Süddeutsche Zeitung

Nürnberg:Rausquetschen auf Oberpfälzisch

Der 1. FC Nürnberg zeigt beim 2:2 in Augsburg jene Erstliga-Tauglichkeit, die ihm schon abgesprochen wurde.

Von Sebastian Fischer, Augsburg

Michael Köllner war an Allerheiligen auf dem Friedhof in seinem Heimatort Füchsmühl im Landkreis Tirschenreuth in der Oberpfalz, und so begann die Geschichte einer Wiederauferstehung. Oder so etwas ähnliches. Der Trainer des 1. FC Nürnberg hatte jedenfalls mit den Leuten in seinem Dorf gesprochen, in dem er einst Ministrant war, zum Schützenverein ging und mit dem Fußball begann. Und die Leute, so erzählte er es zwei Tage später, nach dem 2:2 beim FC Augsburg, "die Leute wussten schon, dass wir heute wieder gut unterwegs sind". Dabei war der Club ja in den vergangenen Wochen alles andere als gut unterwegs.

Vor dem Spiel in Augsburg hatte Nürnberg zwei Auswärtsspiele in Dortmund und Leipzig mit zusammengerechnet 0:13 Toren verloren, was viele Leute zur Annahme führte, der Aufsteiger zähle bereits zu den Totgesagten der Liga. Die erste Halbzeit im bayerischen Derby bestätigte diesen Eindruck: Augsburg war hochüberlegen, traf durch Alfred Finnbogason nach elf Minuten zum 1:0 und hätte höher führen können. Doch dann folgte eine Halbzeitpause, die zum Wendepunkt wurde. Und das hatte zwar nicht direkt mit Fuchsmühl zu tun, aber mit Fuchs und Mühl.

Alexander Fuchs, 21, aus der Jugend des TSV 1860 München, spielt seit Sommer 2017 für den 1. FC Nürnberg, aber er machte das lange nicht sehr auffällig. In der vergangenen Zweitligasaison saß er meist auf der Bank. Gegen Augsburg spielte er schon zum sechsten Mal in dieser Saison im offensiven Mittelfeld von Beginn an, aber in der ersten Halbzeit nicht gut. "Er ist nur rumgerannt", sagte Köllner. Beispielhaft für seine Halbzeitansprache berichtete er, wie er sich Fuchs zur Brust genommen hatte, "wortwörtlich". Er müsse jetzt "endlich mal den Punch bringen, da kann ich nicht fünf Jahre drauf warten!"

Die Wartezeit betrug dann neun Minuten, bis Fuchs nach einem Konter ausglich, unmittelbar nach einem Pfostentreffer von Finnbogason. Und nachdem Augsburgs Jonathan Schmid mit einem Freistoßtor das zwischenzeitliche 2:1 erzielt hatte, traf in der 88. Minute nach einer Ecke per Kopfball der Abwehrspieler Lukas Mühl, 21, zum Ausgleich.

Die Namen der Torschützen waren nachher dann natürlich ein Thema, zumal die beiden in der vergangenen Saison noch gemeinsam in einer WG gewohnt hatten. Fuchs, Mühl, sagte Köllner: Es sei schön für seinen Heimatort, jetzt in der Torschützenliste aufzutauchen. Doch was in Wahrheit vielmehr über die Nürnberger Stärke verriet, war die Namenlosigkeit der Torschützen. Wer am Samstag einen Nürnberger Spieler ob seiner individuellen Klasse herausheben wollte, der konnte mit Wohlwollen beim schnellen Flügelspieler Virgil Misidjan anfangen, über den so gut wie jeder Angriff lief und der im Sommer ja auch immerhin rund drei Millionen Euro teuer war. Aber dann musste man mit dem Herausheben schon wieder aufhören.

"Auch wenn die Spieler keine großen Namen haben - man kann jeden reinschmeißen"

"Auch wenn die Spieler vielleicht keine großen Namen haben, man kann jeden reinschmeißen, und jeder gibt Gas", das sagte Köllner, als er über die Stärken seines Kaders sprach. 23 Spieler hat er in dieser Saison bereits eingesetzt, die drittmeisten aller Bundesligisten. Die meisten davon könnten wohl jenseits von Franken über jeden Wochenmarkt gehen, ohne als Profifußballer erkannt zu werden. Doch vielleicht ist es auch genau das, was dabei hilft, ein 0:6 in Leipzig und ein 0:7 in Dortmund zu verarbeiten - und sich nach einer schwachen Halbzeit in Augsburg nicht geschlagen zu geben.

"Klartext", habe der Trainer gesprochen, berichtete Torwart Christian Mathenia später, "dann haben wir unser wahres Gesicht gezeigt." Nürnberg verteidigte in einer Art 4-4-2-System fortan früher, lief mehr. Es sei darum gegangen, im dritten Spiel binnen sieben Tagen nach dem 1:1 gegen Frankfurt und dem Pokalerfolg im Elfmeterschießen in Rostock "den Rest aus der Mannschaft raus zu quetschen", sagte Köllner. "Das ist mir heute gelungen."

Augsburgs Trainer Manuel Baum war unzufrieden, den Sieg verpasst zu haben; er monierte, seine Elf habe um den Ausgleich "gebettelt". Die beste Erklärung lieferte aber Augsburgs Verteidiger Martin Hinteregger, der sagte: "Nürnberg hat uns einfach nie in Ruhe gelassen. Wenn es nach Köllner geht, dann kann das genauso weitergehen. "Wir sind gut in der Saison unterwegs", sagt er. Und vielleicht kann er dann ja tatsächlich im Sommer in Fuchsmühl erzählen, wie er mit lauter Spielern, die wie bayerische Dörfer heißen, die Klasse gehalten hat.

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SZ vom 05.11.2018
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