Nürnberg - Fürth im DFB-Pokal:Grenzübertritt per U-Bahn

Zum 254. Mal treffen am Dienstag Nürnberg und Fürth aufeinander - und bestreiten damit im Achtelfinale des DFB-Pokals das am häufigsten gespielte Derby Deutschlands. Um die Ehre geht es für beide, finanziell ist das Spiel vor allem für den Zweitligisten aus Fürth bedeutend. Erkundigungen im Zentrum der fränkischen Fußballrivalität.

Philipp Schneider

Der Weg zu Fürths Jahrhunderttorwart führt in einen Friseursalon. Mitten in Nürnberg. Über dem Eingang flattert eine kleine Markise im Wind, "Salon Löwer" steht darauf, das ist schon von weitem zu erkennen. Und in kleineren Buchstaben: "Spezial Damen". Peter Löwer, 67, erscheint in der Türe, der Salon ist nach ihm benannt, ab und zu hilft er selbst noch aus. Für eine Legende hat er sich ziemlich gut gehalten. Kurzes graues Haar. 1,80 groß, schlanke Statur, fester Händedruck.

Max Morlock vom 1. FC Nürnberg.

Das fränkische Derby in der Saison 1953/54: Max Morlock im Trikot des 1. FC Nürnberg (rechts im Bild) versucht, Gerhard Geißler, Torwart der SpVgg Fürth (links im Bild), zu überwinden.

(Foto: imago sportfotodienst)

Dazu Augen, die immer in Bewegung sind, von links nach rechts, als wäre nach all den Jahren noch zu befürchten, dass von irgendwo eine scharfe Flanke in seine Frisierstube segelt. "Nicht hier, gleich kommt Kundschaft", sagt Peter Löwer, dann führt er vorbei an einer Trockenhaube, hinein in eine kleine Küche mit putzigen Wandkacheln aus den Siebzigern und macht erst einmal Kaffee.

Peter Löwer soll jetzt die Geschichte von den Nürnbergern und den Fürthern erzählen. Eine Geschichte von Feindschaft und Hass, Rivalität und Missgunst. An diesem Dienstag empfängt der Erstligist 1. FC Nürnberg den Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth im Achtelfinale des DFB-Pokals - zur 254. Auflage des am häufigsten gespielten Derbys in Deutschland. Und wer könnte diese Geschichte besser erzählen als Löwer? Zwischen 1964 und 1981 hütete er in insgesamt 504 Spielen das Tor der Fürther, und das als gebürtiger Nürnberger.

"Es gibt keinen Unterschied zwischen Nürnbergern und Fürthern", sagt Löwer. Stille. Vorübergehende Enttäuschung. Aber was ist dann mit all den gesicherten Überlieferungen?

Aus dem Jahr 1924 etwa, als sich die deutsche Nationalelf ausschließlich aus Fürthern und Nürnbergern rekrutierte; die wollten jedoch nicht miteinander spielen und mussten vom DFB in die (immerhin getrennten) Eisenbahnwaggons nahezu geprügelt werden, um gemeinsam zur Partie gegen Holland zu fahren. Angekommen in Amsterdam gingen sie sich im Hotel aus dem Weg und auch auf dem Spielfeld. Das 1:0 fiel auf Vorlage des Nürnbergers Heinrich Träg, verwandelt wurde es vom Fürther Stürmer Karl Auer. Und während die sechs Fürther jubelten, wandten sich die fünf Clubberer ab.

Erster Spielabbruch im fränkischen Derby

Ein paar Jahre später soll ein Fürther Spieler gar Spielverbot bekommen haben, weil er eine Nürnbergerin geheiratet hatte - aus Trotz wechselte er zum Club. Oder diese Geschichte: Wenn in Nürnberg einer schlechten Fußball spielt, sagt der Volksmund: "Was schbilldn där fieran Schdobbfer (Blödsinn) zam? Där is gwieß vo Färdd (Fürth)!?" Und dann noch dieses Gewalt-Kapitel: 1973 provozierten Nürnberger Anhänger den ersten Spielabbruch in der Historie des deutschen Fußballs, als sie während eines Derbys Leuchtraketen auf das Spielfeld feuerten.

