Süddeutsche Zeitung

Nordische Ski-WM:Das Ziel: eine ganze Klasse besser werden

  • Der Norweger Jarl Magnus Riiber hat diese Saison mit seinem Sprung in die absolute Weltspitze alle überrascht.
  • Vor allem seine Konkurrenz aus Deutschland hadert im Post-Olympia-Jahr noch mit ihrer Form.
  • Bei der Weltmeisterschaft in Seefeld sollen die alten Tricks noch einmal helfen.

Von Volker Kreisl, Seefeld

Damit konnte auch wirklich keiner rechnen. Ein echter Sturm lässt sich mit feinen Messgeräten und Erfahrung ja auch präzise einschätzen. Auf den Tag genau weiß man, wann er über einen kommt, denn der Wind weht nicht plötzlich doppelt so schnell. Der Sturm namens Riiber, der die Disziplin der Nordischen Kombinierer heimsuchte, kündigte sich schon vor drei Jahren an. Berechnet war die Ankunft des Norwegers an der Weltspitze zirka für kommende Saison. Doch Jarl Magnus Riiber ist längst schon da.

Alle Abwehrmaßnahmen waren gut geplant, sagt Bundestrainer Hermann Weinbuch. Die Formel, die die Deutschen und alle anderen Konkurrenten damals aufstellten, um den sprunggewaltigen, aber als Läufer noch zu schmächtigen Riiber zu besiegen, lautete: Wir müssen richtig springen lernen, bevor er richtig laufen lernt. Also Schritt für Schritt sich verbessern. Nur, Jarl Magnus Riiber aus Oslo hat sich nicht daran gehalten. Weinbuch muss nun feststellen: "Der hat im Laufen zwei Entwicklungsschritte auf einmal gemacht!"

Spannungsabfall nach Olympia

Mit 21 Jahren hat Riiber in diesem Winter alle abgehängt. Den Gesamtweltcup hat er schon am 3. Februar gewonnen, drei Weltcups vor Winterende hat er 1258 Punkte gesammelt, der Nächste, Akito Watabe aus Japan, steht bei 774. Bei der Weltmeisterschaft in Seefeld ist Riiber in allen Bewerben Top-Favorit, und seinen Hauptkonkurrenten, den Deutschen, stellt sich nun keine ganz leichte Aufgabe. Sie müssen dem großen Wintersport-Publikum, das sie gerade so richtig für sich einnehmen konnten, irgendwie vermitteln, warum sie so plötzlich nicht mehr alles gewinnen.

Bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang vor einem Jahr stellte Weinbuchs Mannschaft eine Bilanz auf, wie sie vor vielen Jahrzehnten höchstens die Norweger, die Erfinder dieses Sportes, schafften. Weinbuchs Team gewann sämtliche Goldmedaillen, besetzte einmal das gesamte Podest und hängte in der abschließenden Staffel die Konkurrenz zunächst auf Fernglas-Distanz ab, ehe sie ganz aus dem Sichtfeld der Verfolger verschwand. Weil diesem deutschen Team, vor allem dem Oberstdorfer Johannes Rydzek, ein ähnlicher Erfolg schon bei der WM 2017 in Lahti gelungen war, weil es also einen Höhepunkt überschritten hatte, liegt der eine Grund des Nachlassens im Generationswechsel und im Spannungsabfall, der nach einem Olympiazyklus fast immer folgt. Besonders betroffen ist zum Beispiel Erik Frenzel, 30 Jahre alt, dreimaliger Olympiasieger, fünfmaliger Gesamtweltcupsieger und zudem noch dreimaliger Vater.

Der andere Grund ist Riiber.

Bis zur vergangenen Saison war die Welt noch in Ordnung. Riiber, mit der Technik eines Sprungspezialisten ausgestattet, landete im Schnitt zehn Meter weiter und brach mit ein bis zwei Minuten Vorsprung in die Loipe über zehn Kilometer auf. Dahinter formierte sich aber bald ein Zug mit mehreren kräftigen, ehrgeizigen und austrainierten Läufern, darunter stets ein bis zwei Deutsche, die den frechen Ausreißer nach zwei Dritteln der Strecke wieder schluckten.

Heute reicht Riiber sogar nur eine halbe Minute Vorsprung, um zu gewinnen. Anstatt, wie vom Rest der Kombinationswelt kalkuliert, vorerst nur in der Lage zu sein, schneller zu laufen, verfügt Riiber zudem über genügend Kraft, um taktische Vorgaben seiner Trainer während des Rennens umzusetzen. Riiber kann sich zurückfallen lassen und plötzlich wieder das Tempo steigern, er nutzt den entscheidenden Punkt, um einen langen Sprint anzusetzen, oder er erweist sich als Schnellster kurz vor der Ziellinie. Weinbuch muss zugeben: "Der hat jetzt auch noch die Cleverness."

Was können seine Olympiasieger also dagegenhalten? Zum einen müssen sie ihre Sprünge noch verbessern. Johannes Rydzek, der Goldgewinner in Pyeongchang von der Normalschanze, hatte Riiber zum Beispiel kürzlich in Predazzo in Italien besiegt, als er endlich einmal wieder weit genug kam. Auch der Rest der Mannschaft weiß, dass er wohl bis zu vier, fünf Meter weiter springen muss. Das bedeutet, dass er sich auf der Schanze in den beiden Wochen vor der WM noch um eine ganze Klasse verbessern musste.

Am Freitag startet das WM-Programm der Kombinierer mit dem Wettkampf von der Großschanze und anschließend zehn Kilometer Langlauf. Das erste Training am Bergisel in Innsbruck war eher ernüchternd. Frenzel und Rydzek kamen mit der Schanze zunächst noch nicht zurecht. Alle Deutschen brauchen für den Wettkampf am Freitag somit eine punktgenaue Formsteigerung, im letzten Moment, was nicht ausgeschlossen ist. Tatsächlich ist dies Weinbuchs Schülern in den vergangenen beiden Wintern jeweils gelungen.

Mit Schanzen-Placebo ganz weit kommen

Und im Januar 2018, zwei Wochen vor Olympia, wiegten die Zweifel ungleich schwerer. Die Deutschen waren sogar noch weiter von der Spitze weg, immer gezwungener wirkten die Sprünge, und am Ende verließ sich Weinbuch auf eine Art verschärftes Wohlfühlprogramm. Man verzichtete auf den letzten Weltcup vor Olympia, versammelte sich nochmals zu einem gemeinsamen Trainingslager. Dabei gönnte sich das Team auch einen Ausflug auf eine der Hütten über Oberstdorf, unterhielt sich bei einem Spezi und schlitterte gemeinsam auf Zipfelbobs wieder ins Tal. Die verschüttete Sprung-Form erweckte man erfolgreich mit einer Art Schanzen-Placebo. Ganz bewusst sollten die Springer mehr Anlauf als im Wettkampf nehmen, um dem Körper wieder das Gefühl dafür zu geben, wie es ist, mal wieder ganz weit zu kommen.

Dieses besondere Vorprogramm haben die deutschen Kombinierer nun wiederholt. Nichts Neues ist das, aber durchaus bewährt - und womöglich das letzte Mittel gegen Jarl Magnus Riiber.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2019/dsz
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