Es sind freudlose Winterspiele, die in nur noch 100 Tagen in Pyeongchang eröffnet werden. Schon heute dämpft die Debatte um die russische Staatsdoping-Affäre und die merkwürdigen Einzelfallprüfungen des IOC die Vorfreude der Athleten. Auch das Publikum zeigt der südkoreanischen Wintersport-Retorte die kalte Schulter, der globale Ticketverkauf liegt "fast bei null", beklagt Gianfranco Kasper, Schweizer Ski-Weltpräsident. Das alles überwölbt die Angst vor militärischer Eskalation auf der koreanischen Halbinsel, wo Nordkoreas Herrscher Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump seit Monaten ihr vorolympisches Provokations-Finale bestreiten.
Was also tun - zumal ja Sport und Politik niemals vermischt werden dürfen, wie das heiligste aller Prinzipien des Weltsports lautet? Gemach. Dass in der Praxis der eher prinzipienlosen Muskelindustrie das Gegenteil der Fall ist, weiß die Welt seit den Kniefällen des IOC vor Russlands Systemdoping. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die letzte Bastion bricht. Offenbar sucht der Ringe-Konzern nun, mit dem Rücken zur Wand, Zuflucht in größtmöglichem Opportunismus: Wildcards für Nordkoreas Athleten sollen den Tyrannen gewogen stimmen.
Doping:Als ginge es um Shampoo
Trotz systematischen Dopingbetrugs in Sotschi werden Russlands Athleten wohl nicht von den Winterspielen 2018 ausgeschlossen. Das IOC macht's möglich.
Sie sollen ihn abhalten von Bomben- und Raketentests, womöglich von geplanten Attacken. So hat es jetzt Pyeongchangs Organisationschef Lee Hee-beom ausgeplaudert: Das IOC wolle "mit den internationalen Fachverbänden darüber beraten, mehr Sportlern aus Nordkorea eine Teilnahme zu ermöglichen".
Eine Bestätigung des IOC zu Lees Aussage liegt nicht vor. Jedenfalls aber passt der Gedanke, Nordkoreas Athleten in Geiselha-... sorry, als politische Schutzschilde zu nutzen, perfekt in die olympische Wirkwelt. Es würde sich prima als Entwicklungspolitik für Nordkorea verkaufen lassen. Oder gar als Friedensakt.
Im Sport entpuppen sich gute Sachen oft als Heuchelei
Dieser Schachzug könnte im Nebeneffekt die mediale Attraktivität der Spiele anheizen, für die sich bisher ja nicht mal die Athleten richtig erwärmen. Mancher hält sich die Option offen, auf die Korea-Reise zu verzichten. Mit einem verkappten Nord-Süd-Kräftemessen wäre da ein zusätzlicher Schauplatz installiert: Pjöngjang in Pyeongchang. Echt krass.
Nun mag man einwenden, dass es immer eine gute Sache sei, Diktatoren in Schach und Aggressionen im Zaum zu halten. Das stimmt. Im Sport aber entpuppt sich die gute Sache oft als Heuchelei. Was hätten Frieden und Stabilität in der Welt davon, wenn es den Vermarktern im IOC gelingen sollte, für die zweiwöchige Verkaufsphase ihrer Spiele eine Waffenruhe auszuhandeln - und danach darf's richtig rund gehen? Wie bei den Winterspielen 2014 in Sotschi: Als Putin mit IOC-Boss Bach zur Schlussfeier den Sektkelch kreuzte, ging der Feldzug auf die Krim schon los. Einen Kommerzbetrieb dafür zu feiern, dass er seinem Produkt kurzfristig Probleme vom Hals hält, unter denen die Welt leidet, ihn dafür gar als Friedenstifter adeln: Gröberer Unfug ist kaum vorstellbar.
Bei all dem fällt die Doping-Frage nicht mehr ins Gewicht. Sollte Kim seine Sporthelden zu den Spielen ins Feindesland schicken, dürfen die dort gewiss nicht als Verlierer-Team auftreten - und jeder von ihnen träte dann ungetestet an. Und die Tests? Bilder wie die von der Frauenfußball-WM in Deutschland, die Team Nordkorea als Dopingsünder verließ, würde es diesmal nicht geben. Denn dass ein Sportsoldat Kims auffliegt und heimgeschickt wird, das kann sich nicht einmal Trump wünschen.