Süddeutsche Zeitung

Österreichs Fußballer:Mehr als narrisch

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Österreichs Nationalmannschaft deutet an, dass eine große Zukunft vor ihr liegt. Ihr Fußball besteht aus mehr als nur Folklore und Anekdoten aus Ernst-Happel-Zeiten.

Kommentar von Johannes Aumüller

Jetzt ist Österreichs Fußball also wieder da, jubeln sie, aber das ist natürlich ein rechter Schmarrn. Österreichs Fußball war die vergangenen Jahre immer da, genau so fest wie die Alpen, er hat sich halt nur in einer etwas anderen Form präsentiert, weniger auf dem Rasen, eher in Form von Anekdötchen und Geschichtchen von früher.

Österreichs Fußball kennt bekanntlich jenen denkwürdigen Tag von Córdoba, als Hans Krankl schoss und Edi Finger narrisch wurd', es kennt den großen Matthias Sindelar und die Schande von Gijón, den Wödmasta Happel, der nie Wödmasta war, und das 0:1 auf den Färöer. Er kennt Córdoba, wo Krankl schoss und Finger narrisch wurd', er kennt die lustigen Sprüche vom Polstertoni und anderer Schmähburschen, er kennt Klubs, die allen Ernstes Cashpoint SCR Altach heißen. Und, klar, er kennt Córdoba. Spätestens seit Dienstag aber besteht Österreichs Fußball nicht mehr nur aus Folklore und Anekdoten, sondern aus einer ernst zu nehmenden Gegenwart und einer noch ernster zu nehmenden Zukunft - erstmals qualifizierte sich das Land sportlich für eine EM.

Österreich zählte zweifelsohne zu den Teams, die sich vor ein paar Jahren freuten, als Michel Platini in seinem Buhlen um die Gunst kleiner und mittlerer Fußballnationen das EM-Feld auf 24 Teilnehmer aufstockte. Genauso wie die Isländer, die sich nun ebenfalls schon sicher fürs Turnier in Frankreich qualifiziert haben, wie die Waliser, die bald folgen dürften (falls sie nicht das Heimspiel gegen Andorra versemmeln), wie auch die Nordiren und die Slowaken.

Österreich hätte sich auch nach altem Modus qualifiziert

Aber die Österreicher müssen sich nun keineswegs vorwerfen lassen, nur dank Platinis Machtspielchen dabei zu sein. Stattdessen können sie für sich in Anspruch nehmen, dass sie die Qualifikation ganz gemütlich auch nach dem alten Modus geschafft hätten - und darauf verweisen, dass lediglich England bisher mehr Punkte holte.

Dass vermeintlich gestandene Fußball-Nationen wie die Griechen und Serben Letzter sind und die Niederländer bangen müssen, während Österreicher (und im Übrigen auch Isländer, Nordiren und Waliser) ihre Gruppen anführen, das ist schon eine kleine Kräfteverschiebung, die sich im Schatten dieser entwerteten Qualifikation offenbart.

Vor einem überernsten österreichischen Fußball muss sich aber niemand fürchten. Als Nationaltrainer Marcel Koller nach der Qualifikation zur Pressekonferenz erschien, tat er das in ungewöhnlicher Montur: Auf dem Kopf trug er eine Baskenmütze, in der Hand hielt er ein Baguette, in das er auch rein biss. Das schafft es zwar nicht mal in die Top 100 der besten Geschichten aus Österreichs Fußball, aber welcher andere Nationaltrainer hätte das gemacht?

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Quelle:
SZ vom 10.09.2015
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