Nuri Sahin muss sich hinten anstellen. Wer gedacht hatte, die Dortmunder Spieler würden ihn am Sonntag auf einer Sänfte auf den Rasen der Düsseldorfer Arena tragen, der konnte schnell erkennen, dass die vergangenen 20 Monate eine Menge verändert haben - bei Borussia Dortmund und bei Nuri Sahin. Der 24-Jährige hatte die Borussia im Mai 2011 als Star Richtung Madrid verlassen, und als er an diesem Sonntag, zwei Tage nach seiner Rückkehr und kurz vor dem Düsseldorfer Mini-Turnier namens "Wintercup", die BVB-Kabine verließ, trug er lange Hosen. Die Kabine in langen Hosen zu verlassen, bedeutet: Man sitzt erst einmal auf der Ersatzbank. Man muss den anderen erst einmal beweisen, dass man besser ist als sie.
Geschätzte drei Millionen Euro pro Saison zahlt der BVB seinem für zunächst eineinhalb Jahre ausgeliehenen Mittelfeldmann Sahin, mit dem man eine weitere Alternative in einem eigentlich schon sehr gut besetzten Mittelfeld hat. In diesem Mittelfeld bekamen am Sonntag beim 45-minütigen 1:0-Auftaktsieg gegen Fortuna Düsseldorf die etablierten Kräfte den Vorzug: Ilkay Gündogan und Sebastian Kehl defensiv, Mario Götze, Kevin Großkreutz und Torschütze Marco Reus offensiv - zudem Sven Bender, der allerdings anstelle der verletzten Neven Subotic und Felipe Santana in der Innenverteidigung aushalf.
Sahin durfte dann aber im zweiten Spiel ran, dem Turnierfinale gegen Mainz 05. An Benders Seite verwaltete er Dortmunds Zentrum und bewies bei dem im Elfmeterschießen erwirkten 5:4-Sieg wie erwartet eine zügige Akklimatisierung. "Meine Nervosität war allerdings erst nach fünf Minuten weg", sagte Sahin, er habe in der Nacht zuvor schlecht geschlafen und sei "ungewöhnlich nervös gewesen, fast so nervös wie bei meinem Debüt mit 16 Jahren damals". Nach fünf Minuten aber habe es sich doch wieder angefühlt wie vor eineinhalb Jahren. "Ich kenne ja die Abläufe in der Mannschaft." Dass der Rückkehrer seiner Borussia bei der Dreifachbewältigung von Bundesliga, Pokal und Champions League helfen kann, ist kaum fraglich - eher, wie Trainer Jürgen Klopp die Überkapazität im Mittelfeld taktisch moderiert.
Am 17. April 2011 hatte Sahin sein letztes Spiel für Dortmund gemacht. Beim 3:0- Sieg am 30. Spieltag gegen Freiburg musste er in der 28. Minute mit einer Innenbanddehnung im Knie vom Feld. Diese Verletzung, die sich hinzog und ihm erst am 6. November 2011 einen Kurzeinsatz für Real Madrid ermöglichte, war einer der Gründe, warum Sahin sich bei Real und beim Trainer José Mourinho so schwer tat und warum er diese Verunsicherung im August 2012 mit zum FC Liverpool nahm, wohin Real ihn auslieh. In Madrid hatte Sahin nur je vier Spiele in Primera División und Champions League absolviert, in Liverpool kamen sieben in der Premier League und vier in der Europa League hinzu. Macht in Summe 19 Pflichtspiele binnen jener 20 Monate, die Sahin fort war. Kein Wunder, dass er sich heimsehnte.
In Dortmund kehrt Sahin in einen Kader zurück, der sich kaum verändert hat. Die Mitspieler, die er am 17. April 2011 in der 28. Minute auf dem Feld zurückließ, spielen alle noch für Dortmund. Acht von ihnen standen am Sonntag gegen Düsseldorf in der Startelf. Ob die inzwischen mit Gündogan und Reus verstärkte Borussia diesen Sahin überhaupt noch braucht, ist die zurzeit am meisten diskutierte Frage. Vor allem der Kampf um die Stammplätze im defensiven Mittelfeld dürfte knackig werden.
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Mit Sahin, Bender, Gündogan, Kehl und Moritz Leitner kämpfen fünf hochkarätige Profis um zwei Plätze, und weil so eine Konstellation allein mit Rotation nicht zur Zufriedenheit aller zu klären ist, könnte Gündogan eine offensivere Rolle zugeteilt bekommen. Klopp könnte sich den früheren Nürnberger auch auf der Spielmacherposition vorstellen. Im offensiven Mittelfeld allerdings stehen ohnehin schon vier starke Spieler (Reus, Götze, Großkreutz und Blaszczykowski) in Konkurrenz. "Gegen den Ball treten kann ich immer noch", sagt Sahin lakonisch. "Wir haben keinen Zeitdruck und können im Training in Ruhe einige Dinge erarbeiten", sagt Klopp über Sahins Wiedereingliederung.
Mit ihrer Kader-Verbreiterung nehmen die Dortmunder den auf Jahre angelegten Zweikampf gegen den FC Bayern selbstbewusst auf, allerdings droht eine qualitative Lücke zwischen dem üppigen Mittelfeld und der klitzekleinen Sturmabteilung, in der man als einzigen Weltklasse-Stürmer jenen Robert Lewandowski besitzt, der im Sommer vermutlich nach England wechselt. Während die Münchener in Mandzukic, Gomez und Pizarro gleich drei namhafte Spitzen beschäftigen, werden dem BVB-Trainer Klopp Sympathien für jene moderne Sturmlösung nach spanischem Vorbild nachgesagt, bei der ein Halbstürmer namens Reus sich in der Spitze mit den Halbstürmern Götze und Blaszczykowski abwechseln könnte. Dahinter dann Sahin.
"Nuri gibt uns insgesamt mehr Qualität", sagte Sportdirektor Michael Zorc am Sonntag, "aber das ändert nichts daran, dass Bayern München zwölf Punkte Vorsprung hat." An der akuten Desillusionierung bezüglich einer Titelverteidigung im Mai hat Sahins Heimkehr in Dortmund überhaupt nichts geändert.