Norwich City:Kein gewöhnlicher Außenseiter

Ipswich Town v Norwich City - Sky Bet Championship; Norwich City

Moritz Leitner (r.) von Norwich City nennt Fußball mittlerweile "arbeiten".

(Foto: Getty Images)
  • Aufsteiger Norwich City um den früheren BVB-II-Coach Daniel Farke startet in die Premier League. Gegner ist Champions-League-Sieger FC Liverpool.
  • Farke kann auf ein Dutzend Spieler mit Erfahrung in Deutschland zurückgreifen - bekannte Zugänge sind Torhüter Ralf Fährmann, ausgeliehen von Schalke 04, und der Schweizer Stürmer Josip Drmic aus Mönchengladbach.
  • Auch der frühere BVB-Profi Moritz Leitner spielt für Norwich. Einst von Jürgen Klopp als "herausragendes Talent, wie es nur wenige gibt" geadelt, geht der 26-Jährige mit Optimismus in die neue Saison.

Von Sebastian Fischer

Was wird die größte Herausforderung in der neuen Saison sein? Das war die Frage. Delia Smith seufzte. Sie hätte nun viel erzählen können über ihren Verein, den Aufsteiger in die Premier League; über den Reichtum der anderen Klubs, über die Hoffnungen der Fans, die es nicht zu enttäuschen gilt. Sie überlegte und sagte: "Kevin De Bruyne." Der brillante Mittelfeldspieler von Manchester City also. Der BBC-Reporter lachte so sehr, dass er sich in seinem Stuhl im TV-Studio weit nach hinten lehnte. Smith, 78, Mehrheitseigentümerin des Norwich City Football Club, lachte mit.

Norwich, als Meister der zweitklassigen Championship aufgestiegen, eröffnet an diesem Freitag mit einem Auswärtsspiel beim FC Liverpool die neue Saison in England. Der Neuling zu Gast beim Champions-League-Sieger, das klingt wie eine gewöhnliche Außenseitergeschichte. Es ist aber eher eine außergewöhnliche.

Norwich, das ist der Klub mit dem deutschen Trainer Daniel Farke - und lauter Spielern, vielen deutschen, die andernorts schon abgeschrieben waren. Es ist der Klub, dessen teuerster Zugang in diesem Sommer der Torhüter Ralf Fährmann ist - ausgeliehen vom FC Schalke, wo er nur noch die Nummer zwei war, für angeblich drei Millionen Euro. Zum Vergleich: Mitaufsteiger Aston Villa hat mehr als 140 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben.

Norwich, das ist auch der Klub, der in einer Liga voller milliardenschwerer Investoren von der Autorin und Fernsehköchin Smith geführt wird. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Verleger Michael Wynn-Jones, gehört ihr die Mehrheit der Anteile. Wenn Mittelfeldspieler Moritz Leitner seinen Verein beschreibt, dann spricht er zur Erklärung auch über die beiden. Er sagt es so: "Sie lieben den Verein, geben alles dafür. Natürlich wollen sie gewinnen. Aber sie sind dabei Menschen geblieben."

Sportdirektor Webber: "Die Leute dachten, ich sei dumm"

Auf den ersten Blick ist Norwichs Geschichte eine, die es so ähnlich vor zwei Jahren schon mal gab. Sportdirektor Stuart Webber holte den deutschen Trainer David Wagner von der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund zu Huddersfield Town, verpflichtete viele deutsche Profis für vergleichsweise wenig Geld - und Huddersfield stieg in die Premier League auf. Webber allerdings wechselte 2017 noch vor dem Aufstieg nach Norwich. Er holte dort den Trainer Farke, der als Wagners Nachfolger Dortmunds zweite Mannschaft trainiert hatte - und wieder viele Profis aus Deutschland. Neben Leitner (davor beim FC Augsburg) gehören eher unbekannte Namen wie Tom Trybull (21 Bundesligaspiele für Werder Bremen) oder Marco Stiepermann (zuvor VfL Bochum) zum Kader. Zehn Spieler sind deutsch, zwölf haben eine Vergangenheit im deutschen Fußball. In diesem Jahr kam neben Fährmann noch der Schweizer Stürmer Josip Drmic aus Mönchengladbach dazu, ablösefrei.

"Die Leute dachten, ich sei dumm. Aber ich habe die Chance gesehen, einen viel größeren Klub zu prägen", so hat der Sportchef Webber, 35, kürzlich der Times seinen Wechsel erklärt. Norwich gilt als Traditionsverein, im Schnitt kamen in der vergangenen Saison mehr als 26 000 Zuschauer ins Stadion. Nach seiner Ankunft stellte Webber alles auf den Kopf, er wechselte nahezu alle Abteilungsleiter im Mitarbeiterstab aus und verkaufte die teuersten Spieler, um die als desaströs beschriebenen Bilanzen des Vereins in den Griff zu bekommen. Webber nennt es "unglaublich", welches Vertrauen die Eigner Smith und Wynn-Jones ihm und seiner Arbeit entgegenbrachten. "Wir müssen für die Sünden der Vergangenheit bezahlen", pflegte Trainer Farke in der Sommerpause zu antworten, wenn er nach den geringen Aufwendungen für Verstärkungen gefragt wurde. Stattdessen wurde in Infrastruktur und Nachwuchs investiert. Die Ticketpreise wurden mit dem Aufstieg sogar reduziert, auf höchstens 30 Pfund pro Spiel.

