Englische Fußballfans stimmen gerne mal ein sarkastisches Lied an, wenn andere Zuschauer vorzeitig das Stadion verlassen: „Is there a fire drill?“, fragen sie. „Gibt es einen Feueralarm?“ In Deutschland geht das weniger geistreich vonstatten, doch auch hier riskiert einen Anschiss, wer sich aus der Kurve verabschiedet, ohne die Mannschaft bis zum Schluss unterstützt zu haben – und sei es durch seine bloße Anwesenheit.
Es waren dann auch die Bereiche über, neben und gegenüber der Nürnberger Nordkurve, die sich bereits dramatisch geleert hatten, als Robert Glatzel das dritte Tor zum Hamburger Sieg in Nürnberg köpfte (84.). So ein 0:3 ist kein schönes Ergebnis, zumal es an diesem Tag eines mit einer gewissen Tragweite war: Aus dem Aufstiegsrennen, in dem man sich ja offiziell nie befand, ist der Club mit elf Zählern Rückstand auf den HSV nun wohl endgültig ausgeschieden. Wobei Platz drei, einen Sieg am kommenden Samstag in Kaiserslautern vorausgesetzt, ja mit viel Glück noch drin ist. Und das, obwohl man in der Vorwoche drei fest eingeplante Zähler beim Schlusslicht Regensburg ließ.
Am Samstag fing der Club hingegen stark an, Trainer Miroslav Klose sah „zwei fußballerisch gute Mannschaften“ – und hatte Recht. Nach einer Viertelstunde war das Spiel dennoch verloren, weil Nürnbergs Angreifer Janis Antiste Hamburgs Daniel Elfadli in Höhe des Sprunggelenks traf und nach VAR-Intervention vom Platz flog. Zu diesem Zeitpunkt stand es bereits 0:1, Rafael Lubach hatte beim Versuch zu klären einen Schuss von Jean-Luc Dompé ins eigene Tor bugsiert (8.). Der Franzose, der mit seiner Leichtigkeit am Ball auch in der ersten Liga auffallen würde, schoss dann noch vor der Pause das zweite Tor (37.). Und so sehr sich die Nürnberger im zweiten Durchgang auch mühten, sie kamen nicht mehr so recht ins Spiel.
Das lag natürlich auch daran, dass sie 75 Minuten lang zu zehnt waren und „es dafür sogar gut gemacht hatten“, wie Offensivmann Julian Justvan feststellte. Und es lag daran, dass in Stefanos Tsimas, Tim Drexler und Robin Knoche gleich drei wichtige Spieler ersetzt werden mussten, was im Fall von Torjäger Tsimas am schlechtesten gelang. In Kaiserslautern müssen am Samstag Antiste und Caspar Jander (Gelbsperre) ersetzt werden. Auf die personellen Engpässe wies Klose sympathischerweise nur ganz dezent hin, als er betonte, dass der HSV nun mal „eine starke Bank“ habe, während man selbst eine „sehr junge Mannschaft“ beisammen habe.
Sollte heißen: Individuell ist der FCN den Spitzenteams noch nicht gewachsen, wenn wichtige Spieler ausfallen, wird es dünn. Aber Klose verfügt eben schon jetzt über ein entwicklungsfähiges Team, das dem Anhang auch in dieser Spielzeit oft Freude gemacht hat. Und je nachdem, was sich im Sommer an Zu- und Weggängen zu vermelden gibt, darf man von dieser Mannschaft in der kommenden Saison noch ein Stück mehr erwarten. Wobei das jugendliche Durchschnittsalter eben auch seine Tücken hat, wie der mit 27 Jahren geradezu uralte Justvan fand: „Wir müssen schlauer sein. Der HSV bleibt liegen und dreht sich drei Mal, wir stehen sofort wieder auf.“
Das war eine zutreffende Beobachtung. Und leider ist wohl auch das Plädoyer für bessere Schauspielkünste legitim, solange manche Schiedsrichter Fouls mit Gezeter, Wehklagen und dem Sich-an-Körperteile-fassen-die-gar-nicht-berührt-wurden, härter ahnden als solche, bei denen der Gefoulte ohne Theatralik auskommt. Ob der HSV diese Form von Cleverness braucht, sei einmal dahingestellt. Am Samstag hätte er jedenfalls auch gegen elf Nürnberger gewonnen. Auch weil er sich erneut als derjenige von zwei Aufstiegskandidaten präsentierte, der sehenswerten Fußball spielt.
Zu guter Letzt, als sich das Stadion schon gehörig geleert hatte, traf dann auch noch Glatzel, der nach seinem Sehnenriss erst das dritte Mal wieder eingewechselt worden war, zum 0:3 (84.) und ließ sich von den 8000 Hamburger Fans, den Betreuern und den Mitspielern exzessiv feiern. Was natürlich nicht nur mit seiner überwundenen Verletzungshistorie zu tun hatte. Sondern auch damit, dass es in diesem Spiel um sehr viel ging. Genauso hatten es ja auch die Nürnberg-Fans gesehen, die sich die Hamburger Feierlichkeiten lieber nicht mehr hatten anschauen wollen. Wer da ein kleines bisschen Neid auf einen womöglich künftigen Erstligisten unterstellte, lag sicher richtiger als mit der Feueralarm-Theorie.