Süddeutsche Zeitung

Torhüter in Deutschland:Generation Nübel

  • In den deutschen U-Mannschaften drängt sich kein Torhüter-Talent so richtig auf.
  • Für die fernere Zukunft schaut Bundestorwarttrainer Andreas Köpke auf den Schalker Alexander Nübel.
  • Den beförderte Trainer Domenico Tedesco kürzlich zum Stammtorhüter.

Von Christof Kneer

Horst Hrubesch ist das so oft gefragt worden, dass er diese Fragen am Ende nicht mehr hören konnte. Wie das denn so laufe mit seinen beiden rivalisierenden U 21-Torhütern Marc-André ter Stegen und Bernd Leno, ob die sich in den Qualifikationsspielen abwechseln würden oder ob es eine klare Nummer eins gebe? Wie würde der Verlierer des Duells reagieren? Und könne er den Verlierer überhaupt zu einem Turnier mitnehmen, oder würde der das Klima im Kader verpesten?

Horst Hrubesch hat dann meistens ein Grinsen aufgesetzt, das zwischen grimmig und amüsiert changierte, und ebenso meistens hat er eine der beiden Antworten gegeben, die er sich für diese Fragen zurecht gelegt hatte. Manchmal hat er auch beide Antworten hintereinander gegeben.

Die eine Antwort hieß: Wenn die beiden nicht brav sind, dann leg' ich sie zusammen aufs Zimmer. Die andere Antwort hieß: Wenn die beiden nicht brav sind, dann stell' ich Timo Horn ins Tor.

Es war durchaus mehr als ein Folklorethema, das da jahrelang zugespitzt wurde, und das Thema ging auch nicht weg, als selbst den skandalbegabtesten Reportern irgendwann klar wurde, dass da kein Skandal zu holen sein würde. Ja, ter Stegen und Leno sind derselbe Jahrgang (1992), und ja, sie duellieren sich in den DFB-Nachwuchsteams, seit sie 16 sind, und noch mal ja, sie sind keine Freunde und werden auch keine mehr. Aber sie sind professionell und dazu von recht heruntergedimmtem Temperament, und so hat man selten einen der beiden zu einer Aussage verlocken können, mit der sich eine süffige Überschrift hätte bauen lassen. Trotzdem blieb das Thema auch ohne boulevardeske Zutaten ein Thema: Schließlich war jedem Experten im Land klar, dass beim Duell ter Stegen/Leno auf Sicht gesehen auch die Manuel-Neuer-Nachfolge verhandelt würde - wobei auch noch die anderen Toptorhüter dieser Generation zu berücksichtigen wären, Kevin Trapp oder der besagte Timo Horn.

Heilige Zeiten waren das, gar nicht lang her. Zurzeit käme aber keiner auf die Idee, den U 21-Trainer Stefan Kuntz fragen, wie denn das Verhältnis zwischen Svend Brodersen und Nils Körber so sei und ob es im Dreikampf mit Alexander Nübel eine Nummer eins gebe. Bis zum vorigen Wochenende hätte man Kuntz eher gefragt: Sie, Trainer, steht bei Ihrer schicken Mannschaft eigentlich auch jemand im Tor?

Das Jahr 2018 war zu turbulent im deutschen Fußball, zu grell waren die großen Baustellen, als dass einem bei der Baustellenbegehung die weniger ausgeleuchteten Ecken aufgefallen wären. Und so ging etwas unter, dass der deutsche Fußball auf seiner heiligsten Position plötzlich einen Nachwuchsmangel beklagte: in jenem Tor, in dem sich der deutsche Fußball über Jahrzehnte wie von selbst fortgepflanzt hatte.

Erst wollten die Kinder wie Toni Turek sein, dann wie Sepp Maier, dann wie Toni Schumacher, dann wie Andy Köpke, dann wie Oliver Kahn und dann ja eigentlich auch wie Manuel Neuer.

Nur: Wo waren die jetzt plötzlich alle?

