Süddeutsche Zeitung

Österreichs Skispringer:Horchen statt bolzen

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Dank unorthodoxer Methoden sind die Österreicher zurück in der Spitze. Im Sommer fuhren sie zum Beispiel mit ihren Sprunglatten Ski - am Gletscher.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Österreich ist eine Skispringernation, mit sehr anspruchsvollen Fans. Aussetzer im Weltcup lassen sich noch verzeihen, aber die Tournee-Sieger auf dem Podest zu Hause in Bischofshofen im Pongau zu beklatschen, und kein Österreicher ist dabei, das geht nicht. Im vorigen Jahr geschah das, Trainer Heinz Kuttin und seine Assistenten wurden also kreativ.

Insgesamt hat er seine etablierten Springer verblüfft. Die Screening-Programme zur Überprüfung der Trainingswerte waren noch nichts Besonderes, eher schon die vielen Nachwuchsspringer, die plötzlich integriert wurden und die Arrivierten irgendwie verjüngten. Auch ein ganzheitlicher Ansatz im Muskelaufbau überraschte, es ging weniger ums Kraft-Bolzen als vielmehr um Becken, Bauch und Rumpf. "Wir horchen mehr in uns rein", sagt Kuttin. Weil das im Männersport Skispringen aber ein bisschen wolkig klingt, weil die Baucheinheiten schnell das Etikett "Schwangerschaftsübungen" bekamen und weil der Trainer-Guru Alexander Pointner Kuttins Konzept als "Wohlfühl-Oase" betitelte, konnte man sich schon wieder Sorgen machen um Österreich. Aber jetzt, zur Tournee, ist das Team voll auf Kurs.

Im Juni fuhren sie mit ihren Sprunglatten Ski - am Gletscher

Stefan Kraft, der Sieger von 2015, kam als Erster aus Oberstdorf, gab die Führung zwar in Garmisch-Partenkirchen an den Polen Kamil Stoch ab, liegt aber nur mit acht Zehnteln hinten. Das ist so wenig, dass Stoch den Titel "Gesamtführender" ablehnt. Er weiß, dass Kraft die Garmischer Schanze nicht mag und trotzdem gut sprang, und dass er auf seinen Heimschanzen in Innsbruck und Bischofshofen wohl bessere Karten hat. Letztere war für den im nahen Schwarzach geborenen Athleten gewissermaßen der Sandkasten.

Weitere Österreicher liegen auf den Plätzen sechs (Michael Hayböck), sieben (Manuel Fettner) und 16 (Andreas Kofler), auch sie dürften sich in dieser Heim-Woche noch verbessern. Und so soll es weitergehen. Kuttin hat die kommenden Jahre im Visier, Olympia 2018 in Pyeongchang und 2019 die WM im eigenen Land, in Seefeld. Man ist optimistisch, und das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass ein Österreicher mit seinen Sprunglatten nicht nur skispringen, sondern auch skifahren kann.

Kuttin machte sich dies für eine weitere Innovation zunutze. Er dirigierte seine Jungs und Männer im Juni auf einen Gletscher. Dort oben wurde dann der Anlauf geübt, auf Springerlatten und ohne die Sicherheit einer Anlauf-Spur. "Das geht alles", sagt Kuttin, "der Kopf muss nur bereit sein." Gefördert wurde dabei das Gefühl fürs Gleiten und die Stabilität in der Hocke. Und weil sie ihre Hocke parallel noch im Windkanal optimierten, screenten und monitorten, sind zum Beispiel Hayböck und Kofler jetzt kurz vor dem Absprung bis zu einem Kilometer pro Stunde schneller. Das entspricht einer Absprung-Luke höher.

Das mit der Wohlfühl-Oase haben sie eh nicht ernst genommen. Und vermutlich hat Kuttin schon weitere unorthodoxe Maßnahmen im Kopf. "Skispringer", sagt er, "sind sehr sensibel."

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SZ vom 03.01.2017
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