Süddeutsche Zeitung

Norwegen:Der Frust der Wunderkinder

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Nach Norwegens Aus in der EM-Qualifikation geht es nicht nur um die Zukunft von Trainer Lars Lagerbäck - sondern auch um mögliche Grenzen der "goldenen Generation" um Erling Haaland und Martin Ödegaard.

Von Sebastian Fischer

Wenn Erling Haaland nachdrücklich seinen Ärger in einem Interview äußert, dann muss etwas Besonderes geschehen sein. Der Norweger, 20, ist in seinen rund zehn Monaten als Stürmer bei Borussia Dortmund wegen seines großen Talents bekannt geworden, mit unzähligen Toren, kaum begreifbaren Sprints und unvergleichlichem Tor-Drang. Haaland ist aber auch für seine eigentümlichen Auftritte nach den Spielen vor der Kamera berüchtigt - weil er dabei immer so wirkt, als könnte ihm nichts auf der Welt egaler sein, als ein paar erklärende Sätze für das Fernsehpublikum beizutragen. "Ja", sagt er dann, manchmal auch "Nein", viel mehr eher selten.

Die jüngsten Sätze, die von Haaland überliefert sind, klingen dagegen fast schon wie eine ausführliche Ansprache zur Lage seiner Nation. "Ich will nicht fluchen, aber ich bin ziemlich sauer", sagte er am vergangenen Donnerstagabend dem norwegischen Sender TV2: "Wir hatten eine gute Möglichkeit, um zur EM zu kommen, aber wir sind ganz einfach nicht gut genug. Serbien ist besser als wir und sie haben verdient gewonnen."

Während die Länderspielpause in dieser Woche mancherorts, in Deutschland etwa, als ziemlich überflüssig gilt, ist die Situation in Norwegen geradezu von sporthistorischer Bedeutung. Die Mannschaft um Haaland gilt im Land der Wintersportler und Handballer als Auswahl einer Generation norwegischer Fußballer, die so gut ist wie keine andere zu vor. Außer dem Dortmunder spielt zum Beispiel auch noch der neue Leipziger Stürmer Alexander Sörloth, 24, mit, oder Mittelfeldspieler Martin Ödegaard, 21, der einst als 16-Jähriger einen Vertrag bei Real Madrid unterschrieb. Dieser norwegischen Mannschaft sollte erstmals seit 20 Jahren, erstmals seit der EM 2000, wieder die Qualifikation für ein großes Turnier gelingen. Doch stattdessen geht es nun um die Aufarbeitung eines 1:2 nach Verlängerung gegen Serbien im Halbfinale der EM-Qualifikations-Playoffs.

Wenn Norwegen an diesem Sonntag in der Nations League gegen Rumänien antritt, arbeitet der Trainer Lars Lagerbäck nur noch auf Bewährung der Sportberichterstatter des Landes. "Ich habe kein Problem damit, zur Seite zu treten, falls mein Arbeitgeber dies wünscht", sagte der Schwede nach dem Spiel selbst. Lagerbäck, 72, ist seit mehr als drei Jahren Trainer des Teams, zuvor hat er nicht nur sein Heimatland, sondern auch Nigeria und Island zu Turnieren geführt. Und eigentlich galt er als der Mann, der mit seiner Erfahrung auch Norwegens Talente wieder in den Kreis der Besten des Kontinents geleiten sollte. Doch nach dem Serbien-Spiel kommentierte die Zeitung Dagbladet unmissverständlich: "Es hat keinen Sinn, dass er weitermacht."

Einer der bekanntesten norwegischen TV-Experten ist der frühere Frankfurter Stürmer Jan Aage Fjörtoft. Anfang des Jahres sprach er im SZ-Interview anlässlich des Bundesliga-Debüts von Haaland auch über andere Vertreter einer "goldenen Generation". Er nannte Mittelfeldspieler Sander Berge, 22, inzwischen in der Premier League bei Sheffield United, oder Verteidiger Kristoffer Ajer, 22, von Celtic Glasgow. Fjörtoft sagte: "Das alles belegt, dass der Verband, die Klubs, aber auch die Spieler selbst in den letzten Jahren vieles richtig gemacht haben."

Wenn man seinen Twitter-Account während des Serbien-Spiels verfolgte, hatte er aber mehr Dinge ausgemacht, die falsch liefen: "Serbien SO viel besser als wir", schrieb er, oder, beim Stand von 0:0: "Dass Serbien noch nicht getroffen hat ist unglaublicher, als wenn Elvis jetzt auf den Platz rennen würde." Und er kritisierte, dass Haaland und Sörloth "in der Box" keine Bälle bekommen würden. Das sagte später auch Haaland: "Ich habe mich überhaupt nicht ins Spiel involviert gefühlt."

Die Offensive ist herausragend, die Defensive anfällig

Es sind einerseits eine falsche, vorsichtige Taktik und die falsche Aufstellung, die man Trainer Lagerbäck vorwirft. Doch es wird auch über das mögliche Eingeständnis sinniert, dass Norwegens Qualität so vieler Talente zum Trotz vielleicht nicht reichen könnte - auch nicht für eine Qualifikation zur WM in Katar, wo nur 14 europäische Teams mitmachen, nicht 24 wie bei der EM.

Das Problem: In einem kleinen Land wie Norwegen ist die Abhängigkeit von einer Generation zwangsläufig groß. Und das Talent wirkt innerhalb des Kaders eher ungleich verteilt. So herausragend die Offensive mit Spielern der Generation um Haaland besetzt ist, so anfällig wirkt die Defensive. Links in der Abwehrkette ist Haitam Aleesami, 29, Stammspieler, obwohl er in diesem Sommer bislang noch keinen Verein fand.

Links hinten, das war lange die Position des Rekord-Nationalspielers John Arne Riise, 40, dem wohl erfolgreichsten norwegischen Fußballer der Zeit, in der Haaland heranwuchs. 110 Mal lief Riise für Norwegen auf. Ein Spiel bei einer EM oder WM war nicht dabei.

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