Süddeutsche Zeitung

Nürnberg Ice Tigers:1001. Nacht

Gerade erst ist Nürnbergs Patrick Reimer zum besten Scorer der DEL-Geschichte aufgestiegen, nun hat er auch sein 1000. DEL-Spiel hinter sich und wird entsprechend hofiert. Dass sein Jubiläumswochenende glücklich endet, erzwingt er selbst.

Von Christian Bernhard

Alle starrten nach oben, auf den Videowürfel der Nürnberger Eishalle. Dort stimmten nacheinander große Namen der deutschen Eishockeyszene ihr Loblied auf jenen Mann an, der sich unten auf dem Eis auf seinen Schläger stützte - womöglich auch, um seine Emotionen hinter dicken Handschuhen zu verbergen. Ganz gelang das Patrick Reimer nicht, seine Augen waren wässrig, als einige Weggefährten beschrieben, was ihn als Eishockeyspieler und Mensch ausmacht. Auch Campino, Frontmann der Toten Hosen, richtete virtuelle Glückwünsche an den Kapitän der Nürnberg Ice Tigers.

Dieser reagierte im anschließenden Spiel so, wie es sich für die "Maschine" Reimer (Zitat Leo Pföderl) gehört und garnierte den feierlichen Abend mit seiner "tollen Kunst" (Zitat Campino). Wenige Sekunden vor Ende des Nürnberger Heimspiels gegen die Fischtown Pinguins hinderte Reimer im eigenen Drittel einen Bremerhavener an einem gefährlichen Abschluss und leitete damit jenen Konter ein, den der aufgerückte Verteidiger Julius Karrer zum 4:3-Siegtreffer vollendete. Reimer hatte ihm die Scheibe mit einem perfekten Rückhandpass am langen Pfosten serviert. 7,7 Sekunden waren da noch auf der Uhr. Reimer hatte höchstpersönlich dafür gesorgt, dass seine 1001. DEL-Nacht eine erfolgreiche wurde.

Das vergangene Wochenende war ein besonderes für Reimer, der reichlich besondere Eishockeymomente erlebt hat. Der 38-Jährige bestritt am Freitag in Köln sein 1000 Spiel in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) und trat erst als siebter Spieler in diesen "erlesenen Kreis" ein, wie Reimer ihn bezeichnete - nach Mirko Lüdemann, Sebastian Furchner, Yannic Seidenberg, Niki Mondt, Daniel Kreutzer und Patrick Köppchen. "Das sind Zahlen, die man sich am Anfang einer Karriere nicht vorstellen kann", sagte Reimer. Es gehöre "viel dazu, dass man so weit kommen kann".

Dass er als langjähriger Düsseldorfer Spieler bei der Ehrung in Köln eine Kiste Kölsch statt des bevorzugten Alt-Biers von Mirko Lüdemann erhielt, nahm Reimer mit einem Lächeln. Nach der Partie versperrten Nürnberger Fans die Abfahrt des Mannschaftsbusses - nicht aus Unmut über die 1:2-Niederlage, sondern um Reimer mit einem Spruchband zu huldigen. Der bat die komplette Mannschaft mit nach draußen. Als der Ice-Tigers-Bus um drei Uhr nachts im Schneefall an der Nürnberger Eishalle ankam, wurde er dort von weiteren Anhängern empfangen, die "Patrick Reimer, Eishockey-Gott" sangen. "Ihr seid doch verrückt", fand der Geehrte.

Reimer hat historische Tage hinter sich. Erst vor zwei Wochen war er zum "Topscorer der Topscorer" geworden, wie Leo Pföderl es so schön umschrieb. Mit seinem 798. DEL-Scorerpunkt hatte er seinen ehemaligen Mitspieler Daniel Kreutzer überflügelt und ist seitdem der beste Scorer der DEL-Geschichte. Um so etwas zu schaffen, muss man lange dabei sein. In der Saison 2004/05, als Reimer sein erstes DEL-Spiel bestritt, stand mit ihm noch der heute 52-jährige russische Kult-Torhüter Andrei Trefilov, Olympiasieger von 1992, auf dem Eis bei der Düsseldorfer EG. Julius Karrer war damals vier Jahre alt. Heute profitieren Karrer und andere junge Nürnberger Spieler von Reimers Erfahrung. "Wir haben ein Riesenglück, dass wir Reimi in unserer Mannschaft haben", erklärte er, der Routinier habe "schon alles durch". Daniel Schmölz, Reimers Angriffskollege, schwärmte: "Unfassbare Leistung. Unfassbarer Sportsmann. Unfassbarer Mensch. Da kann man nur den Hut ziehen."

An nur zwei Standorten hat er die 1001 DEL-Spiele absolviert - und dem zweiten will er noch länger erhalten bleiben

Begonnen hat Reimers Reise in den DEL-Olymp in Kaufbeuren. Dort spielte er lange mit dem heutigen Wolfsburg-Stürmer Sebastian Furchner zusammen, der vor zwei Jahren die 1000er-Marke knackte. Er habe den "allergrößten Respekt" für Reimer, sagte Furchner in seiner Videobotschaft, er nutze ihn bei Gesprächen mit Nachwuchsspielern immer wieder als Vorbild: dafür, "dass es sich lohnt, hart zu arbeiten, dranzubleiben, Energie, Kraft und Leidenschaft reinzustecken". In seinen acht Jahren in Düsseldorf, wo er seine DEL-Karriere Anfang der 2000er-Jahre startete, legte Reimer den "Grundstein" für all das, was folgen sollte, wie er selbst sagt. Reimer erlebte noch das legendäre Eisstadion an der Brehmstraße, spielte in einer Reihe mit seinem damaligen Vorbild Daniel Kreutzer und unter dem heutigen DEL-Rekordtrainer Don Jackson. Düsseldorf sei immer noch eine "Herzensangelegenheit", betont er. Wie sehr Reimer in Düsseldorf verwurzelt ist, macht auch das Cover des Toten-Hosen-Albums "Ballast der Republik" deutlich. Dort sind unter anderen Angela Merkel abgebildet, Konrad Adenauer - und eben Reimer. Der sei eine "Eishockey-Legende", betonte Campino.

Seit 2012 trägt Reimer das Nürnberger Trikot. Damit ist er auch seltenes Beispiel für Vereinstreue - seine 1001 DEL-Spiele bestritt er an nur zwei Standorten. "Für mich gab es nie groß die Überlegung, den Verein zu verlassen, wenn meine Familie und ich uns wohlfühlen", sagt er. Am Ende des emotionalen Sonntags versammelte sich Reimers Nürnberger Eishockeyfamilie in der Mitte des Eises um ihn, in Jubiläums-T-Shirts sangen sie "one more year", noch ein Jahr. Reimers Vertrag läuft am Saisonende aus, doch der Kapitän sagte, beide Seiten hätten "Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit". Und "wenn beide Lust haben, wird man einen Weg finden".

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