Leitner: "Jeder weiß, woher wir kommen"

Anders als der Trainer Wagner, der in Huddersfield vor dem Abstieg im Winter beurlaubt wurde und inzwischen den FC Schalke 04 trainiert, lässt Farke keinen Konterfußball spielen. Der Ostwestfale, 42, als Amateur ein erfolgreicher Torjäger und danach als Trainer ein großes Talent, nennt "Dominanz durch Ballbesitz" seine Spielidee. Der für den rustikalen Stil in Englands zweiter Liga höchst ungewöhnlichen Ansatz führte die Mannschaft, 2018 noch Tabellenvierzehnter, in Farkes zweiter Saison mit 94 Punkten und 93 Toren in 46 Spielen überraschend auf Platz eins.

Premier League – 1. Spieltag

FC Liverpool - Norwich City (A) Fr. 21.00

West Ham Utd. - Manchester City (M) Sa. 13.30

Crystal Palace - FC Everton Sa. 16.00

FC Watford - Brighton & Hove Albion Sa. 16.00

FC Burnley - FC Southampton Sa. 16.00

Bournemouth - Sheffield United (A) Sa. 16.00

Tottenham Hotspur - Aston Villa (A) Sa. 18.30

Leicester City - Wolverhampton W. So. 15.00

Newcastle United - FC Arsenal So. 15.00

Manchester United - FC Chelsea So. 17.30 (M) = Meister; (A) = Aufsteiger

Und der Fußball soll sich auch wenig ändern: "Nur, weil wir eine Liga höher sind, ändern wir nicht unseren Plan", sagt Moritz Leitner, "wir bleiben unserem Spielstil treu. Unser Kader ist darauf ausgelegt, dass wir den Ball haben wollen."

Die Karriere des Mittelfeldspielers Leitner, 26, gleicht der vieler Profis im Kader. Norwichs wichtigster Stürmer, mit 29 Toren Zweitliga-Torschützenkönig, ist der frühere Schalker Teemu Pukki, der 2018 ablösefrei von Bröndby Kopenhagen kam und den andere britische Klubs in Manager Webbers Worten "nicht mit der Kneifzange anfassen wollten". Der begabte Spielmacher und frühere U21-Nationalspieler Leitner galt in Deutschland schon als gescheitertes, bisweilen faules Talent, als er sich in Augsburg genauso wie zuvor beim VfB Stuttgart nicht durchsetzen konnte.

In der vergangenen Saison war Leitner lange gesetzt, bis er sich zuerst an der Wade und dann am Sprunggelenk verletzte. Er sei wieder "topfit", sagt er nun. Gegen Liverpool trifft er gleich zum Auftakt auf Jürgen Klopp, der ihn einst als 18-Jährigen in Dortmund trainierte und damals sagte, Leitner sei "ein herausragendes Talent, wie es nur wenige gibt".

Wenn Leitner beschreibt, warum er sich in Norwich gleich gewollt fühlte, unabhängig von seiner Vorgeschichte, dann erzählt er von einer Essenseinladung von Delia Smith zur Begrüßung. Er erzählt vom Plan seines Trainers Farke, in dem seine Fähigkeiten aufgehen. Und er nennt Fußball spielen inzwischen "arbeiten". Trotz mancher Prognosen, die in Norwich einen Abstiegskandidaten sehen, spricht Leitner mit Optimismus von der kommenden Saison: "Klar haben viele Vereine deutlich mehr Geld investiert, um sich zu verstärken. Aber das heißt nicht, dass sie deshalb erfolgreicher sein werden als wir. Wir kennen uns, wir wissen ganz genau, wie der andere tickt, wer wo hinläuft, wer welche Stärken hat." Und: "Die Fans wissen, dass es nicht jede Woche ein Feuerwerk geben wird. Jeder weiß, woher wir kommen."

Beim letzten Testspiel gegen Toulouse, das Norwich 1:0 gewann, wurde Leitner erst in der zweiten Halbzeit eingewechselt. Er habe sich bisher noch keine Gedanken über seinen möglichen Gegenspieler gegen Liverpool gemacht, sagt er.

Bis zur größten Herausforderung der Saison dauert es ohnehin noch ein paar Wochen. Manchester City und Kevin De Bruyne werden im September zu Gast sein.

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