Geht sich das aus? Das war die Frage aller Fragen, für einige Sekunden trieb sie die ganze Skination um. Zum Narrischwerden war es, im Zielstadion schwenkten die einen ihre rot-weiß-roten Flaggen, während andere sie nur noch wackelnd in den Händen hielten. Beten, brüllen, hoffen. Es ging so knapp zu, dass so mancher im Zielraum von Saalbach dem Nervenkollaps nahe zu sein schien. Und die Verantwortliche für diese Szenen? Stephanie Venier, die Österreicherin, raste den Zwölferkogel hinunter, ein Sprung, sie war nun in Sichtweite des Stadions, letzte Zwischenzeit 18 Hundertstelsekunden Vorsprung auf die haushohe Favoritin Federica Brignone aus Italien. Im Stadion kochte die Menge – und Venier schoss wie ein Pfeil Richtung Zielstrich. Geht sich das aus?
Es ging sich aus, um eine Zehntelsekunde, und die wirkt nun wie eine nationale Ekstase-Pille. Die Skination Österreich entlädt sich, mehr als das, der ganze Druck muss raus. In Saalbach füllten sich am Donnerstagnachmittag die Après-Ski-Stadel, schon bald war unweit des Stadions kaum mehr ein Platz zu bekommen, es ging so wild und enthusiastisch zu, Karneval wirkt dagegen wie ein entspanntes Kaffeekränzchen. Alles dank Venier, die sich beim Super-G in Saalbach die Goldmedaille sicherte, die erste für Österreich seit 2021 bei einer Ski-WM - und die erste für die 31-Jährige, die in ihrer Karriere einmal mit WM-Silber dekoriert worden war, acht Jahre ist das her. Und nun, im Herbst ihrer Skilaufbahn, darf sie sich Weltmeisterin nennen. Mehr als das: In Saalbach wird sie als Retterin der stolzen Skination Österreich gefeiert werden. Ein Land, das sich über die Erfolge seiner Skirennläufer mehr definiert als jede andere Region dieser Welt.

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Der Deutschen Emma Aicher fehlen im Ziel nur 28 Hundertstelsekunden auf Rang drei
Nicht alles daran ist zwingend gesund, aber Ekstase und Schmerz liegen oft nahe beisammen, zumal im Skisport, wo meist Winzigkeiten darüber entscheiden, ob eine Athletin im Ziel jubelt oder sich neben den Fangzäunen die schmerzende Schulter hält. Beim ersten Einzelrennen dieser WM traf es diesmal die berühmteste aller Starterinnen: Lindsey Vonn. Nach nur wenigen Schwüngen und weniger als 30 Fahrsekunden blieb die 40-Jährige bei ihrem WM-Comeback mit der rechten Schulter an einer Torstange hängen und brach das Rennen mit schmerzverzerrtem Gesicht ab. Unten ging ein erschrockenes Raunen durchs Stadion, einige spitze Schreie waren zu hören. Ohne Drama geht es im Skisport nie, doch Vonn konnte nach einigen Minuten Pause selbst den Berg hinabfahren und mit dem gesunden Arm winken. Da gab es schon weitaus schlimmere Vorfälle, wie ihr titanverstärktes Knie erahnen lässt.

Für die US-Medaillensammlung sprang dafür Vonns Teamkollegin ein, Lauren Macuga, die schon tags zuvor vergnügt mit einem bunten Blümchen-Camperhut durch Saalbach spaziert war und nun über die Piste rauschte wie eine Berserkerin. Einmal hob es sie aus dem Hang, doch die 22-Jährige blieb standhaft, düste über den Zielstrich und hatte dort das perfekte WM-Timing, weil sie zeitgleich mit der Norwegerin Kajsa Vickhoff Lie auf Rang drei gelistet wurde. Am Ende stieg sie mit ihr zusammen hinter Brignone und Venier als Bronzegewinnerin auf das nun etwas zu enge Medaillenpodest.
Und beinahe hätte dort auch Emma Aicher noch Platz finden müssen, 21 Jahre jung, seit Längerem die große Zukunftshoffnung des Deutschen Skiverbands (DSV) und nun eventuell noch mehr als das. Aicher zeigte eine blitzsaubere Fahrt, die Piste am Zwölferkogel scheint ihr zu liegen, im Ziel fehlten ihr nur 28 Hundertstelsekunden auf Rang drei. Am Ende wurde Aicher Sechste und schien ihrerseits durchaus vom WM-Geist ergriffen zu sein. „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Skifahren heute und dass ich es mal von oben bis unten zeigen konnte.“ Für eine deutsche Medaille ging es sich zwar nicht ganz aus. Aber die WM hat ja gerade erst begonnen.