Özil-Debatte:Fußballer und "ihr Land"

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  • Mesut Özil wird mit seinem Rücktritt aus dem DFB-Team zum Symbol dafür, dass der Fußball und der Sport keine Lösung parat halten für die unterschiedlichen Biografien junger Menschen.
  • Fußballer mit Migrationshintergrund können - nach dem ersten Pflichtspiel - nur für ein Land kicken. Das führt zu persönlichen und oft diskutierten Entscheidungen der Spieler.
  • Auch andere Länder erleben Debatten um die Kinder von Migranten im Fußball.

Von Thomas Hummel

Mesut Özil saß in Berlin auf dem Podest und sprach mit Journalisten. Er tat das nie gerne, aber wegen des riesigen Interesses an ihm musste er diesmal. Er sagte dabei mehrfach, dass es "für mich nie eine andere Nationalmannschaft gab als die deutsche". Seine Familie sei in der dritten Generation in Deutschland, er sei in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen, habe in allen Jugendnationalmannschaften gespielt. "Ich fühle mich sehr wohl hier", und er sei "sehr, sehr stolz", für Deutschland zu spielen.

Das war im Oktober 2010. Es stand das EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei an. Özil sagte dazu noch: "Das wird ein besonderes Spiel für mich, weil ich gegen meine Freunde spiele."

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Der damals 21-Jährige wurde tags darauf fast aus dem Stadion gebuht. Die Hälfte der Zuschauer kamen aus der Türkei oder waren Deutsche mit türkischen Wurzeln - und die wollten überhaupt nicht einsehen, dass Mesut Özil für Deutschland spielen wollte. Und nicht für das Land seiner Großeltern, die Türkei.

Persönliche Entscheidungen der Spieler

Jetzt, fast acht Jahre später, ist Mesut Özil mit einem lauten Knall aus seiner deutschen Nationalmannschaft zurückgetreten. Er wirft Teilen der Medien, Zuschauer und auch dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Grindel, Rassismus vor. Er fühle sich nicht mehr gewünscht im weißen Trikot mit dem Bundesadler. Der Fußballer Mesut Özil ist damit wieder ein Symbol für die Einwanderer-Geschichte Deutschlands. Diesmal ein Symbol dafür, was alles schief gehen kann. Aber er ist auch ein Symbol dafür, dass der Fußball und der Sport insgesamt keine Lösung parat halten für die diversen Biografien junger Menschen.

Das gründet schon im Namen: Nationalmannschaft. In immer globaler werdenden Gesellschaften sollen Sportler plötzlich ein Land vertreten. Natürlich "ihr Land" und das des Publikums. Vor allem rund um den Fußball wird diese Forderung häufig überhöht, weil kaum ein Ereignis eine solche nationale Aufwallung in sich trägt wie große Fußballturniere und Länderspiele. Und Fußballer gerne zu übergroßen Heldenfiguren stilisiert werden, seit eh und je auch im Dienste der "Nation".

Was tun also, wenn man in einem Land als sogenannter Immigrant aufwächst, seine familiären Wurzeln aber in einem anderen Land liegen? Nach den Statuten des Weltfußballverbands Fifa kann man nicht für zwei Nationalmannschaften spielen. Zumindest dann nicht, wenn man einmal für ein Land ein Pflichtspiel bestritten hat. Davor ist der Wechsel möglich.

Mesut Özil
:Artist mit Ball

Nach 92 Länderspielen hat Mesut Özil seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft erklärt - mit ihm wird eine erfolgreiche Zeit der DFB-Auswahl in Erinnerung bleiben. Ein Rückblick in Bildern.

Das führt zu persönlichen und oft diskutierten Entscheidungen der Spieler. Damals, 2010 in Berlin, standen der Lüdenscheider Nuri Sahin, der Kasselaner Ömer Erdogan oder die Gelsenkirchener Zwillinge Altintop für die Türkei auf dem Platz. Hamit Altintop hatte Özil damals hart kritisiert dafür, dass der auf der anderen Seite spielte. Er hielt das für eine reine Karriere-Entscheidung: "Hätte er sich für die Türkei entschieden, hätte er keine WM gespielt und wäre jetzt nicht bei Real Madrid. So einfach ist das." Tatsächlich ist es ein offenes Geheimnis, dass sich viele Spieler die für ihre Laufbahn günstigere Nationalmannschaft aussuchen. Ein Vorgang, der auch nicht allen passt.

