In aller Höflichkeit hatten David Alaba, Marko Arnautovic, Marcel Sabitzer, Konrad Laimer, Ralf Rangnick und sein Trainerteam zum Ende noch eine Bitte formuliert: „Lassen Sie uns bitte den Weg, den wir als Mannschaft gemeinsam eingeschlagen haben, erfolgreich weitergehen“, dieser Satz stand nach einem Bericht des Kurier, der sich mit SZ-Informationen deckt, am Ende eines Dokuments, das in die österreichische Fußballgeschichte eingehen dürfte. Es war die fromme Bitte einer Mannschaft, all die positive Energie nicht zu gefährden, die sie zuletzt heraufbeschworen hatte. Eine Forderung, von Veränderung abzusehen, gerichtet an einen Fußballverband, der Gefahr läuft, ins Chaos abzugleiten.
Am Freitagnachmittag hat der Österreichische Fußballverband (ÖFB) in einer Präsidiumssitzung eine sogenannte „Strukturreform“ beschlossen. Das klingt auf den ersten Blick durchaus begrüßenswert in einem komplexen Konstrukt, das – ähnlich seinem deutschen Äquivalent – seit Jahren unter zu viel Einfluss zu vieler verschiedener Mitredner insbesondere auf Landesebene leidet. Nur verbarg sich hinter diesem Entschluss zur Reform nicht die Lösung, sondern in Wahrheit eine enorme Gefahr für den inneren Hausfrieden. Was nicht zuletzt mit dem Mann zusammenhängt, der stellvertretend für die vielen positiven Schlagzeilen steht.
Vor nicht einmal einer Woche erst wurde Teamchef Rangnick wieder in höchste Höhen gehoben. Internationale Beachtung fand das 5:1 der Österreicher in der Nations League gegen Norwegen, es war eine der Glanzleistungen seiner Amtszeit. In der hat Rangnick es geschafft, zu einer beachtlichen Einheit mit einer Mannschaft zusammenzuwachsen, die in den Jahren zuvor nicht immer einfach im Umgang war. Es blieb zwar nach dem Sommer das Manko einer EM-Endrunde, die zu früh für die eigenen Ansprüche im Achtelfinale endete, aber eben auch die Erkenntnis, dass Rangnick weiterhin beachtlich viel Lust auf eine Zukunft in Österreich hat – so viel, dass er im Frühjahr bekanntlich gar dem FC Bayern absagte.
Das führte in erster Instanz zu großer Freude im Land, bis sich eine kleine Gruppe an Österreichern wieder einmal an einer der Landestugenden verging: dem Übermut. Anders jedenfalls ist die Geschichte kaum zu erklären, die vor einigen Tagen das Magazin Profil veröffentlichte. Und die in direktem Zusammenhang mit den Vorgängen vom Freitag steht.
Rangnick hatte intern Forderungen platziert
Ende August hatte Rangnick an einer zweitägigen Sitzung des ÖFB-Präsidiums teilgenommen, um dort seine sportliche Expertise einzubringen und seine Ideen und Forderungen in den richtigen Kreisen zu platzieren. Dazu zählten nach SZ-Informationen unter anderem die Einstellung eines designierten Teammanagers und Veränderungen im Nachwuchsbereich. Für seine zielstrebige Art der Veränderung ist der 66-Jährige im Fußballgeschäft bekannt. Mancherorts ist er gerade deshalb angesehen, andernorts weniger – im Falle des ÖFB und einer Riege, die beachtlich wenig fußballerisches Fachwissen vorzuweisen hat, hätte man meinen können, dass Rangnicks Beiträge durchaus willkommen wären. Allerdings: nicht bei allen.
„Ich habe nicht erforderlich gefunden, dass er zwei Tage dort dabei sein muss“, kritisierte der niederösterreichische Landespräsident Johann Gartner im Profil und sagte in Bezug auf Rangnick: „Man muss auch immer aufpassen, wo er gerade hingaloppiert.“ Der 71-Jährige ist seit Jahren für wenig Zurückhaltung in der Öffentlichkeit bekannt, er sieht sich in der Tradition vieler Politiker und Funktionäre aus Österreichs größtem Bundesland, das besonders gerne an Größenwahn krankt. Die Klarheit gegenüber dem Teamchef allerdings war selbst für Gartner ausufernd – liefert allerdings einen Eindruck der Sitzung am Freitag, die am Ende zu einem personellen Umbruch führte.
Entlassen wurden die beiden Geschäftsführer Thomas Hollerer und Bernhard Neuhold, jene Personalien, an denen sich die Debatte in vielerlei Hinsicht aufhängt. Seit Jahren führen beide trotz intensiver gegenseitiger Abneigung den Verband in einer Art Pattsituation: Hollerer wird unterstützt von einer Front aus Landesfürsten, Neuhold hingegen vor allem von der sportlichen Seite geschätzt. So sehr, dass sich die entscheidenden Personen im österreichischen Fußball kurz vor knapp noch einmischten.
„Bernhard ist seit Jahren unser direkter Ansprechpartner in allen organisatorischen und finanziellen Angelegenheiten. Er hat mit seinem Team wesentlichen Anteil an unserem gemeinsamen Erfolg, vor allem an unserem Auftreten bei der Euro 2024“, schrieben Mannschaftsrat und Trainerteam in ihrem Brief: „Gerade im Hinblick auf das wichtige Länderspieljahr 2025 und unser großes Ziel WM 2026 ist Bernhard Neuholds Expertise und Kompetenz unverzichtbar.“
Das sah man allerdings im Gremium und offenbar auch bei Verbandspräsident Klaus Mitterdorfer anders: Neuhold wurde vor die Tür gesetzt, wenngleich sowohl an ihn als auch an Hollerer kurioserweise eine Einladung zur Neubewerbung folgten. In Zukunft soll der ÖFB von einem übergeordneten CEO und zwei Vorständen – einer für den Sport, einer für die Wirtschaft – geführt werden. Dem Vernehmen nach hat nun allerdings Hollerer die besten Chancen, wieder einen der Posten zu bekommen, während Neuhold, immerhin seit 20 Jahren im Verband tätig, kaum jemand die Rückkehr zutraut. Unklar ist zudem, ob Präsident Mitterdorfer im kommenden Frühjahr noch einmal für die Wiederwahl kandidiert.
Die letzte kleine, verschworene Einheit ist nun allerdings endgültig nur noch die Mannschaft mitsamt dem Trainer, die allesamt ihrem eigenen Verband, der ihre Vertrauensperson entließ, kritischer denn je gegenüberstehen. Weder Rangnick noch Spieler äußerten sich vorerst zu den Ergebnissen vom Freitag, hinter den Kulissen ist die Empörung allerdings groß – und Konsequenzen nicht ausgeschlossen. Der Vertrag des Teamchefs etwa läuft derzeit bis 2025, bei erfolgreicher Qualifikation für die WM 2026 würde er sich bis zum Ende des Turniers verlängern.
Manche im Verband und die große Mehrheit im Land sahen in Rangnick die Gelegenheit für eine erfolgreiche Ära, einen Aufbruch in die fußballerische Moderne mitsamt Veränderungen im Verband. Unter den aktuellen Umständen allerdings darf der ÖFB dankbar sein, dass dem Teamchef seine Mannschaft und das Land ans Herz gewachsen sind – der Verband ist in seiner derzeitigen Verfassung kein Rahmen, in dem man eine Ära prägen kann.