Löwer stand 1973 auf dem Platz, er kennt die Geschichten. Aber er hat jetzt noch einmal gelauscht. Er hat in der Zeit noch einen Kaffee zubereitet und ihn mit seinen Händen zum Tisch getragen. Es sind die Hände eines Torwarts, nach der Karriere umgeschult zu den Händen eines Friseurs, damit sie auch künftig etwas zu tun haben würden. Er ist ebenfalls bereits bedroht worden von Nürnberger Fans. "Vielleicht", sagt er, "ist es das Problem des pöbelnden Fans. Vor dem habe ich mich immer gefürchtet."

Peter Löwer will jetzt dagegenhalten, also erzählt er von seiner Freundschaft zu Spielern wie Gustav Flachenecker und Richard Albrecht, beide wechselten in den Sechzigern vom Club nach Fürth und ließen dort unbehelligt ihre Karriere ausklingen. Irgendwann sagt er diesen für einen ewigen Fürther bemerkenswerten Satz: "Der Unterschied ist: Nürnberg war immer professionell geführt. Bei uns haben lange Zeit nur Ehrenamtliche gearbeitet. Mit der ersten Liga hat es drum nie geklappt. Heute ist das anders."

Mit der U-Bahn ins Feindesland

Auf der Fahrt aus der Stadt des neunmaligen deutschen Meisters Nürnberg hinüber in die Stadt des dreimaligen Meisters SpVgg Fürth (der im Jahr 1996 aus Geldmangel mit dem TSV Vestenbergsgreuth fusionierte) wird klar, wie sehr diese beiden Städte längst zusammengewachsen sind. Nicht nur aus der Luft betrachtet bilden sie eine Einheit, auch am Boden gibt es keinen Übergang in den Häuserzügen. Fürth und Nürnberg fließen ineinander.

Um sie zusammenzuführen, wurde 1835 zwischen den Städten die erste Eisenbahnlinie Deutschlands errichtet, heute gibt es eine U-Bahn-Haltestelle, der irgendein Nürnberger oder Fürther einst den Namen "Stadtgrenze" gab - damit jeder Fahrgast merkt, wann genau er sich auf feindlichem Territorium befindet. Wenn zwei Vereine auf engstem Raum nebeneinander liegen, dann brauchen sie eine unterschiedliche Identität, etwas, das sie voneinander abgrenzt. In München gibt es den arrivierten FC Bayern und den Arbeiterklub TSV 1860. Hamburg hat den distinguierten HSV und dazu in St. Pauli einen Anarchistenverein. Und Nürnberg und Fürth?

Die "Unaufsteigbaren" aus Fürth

Ich habe gehört, dass wir unter unseren Fans mehr Intellektuelle haben als die Nürnberger", sagt Rachid Azzouzi. Fürths Manager sitzt in seinem feinen Büro im Erdgeschoss des Stadions, direkt hinter einer großen Glasscheibe weht eine Eckfahne. Um die eigene Identität noch ein wenig zu schärfen, hat Azzouzi an der Außenfassade der Arena ein gigantisches Plakat angebracht "unAufsteigbar-Tour 2012" steht darauf, es sei ironisch gemeint, sagt Azzouzi, jedenfalls ist es kein schlechter Schachzug, die historische Schwäche des Klubs so offensiv zu plakatieren.

Wenn sie es schon selber tun, wer darf sich dann noch lustig machen über die Vielzahl von verpassten Aufstiegsgelegenheiten? Der Aufstieg hat in diesem Jahr - mal wieder - Priorität in Fürth, der Pokal ist indes finanziell bedeutend. Es geht um Mehreinnahmen von 1,2 Millionen Euro, sollte Fürth gewinnen. "Bei einem Lizenzspieler-Etat von sechs Millionen ist das sogar eminent wichtig für uns", sagt Azzouzi.

Im Mai 2009, beim bislang letzten Aufeinandertreffen, spielten Fürth und Nürnberg am viertletzten Spieltag der Zweitligasaison 1:1. Hätte Fürth damals gewonnen, es wäre auf jenen dritten Tabellenplatz vorgestoßen, der wiederum den Nürnbergern später den Einzug in die Relegation sicherte, die im Aufstieg mündete.

Peter Löwer, Fürths Jahrhunderttorwart, sagt, dass vielleicht kein anderer Spieler so oft gegen Nürnberg verloren hat, wie er. "Im Pokal mag es sein, dass Fürth gewinnt, aber wenn es zum Relegationsspiel kommt, dann gewinnt Nürnberg." Er sagt: "Die wichtigen Spiele gewinnen sie immer." Dann muss Löwer los. Torwarthände schneiden jetzt Damenhaar.

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