Patrick Reimer musste diese Woche bei seinem Trainer Tom Rowe etwas loswerden. "Mann o Mann", sagte der Kapitän der Nürnberg Ice Tigers, "sie hat uns einen Plan vorgelegt, der hervorragend war." Rowe lächelte, als er diese Geschichte am Mittwochabend erzählte. Denn sie sagt auch, dass sein Plan aufgegangen ist. Rowe ist knapp 66 Jahre alt - und damit der älteste Trainer in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Große Teile seiner Karriere im Profi-Eishockey hat er als Mann der alten, konservativen Schule beschritten, doch jetzt, in fortgeschrittenem Alter, ist er offen für Neues. Deshalb hat er sich Anfang dieser Woche Jessica Campbell zur Seite geholt. Die 29-Jährige war kanadische Nationalspielerin, hat mit ihrem Land WM-Silber geholt. Mittlerweile arbeitet sie als Techniktrainerin mit NHL- und auch DEL-Spielern.
So kam sie Anfang der Woche nach Nürnberg, um den Nürnberger Profis individuell zur Seite zu stehen. Dass sie schon wenige Stunden später beim Heimspiel gegen die Iserlohn Roosters neben Rowe und dessen Co-Trainer Manuel Kofler hinter der Bande stand, war nicht geplant, zeigt aber, wie überzeugend sie in ihren Gesprächen mit Rowe war. "Ich sagte ihr: Schnappe dir einen Stift und gehe an die Taktiktafel", erzählte Rowe. Mit Campbell bezwangen die Ice Tigers die Roosters mit 6:2 und holten am Mittwoch beim EHC Red Bull München bei der 2:3-Niederlage nach Penaltyschießen einen Punkt. Eine Frau in Trainerfunktion hinter der Bande: Das hat es in der DEL noch nicht gegeben. Campbell arbeitete im dunklen Blazer, mit verschränkten Armen - und Kaugummi kauend.

Der Kontakt zu Campbell kam über Ice-Tigers-Sportdirektor Stefan Ustorf zustande. Rowe kannte zwar den Namen, einen persönlichen Kontakt hatte es aber nicht gegeben. Doch er war sehr schnell derart begeistert von den Ideen der 29-Jährigen, dass er ihr die komplette Verantwortung für die Offensive und das Powerplay übertrug. "Tom hat mir eine ziemlich bedeutsame Rolle gegeben", sagte Campbell. Eine Frau in leitender Funktion im Männer-Eishockey, in einer Sportart, in der Macho-Strukturen immer noch weit verbreitet sind, ist alles andere als selbstverständlich. Für den alten Hasen Rowe war das aber kein Thema. "Es ist mir völlig egal, ob das ein Kerl oder eine Frau ist", betonte er. "Ich möchte einfach die besten Leute um mich haben, die lassen mich und die Spieler besser aussehen." Sein Ego stellte er hinten an.
Nach 15 Sekunden war die neue Chefin von den Spielern akzeptiert, erzählt Verteidiger Andrew Bodnarchuk
Die Nürnberger Spieler sind begeistert von den Impulsen, die von Campbell kommen. Andrew Bodnarchuk, der in München das 1:0 erzielte, erzählte, es habe nur 15 Sekunden gedauert, "bis jeder in der Kabine verstand, dass sie hierhin gehört". Campbell habe einen "großartigen Eishockey-Verstand" und ein sehr gutes Gespür für das Spiel: "Die Jungs haben sofort die Ohren gespitzt." Auch Tim Bender war sofort überzeugt: "Seit sie da ist, haben wir extrem viel über die Offensive geredet, was meiner Meinung nach auch unsere größte Schwachstelle ist." Und Campbells Tipps fruchteten sofort. "Man merkt, dass mehr Kreativität im Spiel ist und wir mehr Chancen kreieren." Seit Campbell da sei, "finden wir in der Offensivzone mehr Raum", sagte Bodnarchuk. Und weniger geflucht wird aufgrund ihrer Präsenz auch, ergänzte Trainer Rowe lächelnd.
Rowe, der die Franken erst im Oktober übernommen hat, gab ihnen schnell Struktur und sorgte dafür, dass sie sich souverän für die Pre-Playoffs qualifizierten. Er konzentrierte sich dabei lange auf die defensive Arbeit, denn dort "gab es einiges aufzuräumen", sagte er. Nun, kurz vor den Playoffs, sollte frisches Offensivgedankengut eingepflanzt werden - und Campbell erledigt das anscheinend vorzüglich. "Ich versuche, eine andere Perspektive und Vision einzubringen", erzählte sie. Dabei helfe ihr ihre Erfahrung aus dem Frauenbereich, denn dort ist das Spiel nicht so körperlich und deshalb technischer. Es gehe darum, mit der Scheibe am Schläger ins Angriffsdrittel zu kommen, sie nicht tief in die Rundung zu schießen und hinterherzujagen, wie von nordamerikanischen Trainern oft gepredigt.
Campbell ist sich bewusst, dass sie mehr ist, als eine talentierte Trainerin. Sie ist eine Vorreiterin. Egal ob Mann oder Frau, "letztlich sprechen wir alle die Eishockeysprache", betonte sie. Obwohl sie oft gesagt bekam, für Frauen sei im Männerbereich kein Platz, ließ sie sich nicht von ihrem Weg abbringen. Ihre Botschaft lautet: "Lasst euch nicht sagen: Sorry, es geht nicht, du bist eine Frau." Sie ist davon überzeugt, dass sich die Mentalität ändern wird - und rechnet es den Ice Tigers "hoch an", dass sie diese Chance bekam. Am Freitag, beim Heimspiel gegen die Augsburger Panther, wird sie letztmals für die Ice Tigers hinter der Bande stehen, dann kehrt sie zurück nach Chicago. Ihr Ziel ist es, irgendwann als Cheftrainerin im Männerbereich zu arbeiten. Geht es nach Rowe, wird das so kommen. Campbell, sagte er, habe "eine leuchtende Zukunft vor sich".