Österreich:Therapeutischer Effekt

Österreich: Fans des Traditionsvereins Rapid Wien zelebrieren seit 123 Jahren die Tugenden "Kämpfen und Siegen".

Fans des Traditionsvereins Rapid Wien zelebrieren seit 123 Jahren die Tugenden "Kämpfen und Siegen".

(Foto: Carsten Harz/Getty Images)

Die Turbulenzen um den legendären Fußballverein Rapid Wien beweisen es mal wieder: In Österreich wird gerne so viel an früher gedacht, dass keine Zeit mehr für die Zukunft bleibt.

Von Felix Haselsteiner

Hätte man am Donnerstagabend vielleicht doch den Fernseher einschalten sollen? FC Vaduz gegen Apollonia Limassol, Europa Conference League, das größte Spiel in der kleinen Fußballgeschichte Liechtensteins, endete mit einem 0:0. Es war damit noch unspektakulärer, als man sich hatte ausmalen können. Aber es hätte möglicherweise auch für Österreicher Sinn ergeben, sich das anzuschauen, des therapeutischen Effekts wegen.

Denn da, wo Vaduz spielte, hätten eigentlich in grünen Leiberln die Spieler von Rapid Wien auflaufen sollen. Im Europacup, als Vertreter einer nicht immer erfolgreichen, aber stolzen Fußballnation, die in diesem Jahr mal wieder vorgeführt bekam, wie man scheitern kann, wenn man sich zu sehr in die eigene Vergangenheit verliebt.

Als am 25. August die Rapidler ihr Heimspiel gegen besagten FC Vaduz verloren, seines Zeichens damals Vorletzter der zweiten Schweizer Fußballiga, betrat in den Minuten nach Abpfiff eine Gruppe an Hardcore-Fans von der Westtribüne die Präsidentenloge, um dort den Vereinsoberen ihre Meinung zu sagen. Die chaotischen Szenen führten dazu, dass in den Tagen darauf erst Präsident Martin Bruckner und später Manager Christoph Peschek ihre Rücktritte erklärten. Letzterer tat dies unter Tränen mitsamt einer Liebeserklärung an den Verein, für den er nun nicht mehr arbeitet.

Österreich bleibt ein kleines Land mit viel Tradition

Das alles bediente wieder einmal das Klischee, dem man sich in Hütteldorf so gerne hingibt - und das auch deshalb so gut nach Österreich passt, weil es sich auf das gesamte Land anwenden lässt. Rapid zelebriert seine Traditionsliebe und seine Tugenden "Kämpfen und Siegen" seit 123 Jahren. Der 90er-Jahre-Charme, eine Mischung aus Bier und Schweiß in der Nase und eine Wampe sowie ein Goldketterl vor den Augen, wird aber nicht nur bei Rapid gerne glorifiziert.

Die Sehnsucht nach einer Welt, in der Hansi Krankl seine Tore schoss, Falco am Donauinselfest sang und man friedlich im Oktober die Ölheizung befüllen konnte, ist allgegenwärtig in Österreich, wo man manchmal den Eindruck bekommt, dass so viel an früher gedacht wird, dass keine Zeit mehr für die Zukunft bleibt.

Für den Innenblick reicht das auch aus zur Zufriedenheit: Rapid bleibt Rapid, ein ehemals glorreicher Verein, der einfach eine alte Videokassette mit Krankl-Toren aus dem Archiv holen kann, wenn es Kritik daran gibt, dass dort nicht zeitgemäß gearbeitet wird - damit kann man übrigens auch hervorragend Distanz zur Red-Bull-Fußballfiliale in Salzburg verdeutlichen, die eher ungern zurückblickt, aber dafür Champions League spielt.

Österreich bleibt Österreich, ein kleines Land mit viel Tradition, das sich im Zweifelsfall immer auf Mozart berufen kann, wenn es nicht mehr weitergeht. Über die Landesgrenzen hinaus sollte man nicht schauen, dann würde man nämlich schnell erkennen, dass es vielen traditionellen Institutionen in Österreich nicht gelungen ist, den Anschluss zu halten. Wer sich das noch einmal deutlich machen möchte, ist am kommenden Donnerstag wieder eingeladen zum therapeutischen Fußballschauen: Da spielt der FC Vaduz wieder.

Diese Kolumne erscheint am 9. September 2022 auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung der SZ zu Österreich bündelt. Gleich kostenlos anmelden.

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