Süddeutsche Zeitung

Debatte um Özil und Gündogan:"Das geht über die beiden Spieler hinaus"

  • DFB-Manager Oliver Bierhoff hat versucht, die Affäre um Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit einem Machtwort zu beenden - doch sie begleitet das Team auch noch im WM-Quartier Watutinki.
  • Dass ihm Versagen in der Handhabung des Konfliktes vorgeworfen wird, hat Bierhoff angeblich nicht nur einkalkuliert, sondern auch beabsichtigt.
  • Auch DFB-Chef Reinhard Grindel äußert sich: Für ihn hätten nicht mangelhaftes Krisenmanagement, sondern ein gesellschaftspolitischer Prozess für die Turbulenzen gesorgt.

Von Philipp Selldorf, Watutinki

Womöglich hat Ilkay Gündogan nie zuvor ein so aufsehenerregendes Tor im Training erzielt wie am Mittwochvormittag im Sportzentrum Watutinki inmitten russischer Birkenwälder. Mindestens 1000 Kameramänner und Fotografen hielten den Treffer fest, während die berufsmäßigen Beobachter genau hinhörten, wie die Zuschauer auf der Tribüne reagierten: Dass sie jubelten und applaudierten und damit beim Bundestrainer Wohlgefallen erzeugten ("sehr angenehm"), sollte man allerdings nicht überbewerten, denn beim ersten und mutmaßlich einzigen öffentlichen Training der Nationalelf saßen auf den Tribünen ausgewählte deutsche und russische Kinder, und diese bejubelten schlechthin alles, was die Stars auf dem Rasen machten. Über den Stand der Debatte in der Sache Ilkay Gündogan/Mesut Özil sagte ihre Begeisterung nicht viel.

Das Nationalteam werde die Kontroverse um das gemeinsame Foto des Duos mit dem türkischen Staatschef Recep Erdogan mit zur WM nehmen, das hatten die Fachleute den DFB-Menschen nach den garstigen Publikumsreaktionen während der jüngsten Länderspiele in Klagenfurt und Leverkusen prophezeit. Der Alt-Internationale Stefan Effenberg, Experte aus persönlicher Erfahrung, empfahl nun gar den Rauswurf der beiden Spieler ("Wenn man auf gewisse Werte setzt, wie das der DFB immer vermittelt, dann kann die Entscheidung nur so ausfallen"). Diese Empfehlung hat Jogi Löw bei seiner Antrittsansprache in Russland durch Ignorieren hinreichend gewürdigt, und generell findet er, seinerseits sei "zu diesem Thema in der Öffentlichkeit alles gesagt".

Er habe, zählte der Coach in lamentierendem Ton auf, mehrfach mit beiden Spielern über den Fall geredet, er habe mit dem DFB, mit der Kanzlerin und mit Gott und der Welt darüber gesprochen - nun werde er sich wieder der Sportlehrerarbeit zuwenden: "Die beiden waren beeindruckt und haben unter der Situation gelitten. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie einen Mehrwert für unsere Mannschaft haben, dass sie in Form und in den Flow kommen." Özil, zuletzt krankgeschrieben, stand am Mittwoch auf dem Trainingsplatz und spielte einige muntere Traumpässchen. Die Kinder jubelten.

Bierhoff habe sich an Männern wie Hoeneß orientiert

Oliver Bierhoff war, heißt es beim DFB, weder erstaunt noch erschrocken über die schlechte Presse, die ihm zuletzt zuteil wurde. Der Manager hatte versucht, die Affäre mit einem Machtwort zu beenden ("jetzt reicht es mal"), das allgemein für untauglich erklärt wurde; und seine Medienkritik ("ihr bringt es doch jeden Tag wieder, weil ihr keine Themen habt") wurde als mindestens weltfremd beurteilt. Doch dass ihm daraufhin landauf, landab Versagen in der Handhabung des Konfliktes vorgeworfen wurde, das hatte er angeblich nicht nur einkalkuliert, sondern auch beabsichtigt.

Bierhoff habe sich, so wird jetzt erzählt, an den Manövern geübter Abwehrstrategen orientiert. An Männern wie Uli Hoeneß, der es in seiner Managerzeit stets verstanden hatte, die Aufmerksamkeit durch Gepolter und Getöse auf sich selbst umzuleiten und damit vom eigentlichen Thema abzulenken. Wenn es sich bei Özil und Gündogan denn wirklich so zutrug, dann hätte Bierhoff gleich doppelt Verdienste erworben: für exzellentes Schauspielern vor der TV-Kamera; und für heroisches Handeln zum Zweck der Gemeinnützigkeit.

Tatsache ist, dass man im Büro der Nationalelf nicht leugnet, dass die Kommunikationspolitik in der Debatte eher schlecht funktioniert hat. Doch man ist auch der Ansicht, dass die beiden Hauptbeteiligten wenig Spielraum für eine bessere Darstellung und ein substantielles Krisenmanagement gelassen hätten. Özil und Gündogan sei wohl bewusst, dass sie der nationalen Integrationsdebatte keinen guten Dienst erwiesen und die Harmonie im Nationalteam gestört hätten.

Sie hätten aber auch keine Bereitschaft aufgebracht, sich dafür öffentlich zu entschuldigen oder wenigstens einen Anflug von Reue zu dokumentieren. Während Gündogan verbale Bekenntnisse für sein Geburtsland ablegte - Deutschland -, zog sich Özil ins Schweigen zurück. Dieses Schweigen im öffentlichen Raum wird er wohl auch bei der WM beibehalten, davon sei auszugehen, erklärte Bierhoff der Bild - und gab auch zu verstehen, dass dies keine Empfehlung des DFB, sondern die Entscheidung des Spielers sei. Weshalb dieser auch die Folgen zu tragen hätte.

Der DFB-Präsident fügte kein Macht-, aber ein Schlusswort dazu: Nicht mangelhaftes Krisenmanagement, sondern ein gesellschaftspolitischer Prozess habe für die Turbulenzen gesorgt. "Da liegt etwas wesentlich tiefer, das geht über die beiden Spieler hinaus", sagte Reinhard Grindel, durch die Zuwanderung 2015 habe "sich etwas geändert" im Land, was Özil und Gündogan nun zu spüren bekämen. Doch "Integration bedeutet natürlich nicht Assimilation", nahm Grindel die beiden in Schutz.

Den Rest soll jetzt der Sport regeln. Die Pfiffe beim Testspiel in Leverkusen seien am Freitag ein Thema in der Kabine gewesen, danach aber nicht mehr, sagte Löw: "Oliver hat mit dem Spielerrat gesprochen. Ergebnis: Die beiden Spieler sind respektiert und anerkannt, weil alle wissen, dass sie unsere Werte teilen und gern für unser Land spielen."

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SZ vom 14.06.2018/ska
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