Süddeutsche Zeitung

1:1 des FC Bayern in Nürnberg:Das Pech der Kleinen ist das Glück der Großen

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Fischer, Nürnberg

Als die Protagonisten des Abends besungen wurden, waren die Spieler des FC Bayern schon verschwunden. "Eff-zeh-enn! Liebe, Glaube, Leidenschaft", sangen die Anhänger des 1. FC Nürnberg, es ist ein kitschiges Fan-Lied der schöneren Sorte, es hallte laut durchs Stadion. All die berühmten Münchner Fußballer, die am Sonntagabend in Nürnberg den wohl vorentscheidenden Sieg zur Meisterschaft hätten einfahren können - sie hatten nur 1:1 beim Tabellenvorletzten gespielt, sie saßen schon in der Kabine. Stattdessen waren die Nürnberger noch da, alle.

Der mit den Tränen kämpfende Tim Leibold, der aus der Nase blutende Patrick Erras, der müde gedribbelte Matheus Pereira, der tapfere Torwart Christian Mathenia, der doch eigentlich nicht schon wieder absteigen will. Minutenlang standen sie da und hörten zu.

Der FC Bayern, das sind die Fakten, dürfte nach dem 31. Bundesliga-Spieltag immer noch zum siebten Mal nacheinander deutscher Meister werden, das ist nun noch wahrscheinlicher geworden. Nach der Niederlage des einzigen Verfolgers Borussia Dortmund gegen Schalke 04 haben die Münchner mit dem Remis einen Punkt Vorsprung gewonnen. "Wir müssen sieben Punkte holen, um Meister werden", sagte Mats Hummels nach dem Spiel, und tatsächlich reicht nun bei zwei Punkten Vorsprung und dem klar besseren Torverhältnis auch ein Unentschieden bei der schwierigen Partie in Leipzig in zwei Wochen.

Doch jenseits der Fakten wird man sich vielleicht auch noch an die Bilder erinnern, an von kämpfenden Nürnbergern beinahe geschlagene Bayern, sollten sie in drei Wochen die Schale überreicht bekommen. Die letzten Zweifel, dass der Rekordmeister in diesem Jahr die beste deutsche Fußballmannschaft stellt, hat der Sonntagabend nicht beseitigen können. Er hat eher ein paar gesät. Und er hat ein paar tragische Helden hervorgebracht.

Die Geschichte eines dramatischen Spiels, das vor allem vom Kampf der Nürnberger um den Verbleib in der Liga lebte, erreichte ihren Höhepunkt kurz vor Schluss, in der ersten Minute der Nachspielzeit. Da stand der Nürnberger Verteidiger Leibold am Elfmeterpunkt, und er hätte das wohl überraschendste Ergebnis dieser Saison perfekt machen können. Leibold, 25, spielt seine erste Bundesligasaison, er war mit 20 noch Oberligaspieler. Nun konnte er den großen FC Bayern besiegen und den Rückstand auf den Relegationsplatz 16 auf drei Punkte verkürzen. Doch Leibold schoss den Ball an den Innenpfosten. Es war bereits der vierte vergebene Strafstoß seiner Mannschaft in dieser Saison. Das Pech der Kleinen war das Glück der Großen.

Bayern-Trainer Niko Kovac kam nach der Partie mit schlechter Laune zur Pressekonferenz, in der er das schwache Spiel seiner Mannschaft erklären musste. Er sprach vom "Abhaken", äußerte seine Unzufriedenheit mit der Leistung der Mannschaft, doch führte auch eine Reihe vermeintlicher Erklärungen an. "In erster Linie lag's an Nürnberg", sagte er. Vor dem Gegner, der seit dem Wechsel zu Interimstrainer Boris Schommers wieder ein unangenehmer ist, hatte Kovac gewarnt. Das mühsam gewonnene DFB-Pokalhalbfinale gegen Bremen am Mittwoch habe die Mannschaft ermüdet. Und außerdem könne es in der Schlussphase einer Saison halt mal passieren, dass Ergebnisse eintreffen, mit denen man nicht rechnet.

Kovac hatte zunächst auf Serge Gnabry verzichten müssen, den vielleicht wichtigsten, Dynamik spendenden Münchner der Saison. Der Angreifer habe ihm signalisiert, nicht von Beginn an spielen zu können, für ihn griff auf der rechten Seite Thomas Müller vor Leon Goretzka an. "Über rechts kam so gut wie nichts", sagte Kovac. In der ersten Halbzeit kamen die Bayern so oft wie ineffektiv über links, einmal traf David Alaba mit einem Freistoß die Latte.

In der Halbzeit fragte Kovac Gnabry noch mal nach einer Einsatzmöglichkeit, wie der Trainer erzählte, er brachte ihn dann für Müller. Doch die Protagonisten blieben andere: Erras zum Beispiel, Nürnbergs defensiver Mittelfeldspieler, der wie seine Kollegen weiterverteidigte, ohne sich ins eigene Drittel drängen zu lassen. Und Pereira, Nürnbergs Brasilianer, der nach 48 Minuten zum 1:0 traf.

Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hatte vor dem Spiel in der Bild am Sonntag ein Interview gegeben, in dem er mal wieder und mal wieder gar nicht so subtil Kovac kritisierte. "Hier herrscht Druck, das ist beim FC Bayern schon immer so gewesen", sagte er unter anderem. Und der Druck war nun plötzlich sehr groß. Es war Gnabry, der die Bayern mit seinem Ausgleichstor nach 75 Minuten zunächst aufatmen ließ. Doch dann kam Alphonso Davies für den wegen Wadenproblemen nach seiner Einwechslung wieder ausgewechselten James Rodríguez. Und in der 90. Minute foulte der 18 Jahre alte Kanadier im eigenen Strafraum.

"Wir hatten kein Tempo drin, fußballerisch waren wir ungenau, sehr ungenau", sagte Hummels. "Wir haben das nicht gut gemacht, wir sind überhaupt nicht im Spiel gewesen, wir haben keine Aktionen gehabt. Es war ein schlechtes Spiel von uns", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic. Andererseits hätte Kingsley Coman in der fünften Minute der Nachspielzeit das Siegtor erzielen müssen, als er nach einem Konter alleine auf Mathenia zulief, jenen Torwart, der schon in der Vorsaison mit dem Hamburger SV abstieg. Doch Mathenia hielt. Und so blieb der Club zumindest der moralische Sieger.

Sie wollen in Nürnberg auch weiterhin an den Klassenverbleib glauben, "die Truppe gibt nie auf", sagte Verteidiger Lukas Mühl, obwohl der Rückstand auf Platz 16 nun fünf Punkte beträgt. Weiter entfernt ist nur noch Hannover 96, der Tabellenletzte. Und der nächste Gegner des FC Bayern auf dem Weg zum Titel.

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