerksamkeit verdient dafür der überwölbende Aspekt dieser Affäre. Wenn nun schon Spielerhändler die gesellschaftliche Debatte steuern, hat ihr Gewerbe eine recht absurde Bedeutung erlangt. Eines, in dem Männern, die gut mit einer Plastikkugel umgehen können, eine supranaturale Bedeutung angedichtet wird wie einst den antiken Sagengestalten. Und dessen falscher Heldenglanz auch viele Staatenlenker anzieht, nicht nur in Diktaturen. Bei einer Wasserball-WM ist Kanzlerin Angela Merkel nie gesichtet worden - mit dem scheuen Özil aber sogar schon öfter in der Kabine.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2018
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