An diesem Freitag spielt nun wieder der junge Mann, der den Auftrag hat, den Ruf der Torwartjahrgänge 1996 und jünger zu retten. Alexander Nübel, 22, von Schalkes Trainer Domenico Tedesco vorigen Sonntag überfallartig ins Tor gewuchtet, gilt als Neuer-artiges Toptalent, und so stellt sich jenseits von Nübels persönlicher Geschichte die Frage: Ist das einfach eine dünn besiedelte Torwartgeneration, die nur aus diesem Nübel besteht, wenn die nächstbesten Keeper dieser Jahrgänge schon Brodersen, Körber oder Markus Schubert heißen, was man aber inklusive deren Klubs (St. Pauli, VfL Osnabrück, Dynamo Dresden) erst nach einigem googeln herausfindet?

Sind die also einfach nicht so gut?

Oder verstecken sich durchaus weitere Nübels in dieser Generation, und man bekommt sie bloß nicht zu sehen?

"Die Torwartposition ist halt immer noch eine besondere", sagt Andreas Köpke, der Bundestorwarttrainer, "der ein oder andere Bundesliga-Trainer fragt sich bei einem jungen Torwart vielleicht eher als bei einem Feldspieler: Ist er schon so weit? Die Trainer setzen dann lieber auf Erfahrung oder auch mal auf einen gestandenen Torhüter aus dem Ausland." Der deutsche Torwart ist den Weg in die Moderne einerseits mitgegangen, wie man jetzt auch in Schalke sehen kann, wo dem Kulttorwart Ralf Fährmann vordergründig ein paar Fehler zum Verhängnis wurden; in Wahrheit will der moderne Trainer Tedesco aber lieber einen Torwart, der nicht aus dieser alten Schule stammt, in der vor allem Athletik und Reaktionsvermögen unterrichtet wurden. Er will einen wie Nübel, Kosenamen "Mini-Manu", einen elften Feldspieler, der fast so kicken kann wie früher der Libero.

Aber andererseits bleibt ein Torwart eben ein Torwart, mit ein paar unverhandelbaren Gesetzen. "Einen Torwart wechselt man halt nicht in der 60. Minute ein", sagt Köpke, "und dauerhafte Wechselspiele auf dieser Position haben sich ja noch nie ausgezahlt. Deshalb ist es für die Torwarttalente, die aus den Leistungszentren kommen, im Vergleich zu den Feldspielern viel schwieriger, an Spielpraxis zu kommen." Und Spielpraxis, sagt Köpke, sei "für die Entwicklung eines Torwarts unersetzlich".

So kommt es, dass im Moment acht von 18 Ligatoren im Torwartland Deutschland von ausländischen Keepern besetzt gehalten werden, "und sie sind ja auch alle richtig gut", sagt Köpke, "egal, ob sie jetzt zum Beispiel Casteels, Sommer, Bürki oder Hradecky heißen." Köpke will den Vereinen da nicht reinreden, "jeder Klub hat seine eigenen Alltagsprobleme, da brauchen die keinen Rat von mir". Köpke weiß, dass die ihm anvertraute Torwartposition auch im aufgeklärten und jugendbewegten Fußball eine widerspenstige Position bleiben wird - weil man es den Bundesliga-Trainern ja nicht verübeln kann, wenn sie sich unter dem Druck des laufenden Spielbetriebs nicht trauen, plötzlich einen Torwart einzusetzen, dessen Namen selbst die Experten erst mal googeln müssen.

Einen kleinen Vorschlag hätte Köpke dann aber doch: In anderen Ländern und Ligen, sagt er, sei es "zum Teil selbstverständlich, dass junge Torhüter im Pokal spielen dürfen. Dort können sie sich weiterentwickeln und herangeführt werden".

Alexander Nübel spielt jetzt schon in der Bundesliga. Mit Schalke 04 empfängt er am Freitag Hertha BSC, dort steht Rune Jarstein im Tor, ein Norweger, 34 Jahre alt.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2019/schm
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