So standen in diesem Jahr im WM-Kader Senegals acht Spieler, die in Frankreich geboren und aufgewachsen sind. Im WM-Kader Tunesiens waren es neun. Im französischen Fußballverband FFF gab es dazu bereits mehrfach Auseinandersetzungen. Nach dem Desaster bei der WM 2010 mit dem Vorrunden-Aus und einem Spielerstreik wurde das Protokoll einer Sitzung öffentlich, in dem mehrere Teilnehmer eine Quote in Jugendteams für Spieler mit Migrationshintergrund forderten. Darunter der damalige Nationaltrainer Laurent Blanc und der U21-Nationaltrainer. François Blaquart, Technischer Direktor des Verbands FFF, hatte gesagt: "Unser Problem sind nur die Spieler mit doppelter Nationalität", weil diese Frankreich den Rücken kehren und für die Auswahl ihres Herkunftslandes spielen könnten. Er wurde kurz darauf suspendiert.

Die Debatte rund um die doppelte Nationalität kam kürzlich auch im Schweizer Fußballverband auf. Generalsekretär Alex Miescher forderte die Politik auf, darüber nachzudenken, dass sich Menschen mit zwei Pässen früher für ein Land entscheiden sollten. Am besten schon als Jugendliche, damit der Fußball das Problem im Erwachsenen-Alter vom Hals hat. Denn so würde der Verband junge Spieler teuer ausbilden, könne dann aber nicht verhindern, wenn sie sich für eine andere Nationalmannschaft entscheiden. Miescher brachte ins Gespräch, nur noch Jugendliche auszubilden, "die auf eine Doppelnationalität verzichten". Die Kritik daran fiel hart aus.

Auch Belgien und die Niederlande erleben immer wieder Debatten rund um die Kinder von Migranten im Fußball. Diejenigen, die sich für die Nationalmannschaft ihrer neuen Heimat entscheiden, berichten dann häufig: Gewinnt die Mannschaft, sind alle gute Bürger einer Nation. Egal, woher sie kommen. Verliert sie, werden Sündenböcke gesucht. Oder wie es Romelu Lukaku kürzlich sagte: Wenn es gut laufe, sei er "der belgische Stürmer" - wenn nicht, dann eben nur noch "Romelu Lukaku, der belgische Stürmer kongolesischer Herkunft". Oder wie es Mesut Özil und sein Beraterteam in der von Bitterkeit und Wut geprägten Rücktrittserklärung formulierten: "In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren." Das deckt sich auch mit der Beobachtung aus Frankreich: Nach dem WM-Titeln 1998 und 2018 mit sehr vielen Einwanderer-Kindern in den Mannschaften forderte niemand eine Quote für Migrantenkinder im Nachwuchsbereich.

Die Thematik wird den Fußball und auch die deutsche Nationalmannschaft nicht loslassen. Auch wenn Özil bei seinem Rücktritt bleibt. Am 6. September kommt die DFB-Elf nach München zur Partie gegen den neuen Weltmeister Frankreich. Erwartet werden die Nominierung von Ilkay Gündogan, aber auch die von Leroy Sané, Antonio Rüdiger oder Jérôme Boateng. Vielleicht auch von Jonathan Tah, Mahmoud Dahoud oder Benjamin Henrichs. Allesamt junge Männer mit Eltern, die nicht in Deutschland ihre Wurzeln haben.

Und in den Jugendmannschaften des DFB spielen natürlich weitere Kinder mit Migrationshintergrund. All jene, die es nach ganz oben schaffen, werden sich irgendwann für eine Nationalmannschaft entscheiden müssen. Und je besser sie Fußball spielen, desto schärfer wird die Kritik aus dem Land sein, bei dem sie nicht spielen.

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