Süddeutsche Zeitung

Österreich:Die Juwelenzucht sonnt sich wieder

In der Corona-Pause hat sich das Spielglück in Österreichs Liga wieder gewandelt.

Von Moritz Kielbassa, München

Man sollte vorsichtig sein mit Überinterpretationen zum Thema Fußball und Moral. In Österreichs Bundesliga allerdings hat es gerade den Anschein, als würde irgendein grantiger Fußballgott kleine Sünden fortgesetzt bestrafen. Bis März, bis zur Corona-Zäsur, war der Linzer ASK die Überfliegertruppe der Liga: Das Team von Trainer Valerien Ismael tanzte von Sieg zu Sieg, auch in der Europa League, und nach einem furiosen 3:2 beim damals kränkelnden Dauermeister Salzburg übernahmen die Linzer sogar die Ligaspitze. Doch weil Rausch und Übermut oft nah beisammen liegen, absolvierten sie in der Pandemiepause mehrere Mannschaftstrainings, volle Lotte mit Zweikämpfen, als das noch strikt verboten war. Sechs Punkte Abzug lautete die satte Sanktion der Liga in erster Instanz. Da das Unheil nun auch auf dem Platz weitergeht, hat der LASK plötzlich nicht mehr sechs Punkte Vorsprung auf Salzburg, wie noch am 8. März - sondern, hoppala, elf Punkte Rückstand. Und weil schlimmer immer geht, sind die Linzer seit Mittwochabend sogar nur noch Tabellenvierter, zurückgefallen hinter Rapid Wien und Wolfsberg.

Auch im dritten Spiel der Meisterrunde, die mit dem Re-Start losging, blieb Linz sieglos. Das zähe Verfolgerduell mit Rapid hätte man gewinnen können, genug Chancen gab es. Doch kurz vor Feierabend unterlief dem Linzer Verteidiger Wiesinger ein Alptraum-Rückpass, statt zum Torwart präzise vor die Füße des griechischen Rapid-Stürmers Fountas, der die Einladung zum lucky punch ungeniert annahm: 0:1 (87.), Heimspiel vergeigt - das kannten die Linzer bereits vom letzten Mal gegen Hartberg, da fiel in der Nachspielzeit das 1:2. Beim 3:3 in Wolfsberg hatte Ismaels Elf zudem einen 2:0-Vorsprung hergegeben.

Salzburg dagegen sonnt sich wieder souverän auf Platz eins. Die Trauerwochen des Winters, als dem Verlust des Ausnahmestürmers Erling Haaland (zu Dortmund) surreale fünf Spiele in Serie ohne Bullensieg folgten, sind vorbei. Der Linzer Punktabzug-Fauxpas war hilfreich, Hauptgrund des Salzburger Hochs ist aber die wiedererlangte eigene Stärke. Im Pokalfinale gegen Lustenau (5:0) gab es die erste Trophäe mit Trainer Jesse Marsch, seither wurden drei Ligaspiele gewonnen, mit 13:1 Toren.

Die allerwichtigste Erkenntnis für Salzburg ist aber, dass es immer weitergeht im ewigen Kreislauf des Klubs, Supertalente zu entdecken und entwickeln, sie zu verkaufen - und das Spiel von vorne zu beginnen, bisher mit nie nachlassender Qualität. Haaland, Minamino, Pongracic, Schlager, Wolf, Haidara, Lainer, Dabbur, Samassekou - sie alle verließen Salzburg 2019 für Wechsel ins Ausland. Doch in die Lücken stoßen neue Juwele fürs Schaufenster.

Der Stürmer Patson Daka aus Sambia, 21, hat bereits 22 Saisontore erzielt, vorige Woche schoss er drei beim 6:0 in Hartberg. Am Mittwoch, beim 5:1 in Graz, stach dann der aktuell spannendste Salzburger heraus: Dominik Szoboszlai, 19 Jahre junger Ungar, traf dreimal mit seinen feinen Füßen, ein Tor sehenswerter als das andere: ein Freistoß über die Mauer mit rechts und viel Schnitt, ein Schrägschuss mit links ins Kreuzeck gewuchtet - und dann noch dieses Ding: einmal um die eigene Achse und um den Verteidiger herum gedreht, wobei Szoboszlai zweimal mit der Sohle auf den Ball stieg (Fachbegriff: "Zidane-Wende") - und dann ab mit der Kugel ins Tor.

Sein Coach, der US-Amerikaner Marsch, trug erneut eine Armbinde, um sich mit den Anti-Rassismus-Protesten in seiner Heimat zu solidarisieren. Medial wird der frühere Leipziger Co-Trainer bereits als möglicher Favre-Nachfolger in Dortmund gespielt. Dominik Szoboszlai musste am Mittwoch bereits Fragen nach einem Angebot des AC Mailand beantworten, wo im Sommer der frühere Salzburger Sportchef Ralf Rangnick das Traineramt übernehmen könnte. Aber sie kennen dieses Spiel in Salzburg. Sie wissen, dass erfolgreiche Trainer und Spieler gehen werden, mehr oder weniger zeitnah.

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SZ vom 12.06.2020
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